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Boatless Booze Cruise: Der Nachmittag

Boatless Booze Cruise 2020 Hamburg Online Festival

Foto: Maria Graul

Es ist 15.32 Uhr. Wir läuten den Nachmittag ein. Dreieinhalb Stunden Boatless Booze Cruise Festival liegen bereits hinter uns (Konzertbericht) und um ehrlich zu sein, hat sich „I am a real American“ wie Kaugummi in meinem Gehörgang festgeklebt und ab und an tanzt Terry an meinem inneren Auge vorbei. Ich habe Kaffee gekocht. Unter uns: Kaffee und Weißwein bilden ein ganz hervorragendes und genüssliches Wechselspiel.

„Ich finde es toll, dass so viele Künstler einen Weg finden, derzeit ihre Musik zu verbreiten.“

Craig Shay – In den Straßen von New York

Währenddessen meldet sich Craig Shay aus New York auf dem Bildschirm, besser gesagt aus den Straßen von New York. Er sitzt mit Elle und Hund Chester in einem Auto und erklärt dem mittlerweile hier und da leicht angetüdeltem Publikum, dass das eine nötige Maßnahme sei, da es bei ihm erst 10.20 Uhr sei und er seine Nachbarn schonen wolle. Löblich, erklärt aber auch postwendend, warum es bei Terry von The Jukebox Romatics kurzzeitig an der Wand klopfte. Craig ist davon überzeugt, dass es ihm auch gelingen würde, vor mehr, als zehn Leuten zu spielen und Alexander ist fasziniert von der guten Akustik des Autos. Car-Acoustic-Shows scheinen der neue heiße Scheiß zu werden.

Nach der Quarantäne Neuschöpfung „Getting drunk every night. It´s alright, it´s alrigt!“, stimmt Craig den Cold Wrecks Song „Garbage Universe“ an. Auch Jonas erneuert eine Cold Wrecks Zeile des angestimmten Songs „Therapy“ und stellt fest, dass er vermutlich an der Reihe sein wird, wenn die Quarantäne durch ist, worauf Dan zustimmend antwortet, dass das nicht wahrer sein könnte.

Tierische Freunde

Mittlerweile vermute ich, dass sich die Stellenbeschreibung der vielzähligen Haustiere ein wenig verändert. Ich meine ganz ehrlich, es tun sich Chancen auf, die sonst nahezu unmöglich sind. Das Kino in meinem Kopf läuft an und ich sehe Jason S. Thompson mit seiner Katze auf einem Barhocker in Hannover sitzen oder Terrys Sirius durch den Plattenladen fegen. Shows müssten dann in der Regel eher leise sein, aber ich hätte grundsätzlich so gar nichts gegen ein paar tierische Freunde.

Chester gibt neben Craig alles und wird natürlich zum Publikumsmagneten. Für Luisa ist es das bisher beste Konzert. Das Publikum interagiert hoch motiviert und feuert Craig ordentlich an. Dieser gibt unterdessen den Song „Long Island“ zum Besten. Sam trifft mit den Worten „Ich finde es toll, dass so viele Künstler einen Weg finden, derzeit ihre Musik zu verbreiten.“ voll ins Schwarze. Zur Belohnung verrät Shay, dass seine Band Answering Machine ein neues Album veröffentlichen wird. Es wird „Bad Luck“ heißen und am 17. April erscheinen.

Alles steht kopf – fast

Jetzt geht’s richtig rund und Custody aus Järvenpää stehen ab der ersten Sekunde (fast) Kopf. Ich habe es ja schon mal gesagt, beim Boatless Booze Cruise gibt es keinen doppelten Boden, das ist alles so DIY, dass die Fans unter tosendem Bildbeweis nachziehen und prompt ihre Übertragungsmedien auf die Seite stellen. Custody beschreiben ihr Tun als wohlklingende Töne, die die Musiker glücklich machen: „Wir klingen wie Sergie Loobkoff bei einem Messerkampf mit Matt Pryor und Mike Carter in den 90ern.“ Da packt sogar Dave Collide seine Finnischkenntnisse aus. Höchst professionell ziehen die selbsternannten #daddypunks durch und verabschieden das virtuelle Publikum mit dem wohlgemeinten Rat, auf sich aufzupassen. Eine Message, die vielleicht lange nicht so eine große Bedeutung hatte, wie im Moment.

„Was für ein Glück, all diese großartige Musik mit Euch teilen zu dürfen.“

Waffeln, Kaffee, Erdbeermarmelade und Bier

Während Niels „Chili ohne Fleisch, aber mit guter Musik“ kocht und Dennis sein Weißbier in Richtung Punkrock Familie erhebt, loggt sich Wesley Neil von Late Bloomer aus North Carolina ein und startet mit dem Song Heaven in sein Live Set. Das Publikum begrüßt den Musiker freudig und einige Fans feiern nun Open Air. Während sich Jan und Familie an Waffeln mit Erdbeermarmelade stärkt, ruft Albert aus dem Publikum: „Danke Wes. Bald sehen wir uns auf der Straße wieder!“ Der Musiker stimmt den Song „Listen“ an. Ich bin immer noch ein wenig von dem wunderschönen Stillleben aus Bier, Kaffee, Waffeln und Erdbeermarmelade im Garten fasziniert. Das sieht so richtig schön aus.

Wesley hat mittlerweile 239 Fans vor der Bühne versammelt und stimmt ein paar ruhigere Töne an. Es wird höchste Zeit mal durchzuschnaufen. Dann gibt es eine Weltpremiere. Neil spielt einen Song, den bisher nur die Band gehört hat und Joshua verrät, dass bald ein neues Album erscheinen wird. Was für ein Glück, all diese großartige Musik mit Euch teilen zu dürfen. Wenn wir sonst immer von einer gut interagierenden Symbiose zwischen Musiker und Publikum schreiben, zeigt Ihr nun, dass das wohl nie so ganz gelogen war. Als Wesley feststellt, dass es echt komisch sei, dass kein Publikum vor ihm stehe, rappelt die Kommentarkiste rechts neben ihm und Maximilian holt den Malört raus. Wenn das mal keine Kopfschmerzen nach sich ziehen wird. Während „Life Is Weird“ vom Album „Waiting“ gespielt wird, erklärt Alex die Show zum Set des Tages und Simon erinnert, dass Terrys Intro wohl keiner schlagen wird.

Bow down to me. Radon. Radon. Radon.

Nach einer kurzen Pause wärmt sich Dave Rohm von Radon schon mal an den Saiten auf. Radon ist eine echte Legende. Eine der Bands, die in der Gainesville Szene nicht nur ein bisschen angesagt waren und sind. Aufwärmen ist allerdings auch eine der ersten Assoziationen, wenn ich mir die Location anschaue. Eine Mischung aus Muckibude und Werkstatt und Dave wird gleich aufklären, dass wir ihn in seiner Garage antreffen. Wahnsinn, wie vielfältig und abwechslungsreich die Locations gewählt werden. Stefan fragt unterdessen höflich, ob er nicht jemanden mit PBR bewerfen könne und Peter meldet sich sofort einsatzbereit. „Go, Dave, Go“, schreit es aus dem Publikum und Dave gibt alles, während ihn die Crowd in altbekannter Tradition „Bow down to me. Bow down to me. Radon. Radon. Radon.“ skandierend übertönt. Für Harley ist Dave ein amerikanischer Held.

„Erinnerungen, die nicht mal einen Fotobeweis bräuchten“

Raus aus dieser ganzen Scheiße

Sarah Blumenthal schlägt mit ihrer Band Alright eigentlich härtere Töne an. Heute ist es ganz sanft. Es fühlt sich irgendwie versöhnlich mit der Welt da draußen an und die Musikerin aus Charlotte überzeugt mit ihrer zauberhaften Stimme. Überhaupt ist es jetzt, im Vergleich zum Mittag, ernsthafter geworden. Man lauscht dem Gesang. Der eine oder andere träumt sich weg. Raus aus dieser ganzen Scheiße, in der diese Welt gerade steckt. Aus einer Welt, die ganz plötzlich so eingeschränkt ist, wie es keiner von uns bis dato kannte.

Aber Freunde, wir haben ein paar sehr wichtige Fähigkeiten, die uns auch kein Virus so schnell nehmen kann. Ihr alle habt Euch, diesen unfassbar schönen Haufen Menschen, der hier zusammengekommen ist. Vielleicht sind wir die größte, die vielfältigste und kreativste Familie der Welt. Nutzt die Zeit, die Ihr gerade habt und schaut Euch die Bilder des Sonntags komprimiert in all ihren Farben an, denn ihr habt so viele Ideen, Euch gegenseitig Mut und Freude zu schenken. Das Beste daran ist, dass Ihr das sogar schafft. Nicht nur in Hamburg, sondern in dieser ganzen so verdammt riesigen Welt. Ihr vergöttert diese Musik so sehr, dass ich Euch sogar in den Kommentarspalten hab singen hören. Und am Ende bleiben Euch immer noch all die gemeinsamen Erinnerungen. Erinnerungen, die nicht mal einen Fotobeweis bräuchten, weil sie allein durch dieses eine unfassbar starke Gefühl so tief in Euch verankert sind.

„Kannentime“

Die Meute bebt

Ohne große Verschnaufpause geht es auf Archis Kommando (aus dem digitalen Off) mit Chris Gins The Sewer Rats Show los. Naja, so ganz kann man das wohl nicht Off nennen, da Chris den Rest der Kölner Ratten prompt durch Danny Dillingers Armschwenk einblenden lässt. Chris spielt Songs aus alten und neuen Scheiben und die Fans in der Kommentarspalte überschlagen sich fast: Dan zum Beispiel stellt fest, dass er nun schon dreimal so schnell trinkt und Archi weiß das auszugleichen und beruhigt Dan damit, dass Chris 3x so langsam spielt. Nils aus Hannover schreit „Kannentime“ in die Menge und David ist bereits bei der fünften Pilsette – die Meute bebt. Während „(I Would) Run to the Hills (For You)“ zum Besten gegeben wird, bahnt sich im Publikum ein neues Bandprojekt an, denn Covid 19 klingt für Simon Harris, wie eine Ska-Punk-Band mit maximal 18 Mitgliedern. Florian erkennt an, dass Chris konzentriert echt fehlerfrei spielen kann und wir, dass er jeden bewirbt, außer uns, weshalb dieser Absatz nun zu Ende ist!

Archi goes to Booze Cruise

Archi, der nicht nur zu den Sewer Rats, sondern auch zur Count Your Bruises Familie gehört und der Onkel von Terrys Hund Sirius ist, switcht rein und löst den Kanal von Bandkollege Chris Gin ab. Über 200 Leute sind dabei und Archi grüßt von der anderen Seite Kölns. Dave Collide erarbeitet sich allmählich das Partykönig-Zepter und Archi covert den Ramones Song „Bonzo Goes to Bitburg“. Das Publikum zeigt sich textsicher, wirft mit Herzen um sich und singt lauthals schreibend mit. Als Archis Quarantäne-Plattenempfehlung lege ich das Apologies I Have None Album „London“ fest, da es so unübersehbar den Hintergrund des Wohnzimmers schmückt. Außerdem scheint man in Köln jetzt ausnahmslos Broken Bootlegs zu tragen.

Bildergalerie: Boatless Booze Cruise

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