“Einmal Abrechnen bitte!”
Ein Samstagabend, der alles kann: Metal-Riffs für Dosenbier-trinkende Mittvierziger, Melodien zum Mitnicken und unauffällig in der letzten Reihe stehen, und Moshpits für Besucher:Innen die bereit sind mit allem abzurechnen.
Aber immer der Reihe nach. Wer ein Herz für laute, schwere Musik hat und in den letzten 365 Tagen auch nur einmal kurz ein Ohr auf die Schiene gelegt hat, der/dem brauchen Better Lovers nicht vorgestellt werden. Auf ihre erste Headlinertour haben sich die New Yorker alles andere als lausige Supportacts eingeladen: die mächtigen SeeYouSpaceCowboy aus Kalifornien, das Eastcoast-Metalcore-Brett Foreign Hands und Greyhaven aus Louisville, Kentucky, die den Abend bereits vor zahlreichem Publikum mit einem Mix aus Progmetal, groovigem Hardcore und melodischen Grunge-Schnipseln eröffnen. Zum Warmwerden funktioniert das wunderbar, wenn auch etwas distanziert, vielleicht aber ist das Rickshaw Theatre nur noch nicht ganz anwesend, denn die Traube am Merchstand nach dem Set von Greyhaven unterstreicht zurecht die Livequalitäten des Vierers. Ein starker Einstieg!
“Open this sh*t up!!!”
Foreign Hands entscheiden sich im Anschluss für einen 0 auf 100 Start, der Energie und Sound zunächst zum Opfer fällt. Zum Glück weiss die Band um den explosiven Frontmann Tyler Norris sich zu helfen und „zwingt“ Vancouver daher verbal zum Mitmachen und Ausrasten. „Hesitation Marks“ oder „Separation Souvenir“ werden mit durch die Luft fliegenden Fäusten empfangen, die live noch mehr an Knocked Loose erinnernde Stimme schneidet die Luft im Raum zu Konfetti. „Open this shit up, Vancouver“. Gesagt, getan. On top liefert World Of Pleasure-Sängerin Jess eine 10/10 Guestspoteinlage ab – nicht nur daher wird Foreign Hands‘ allererste Show in Vancouver ein voller Erfolg und ist genauso ansteckend wie die Platten der Band.
Feuer und (Stich-)Flamme
Zum Start des Sets von SeeYouSpaceCowboy wirkt ein Großteil des Publikums dann wie ausgetauscht – allerdings im positiven Sinne. Der grimmige Metalcore-Mob macht Platz für eine sichtbar jüngere Generation – in den ersten Reihen regieren nun bunte Haare und lautes Kreischen. Zuletzt waren SeeYouSpaceCowboy vor einigen Jahren in einem kleinen Kellerclub wenige Kilometer vom Rickshaw zu sehen – aber auch auf der grossen Bühne springt der Funke – oder eher die Stichflamme – von Frontfrau Connie Sgarbossa und Band sofort über. Zwischen MySpace-Era Screamo, bekloppten Mathcore-Parts und brutalen Mosheinlagen passt immer noch mindestens ein halbes Dutzend Bass Drops. Mit letzteren geht die Band aus San Diego nicht gerade sparsam um, und stückelt sich passend durch Songs wie „Silhouettes in Motion“, „I Am A Trans-Continental Rail Road, Please Run A Train On Me“ und „Self Help Specialist Ends Own Life“.
Bildergalerie: SeeYouSpaceCowboy
Anders als ihre Vorgänger müssen SeeYouSpaceCowboy keinesfalls um Interaktion bitten, sondern lassen sich vom Publikum aus der Hand fressen. Bassdrops für alle. Wie unfassbar tight sich die Musiker, insbesondere Bassist Taylor Allen, nach all dem Chaos stets verlässlich wiederfinden können und werden nur die Gastgeber des Abends toppen. Nach „Lubricant Like Kerosene“ metzelt „Chewing The Scenery“ ein letztes Mal durch den Saal, dann wird das SYSC-Banner gegen die riesigen pinken Buchstaben „BETTER LOVERS“ getauscht.
Jene haben nicht nur ein wunderbar kitschiges Intro (ein gefühlt 20-minütiges Medley aus „Love“-Songs) zusammengemixt, sondern offenbar auch säckeweise Duracell gefrühstückt. Ab Sekunde eins aka „Become So Small“ fliegt das Lineup (mit Ausnahme von Drummer Clayton Holyoak) um Greg Puciato, Jordan Buckley, Will Putney und Steve Micciche von links nach rechts, headbangt, mosht, springt, joggt, tritt, prügelt, peitscht und shredded nonstop. Puciato connected in nullkommanix mit dem Publikum, als wäre er vorher mit jeder einzelnen Person Kaffeetrinken gegangen.
Bildergalerie: Better Lovers
„Two Live Amongst The Dead“, das genial vertrackte „The Flowering“ oder „God Made Me An Animal“ sind live ebenso messerscharf und lebensmüde wie einst Every Time I Die. Gepaart mit Puciato’s Performance allerdings helfen Better Lovers, die Southern-Metal-Institution aus Buffalo einen Tick weniger zu vermissen. Zu „Sacrificial Participant“ juckt es eindeutig mehr in Fingern und Nacken als zu Soundgarden’s „Rusty Cage“, dennoch fügt sich die Coverversion kompromisslos in die Setlist ein.
Über 55 Minuten gesellt sich das pure und pausenlose Chaos zum Weltklasse-Sound und einer unfassbar energischen Liveperformance der Band. Dabei bleibt das handwerkliche Können aller Beteiligten nicht einen Moment lang auf der Strecke. Puciato geht wieder und wieder auf Tuchfühlung mit den ersten Reihen, springt kurzerhand von einem ansehnlichen Boxenturm ins Publikum, Buckley erklimmt alles in seiner Nähe, was nicht niet- und nagelfest ist. Wie menschliche Körper jenseits der Vierzig so viel Rumgedresche neben gezielter spielerischer Finesse aushalten – Hut ab. „30 Under 13“ bittet um die letzten Crowdsurf- und Moshreserven aller Anwesenden, abklatschen und danke sagen in persona, dann bleibt von der Dampfwalze namens Better Lovers nur noch der niedlich mintgrüne Bass vor dem Boxenturm – und vom Rickshaw bloss eine komplett verschwitzte Armee offener Münder übrig. Profitip: Wer am nächsten Tag früh raus muss, kann an Merchstand direkt die Better Lovers-eigene Kaffeeröstung erstehen. Boom. Ein Abend, der alles, aber auch wirklich alles konnte.