Nach dem 2019 erschienenen Coveralbum „Hartgeld im Club“ (Albumreview), das sogar eine Top-5 Platzierung erreichte, melden sich Callejon dieses Jahr mit „Metropolis“ zurück. Ein großer Name, angelehnt an das Filmprojekt von Fritz Lang und Thea von Harbou, vor dessen Kulisse die Band eine neue dystopische Welt auferstehen lässt – oder ist es doch die alte? Es wird düster, verdreht, überraschend und aufregend: Willkommen in Metropolis!
„“Metropolis“ ist ein verdammt starker Anwärter auf das Album des Jahres!“
Das Tier im Menschen
Im Mai öffneten Callejon die Tore zu „Metropolis“ mit dem gleichnamigen starken Titelsong, der mit einem cinematischen, gut neunminütigen Musikvideo daherkam. Das zeigte bereits den schmalen Grat zwischen Wirklichkeit und Wahnsinn, auf dem die Band dieses Album mehr als gekonnt balanciert. Single Nummer zwei stellte dann mit „Gottficker“ einen der Protagonisten vor, begleitet von einem weiteren Video, das zwischen Kettensäge, Bohrmaschine, Kostümen und Abschlussball so einiges zu bieten hatte, insbesondere den einen oder anderen Liter (Kunst-)Blut.
Die eher schwere, düstere Atmosphäre von „Metropolis“ wird bei „Gottficker“ mit einer Rock’n’Roll-Attitüde versehen, die eine ganz eigene Aussagekraft mit sich bringt. Die Zeile „Du bist der Mensch, ich bin das Tier“ fasst es letztlich zusammen: Die Gestalt mit blutüberströmtem rotem Schädel repräsentiert die egoistischsten und dunkelsten Triebe des Menschen, ohne Rücksicht auf Verluste. Letzteres trifft auch auf „Blut“ zu, den nächsten Titel auf dem Album – hier wird die Moral hinten angestellt. Begonnen mit Geflüster, das mit in einem lauten, aufgeregten Stimmengewirr mündet und letztlich in einem druckvollen Metal-Song endet.
Fürchtet Euch!
Eine Ausflucht bietet „Die Krähe mit dem Schädelbauch“, die mit einem ruhigeren Intro und Refrain grüßt, der sich beinahe wie ein melancholischer Traum anhört und zeitweise Balladen-Charakter hat. Hatte „Metropolis“ noch die Ansage „Und bin ich wiedergeboren / Dann kämpf ich um dich / Sonst ist alles verloren„, geht es nun um Verlust, nach dem die Welt nur noch ein farbloser, grauer Ort ist. Der Weckruf folgt mit „Fürchtet euch!“, das heute – kurz vor Albumrelease – frisch erschienen ist. Man fühl sich von erster Sekunde an nahezu nostalgisch, verheißen doch bereits die ersten Noten einen Hauch guten ‚alten‘ Metalcore, wie er seinerzeit groß geworden ist. Dass Nostalgie nicht langweilig sein muss, beweisen Callejon und stellen hier ein kleines Highlight vor. „Siehst du nicht / Was dich erwartet?“ fragt der Song und klagt „Sie verbrennen deine Zukunft, als ob es ihre wär“. Fremdbestimmung und die Ratlosigkeit ohne sie, wenn nichts anderes bekannt ist blicken in einen Abgrund, kurz vor dem Kollaps.
Die Lösung aller Probleme und menschliche Abgründe
„Die Fabrik“ verspricht die Lösung zu kennen: Konsum! Stampfend hört man sie arbeiten, bevor Sänger Bastian „BastiBasti“ Sobtzicks Stimme die Monotonie zerreißt, unmittelbar gefolgt von hektischen Riffs, die auch die letzte Müdigkeit vertreiben. Manisch steigert sich der Gesang in die Begeisterung für das Neueste vom Neuen, während die Maschine vertraulich flüsternd verspricht Wünsche erfüllen zu können. Sie weiß, was hilft: „Kauf einfach ein!“ und kennt Dich besser als Deine Mutter. Vertrauenerweckend, nicht?
Schließlich verhallt das pulsierende, maschinelle Stampfen und weicht den düsteren, bedrohlichen Klängen, mit denen „Der Wald“ lockt. Langsamer, dafür schwerer und drückender breiten sich die Melodien und Wurzeln im Raum aus, versprechen Vertraulichkeit und Trost. Strophen mit Klargesang und Refrain mit Screams zeugen von Geheimnissen und Kummer, die der Wald vertrauensvoll in sich aufnimmt und lassen doch Zweifel daran, ob es tatsächlich einen Weg gibt, der auch wieder aus dem dunklen Gehölz herausführt.
Wer lieber nach einer helfenden Hand greift, den grüßt der „Herr der Fliegen“, denn er weiß, dass er am Ende gewinnt. Ohne Intro geht es direkt schwungvoll los, richtet jeden gegen jeden und lobt die „Schöne neue Welt“. Ganz nebenbei tut sich ein Pit im Wohnzimmer auf – oder ist es ein Abgrund? Denn der Herr der Fliegen ist seinerseits dafür bekannt, das Tier im Menschen zum Vorschein zu bringen. Ob im Pit oder im Spiegel ist dabei sicher gleich, Egoismus wird gepredigt.
„Es ist ein Spiegel für die Gesellschaft und zeigt deutlich und symbolträchtig menschliche Abgründe auf.“
Die unendliche Geschichte – oder doch nicht?
„Misraim“ entschleunigt für eine Minute und führt uns tiefer in die „Katakomben“, die wie der Titel vermuten lässt, in einem mächtigen, dunklen Klanggewand in ihren Bann ziehen. Hier und da meint man, leises Geflüster vernehmen zu können, das jedoch nie in den Vordergrund tritt. Großteils wird der Song von BastiBastis Stimme getragen, die dem Ganzen die richtige Dramatik verleiht, mit eher sporadisch doch gewählt gesetzten Screams.
Die Dunkelheit wird von blinder Wut zerrissen. „Dies Irae“, übersetzt „Die Tage des Zorns“ lädt noch einmal zum Moshen ein, besingt mit wütenden Screams die Apokalypse und ruft zur Revolution auf. Das Intro erinnert an ein E-Piano und deutet entfernt auf Giorgio Moroders Version des „Metropolis“-Soundtracks. Zuletzt verkünden „Gestade der Vergessenheit“ das Ende der Geschichte und das mit einem Knall. Sechs Minuten sind für einen Song nicht gerade kurz, doch präsentieren Callejon hier eine starke, wuchtige Metal-Nummer, die mit gesprochenem Schlussteil das Ende markiert.
Willkommen in Metropolis
Thea von Harbou schrieb in ihrem „Metropolis“: „Dieses Buch ist kein Gegenwartsbild.
Dieses Buch ist kein Zukunftsbild. Dieses Buch spielt nirgendwo. Dieses Buch dient keiner Tendenz, keiner Klasse, keiner Partei. Dieses Buch ist ein Geschehen, das sich um eine Erkenntnis rankt: Mittler zwischen Hirn und Händen muß das Herz sein.“ und schuf damit gemeinsam mit Fritz Lang eine zeitlose Geschichte, die bald 100 Jahre alt wird.
Callejon haben sich mit „Metropolis“ eine wunderbare Kulisse gesucht und geschaffen, zeichnen damit aber sehr wohl ein Gegenwartsbild, irgendwo zwischen Wut und Verzweiflung, Hoffnung und Aussichtslosigkeit und einem nahezu nihilistischen Ende. Es ist ein Spiegel für die Gesellschaft und zeigt deutlich und symbolträchtig menschliche Abgründe auf.
Musikalisch dürften sich gerade Fans früherer Werke freuen, geht es nach „Fandigo“ (Albumreview) doch zurück zu den Wurzeln mit tragenden Screams und Klargesang, beides jedoch deutlich ausgefeilter. „Metropolis“ klingt neu und aufregend und beweist einmal mehr, warum Callejon zu einer Institution in Sachen deutschem Metal geworden sind. 10 Jahre nach „Videodrom“ und seit der ersten Single läuft die Band bei mir wieder in Dauerschleife und so kann ich nicht anders, als zu sagen: „Metropolis“ ist ein verdammt starker Anwärter auf das Album des Jahres!
Video: Callejon – Metropolis