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Blondie – Vivir En La Habana

Blondie Vivir en la Habana Albumcover

Die Welt ist aus den Fugen geraten; aber das wussten wir schon: In Kanada und der Westküste der USA herrschen höllische Temperaturen, der Golf von Mexico und mittlerweile auch unsere europäischen Küstenländer brennen, in Südafrika sterbend duzende Menschen, weil der letzte Funke der korrupten Politlunte zu explosiv war, Teile Deutschlands saufen im Meer der Klimaignoranz ab und in Kuba überwinden die Menschen ihre Angst und stellen sich gegen ein Regime der jahrzehntelange Misswirtschaft und staatliche Unterdrückung; dessen einstige Revolution sie eigentlich so verehren. Beispiele, die man aktuell gut als Referenz dieses Establishments, dieses ungreifbaren Wahnsinns heranziehen kann – von der anderen Seite der Welt will ich gar nicht erst anfangen.

„Harren wir der Dinge, wieviel dieser (mit Sicherheit echt gut gedrehte) Musikfilm mit seinem kurzweiligen Soundtrack denen zurückgeben wird, die sich die eigenen Träume von Menschenrechten nicht erfüllen können.“

Ich dachte, mich trifft der Schlag

Als mich dann vor kurzem die Bitte zur Besprechung des neuen Werkes „Vivir en la Habana“ der ikonischen Rockband Blondie erreichte, dachte ich für einen Moment, mich müsse der Schlag treffen – am Ende sollte er mich, je mehr ich mich in diese Thematik hineindachte, mehrmals treffen und definitiv auch eine ordentlich Portion Pathos zerstören.

Wo fange ich an und wo höre ich auf? Wenn man mich kennt, weiß man, wie sehr ich die Menschen auf Kuba, ihre Kultur und ihre unverwechselbare Haltung zum Leben liebe. Wenn man mich kennt, hat man eventuell eine ungefähre Idee, wie sehr mir gerade das Herz blutet, während ich gleichermaßen den Aufstand gegen die Unterdrückung anfeuere. Das klingt alles sehr romantisiert, in der Realität steht Kuba allerdings vielleicht kurz vor einem Bürgerkrieg – nichts daran ist romantisch. Das wahre Kuba hat sich weit von dem Land entfernt, das in den offiziellen Medien propagiert wird.

Leben in Havanna

Genauso wenig romantisch ist es, zur gleichen Zeit, völlig kommentarlos einen Soundtrack zu veröffentlichen, dessen zugehöriger Film „Vivir en la Habana“ heißt – wenn ich mich recht erinnere, lebt keine:r der zur Band gehörenden Musiker:innen nur in der Nähe der kubanischen Hauptstadt. Während also denen, die tatsächlich gerade auf Kuba leben (müssen), massiv Menschenrechte entzogen werden, singt Debbie Harry „The tide is high but I’m holdin‘ on“.

Jetzt muss man natürlich differenzieren. So ein Release fällt ja nicht von heute auf morgen aus dem Himmel, sondern wird über einen langen Zeitraum geplant und vorbereitet. Da steckt eine Menge Arbeit dahinter. Ein Aspekt also, bei dem man sich in all der Schwere dieser Veröffentlichung ein bisschen runterregulieren kann, würde einem nicht schon das nächste Argument die Mageninnenwand zerfressen: Ich habe meine Hausaufgaben gemacht und etwas recherchiert und Artikel von Kollegen quer über den Kontinent gelesen. Keiner der mir zugänglichen Artikel verliert nur den Hauch eines Gedankens an das, was man gerade tatsächlich unter der Headline „Vivre en la Habana“ betiteln kann. Ich, liebe Kolleg:innen, kann und will das jedenfalls nicht trennen.

„Ganz ehrlich Freunde, ich darf das genauso verwerflich und sogar moralisch, wie auch menschlich ätzend finden!“

Es liegt IMMER im Auge des/der Betrachtenden

Vermutlich kann man auch diese Trennung aus voller Überzeugung und vielleicht auch ein bisschen pathosverwaschen vollziehen und es in gekonnter journalistischer Gleichschaltung ignorieren, aber ganz ehrlich Freunde, ich darf das genauso verwerflich und sogar sowohl moralisch, als auch menschlich ätzend finden! Ich weiß nicht mal wirklich, wie ich nur ein Wort über den Soundtrack schreiben soll, sind doch alle Umstände so verzerrt. In einem Interview mit den Kollegen von Condé Nast Traveller antwortet Debbie Harry nämlich beispielsweise auf die Frage, was sie sich erhoffe, den Zuschauern mit dem Film mitzugeben, dass es zwar immer im Auge des Betrachters läge, aber die enorme Wärme des Films die Leute dazu bringen könne, nach Kuba zu gehen, ohne wirklich zu realisieren, was es ist, das sie anzieht. Die Presseinfo klärt mich auf, dass wohl nicht nur eine altromatisierte Träumerei keinen Weg um eine Verlegung des Veröffentlichungsdatums finden konnte, sondern der Film Themen wie den Einfluss kubanischer Künstler, den Übergang von Havanna nach New York City und die Politik beleuchtet. DIE POLITIK!?

Ich bin davon überzeugt, dass all diese Konzerte, wie sie ja auch schon beispielsweise von den Stones gespielt wurden, unfassbar viel für die kubanische Bevölkerung tun, aber im gleichen Gedankenprozess beginnt eine Ikone meiner jungen Jahre heftig zu bröckeln. Allein, weil sie jetzt, wo es wirklich darum geht solidarisch zu sein, ganz offensichtlich schweigt.

Dreamin‘ is free – möchte man denken…

In „Dreaming“, dem letzten Song des Sountracks, singt man „I sit by and watch the river flow. I sit by and watch the traffic go. Imagine something of your very own, something you can have and hold. I’d build a road in gold just to have some dreamin‘ – dreamin‘ is free” und die Pressemitteilung schreibt „2019 wurde für die ikonische Band ein 40 Jahre langwährender Traum wahr“ – harren wir der Dinge, wieviel dieser mit Sicherheit echt gut gedrehte Musikfilm mit seinem Soundtrack denen zurückgeben wird, die sich die eigenen Träume von „belanglosen“ Menschenrechten nicht erfüllen können.

Trailer: Blondie – Vivir en la Habana

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