Hot Water Music veröffentlichen im 28. Jahr ihres Bestehens ihr neuntes Album „Feel The Void“. Wir trafen uns zu diesem Anlass für ein überraschend ausführliches virtuelles Gespräch mit Chris Wollard, einer von zwei Stimmen der Gainesville Legenden. In Teil Eins des Interviews sprechen wir über die Entstehung des neuen Albums, den zweiten Chris in der Band und Demokratie im Studio – bis die Verbindung plötzlich abreißt.
Hi Chris! Wie geht’s dir? Wo treffen wir dich gerade?
Mir geht es hervorragend, danke. Ich bin hier im wunderschönen Gainesville, Florida.
Euer neuntes Studioalbum – wenn man „Finding The Rhythms“ nicht mitzählt – namens „Feel The Void“ wird in zwei Wochen erscheinen. Bist du aufgeregt? Wie sind deine Erwartungen?
Ja, “Finding The Rhythms” zählt nicht, haha. Was “Feel The Void angeht”: Ich habe eigentlich gar keine Erwartungen. Für mich ist es Kunst und ich mache Kunst frei von Erwartungshaltung. Du weißt nie wirklich, wie deine Kunst bei Außenstehenden ankommen wird – und darum geht es eigentlich auch gar nicht. Was ich aber sagen kann: Wir haben gerade ein sehr langes Wochenende zusammen verbracht – die Band, unsere Roadies, Freunde, unsere Videocrew. Und alle sind superglücklich und langsam steigt die Aufregung bei allen Beteiligten. Ich habe ja noch nicht mal eine Kopie des Albums und kann es deswegen gar nicht erwarten, endlich die Platte in der Hand zu halten und aufzulegen!
Also hast du das fertige Ergebnis noch gar nicht hören können?
Doch, es gab natürlich eine Testpressung. Aber das ist eben noch etwas anderes. Wir haben ein Motto: „It’s not final – until it’s vinyl“. Du hörst nie auf, daran zu arbeiten, bis du wirklich das Endprodukt in den Händen hältst. Das ist dann der Moment, an dem du realisierst: „Ok, das war es, jetzt kann ich wirklich nichts mehr ändern“, haha.
Es ist auch euer erstes Album in fünf Jahren.
Ehrlich, fünf Jahre? Ich weiß, dass es das erste Album seit „Light It Up“ ist, aber ich habe keine Ahnung, welches Jahr das war (lacht).
Ja, „Light It Up“ erschien tatsächlich 2017. Dazwischen gab es noch die EP „Shake Up The Shadows“, auf der auch schon Chris Cresswell (Anm. d. Red.: Frontmann der Flatliners und zunächst Live-Ersatz für Chris Wollard) zu hören war. Chris gehört inzwischen fest zur Band und ihr seid nun ganz offiziell zu fünft. Wie hat sich das bei den Arbeiten am Album angefühlt?
Einerseits hat es sich überhaupt nicht verändert. Ein Studio ist eine ganz intime Umgebung, ebenso wie der Proberaum. Man geht mit einigen Ideen rein, jeder hat natürlich Sachen im Kopf, an denen man schon länger arbeitet, aber sobald du den Raum betrittst, verfolgen alle zusammen dasselbe Ziel. Dieses Ziel ist am Anfang nur schwer greifbar und ändert sich ständig. Es kommt dabei gar nicht darauf an, wessen Idee den Prozess startet, von hier an ist es eine reine Mannschaftsleistung.
Und dann ist es doch jedes Mal aufs Neue anders. Dabei spielt es keine Rolle, dass da immer dieselben vier Leute zusammenkommen, jedes Album fühlt sich anders an. Es gibt immer Herausforderungen, auf die du nicht vorbereitet warst.
Wenn dann jemand Neues dazukommt, verändert sich natürlich auch die Atmosphäre. Das bezieht sich aber nicht nur auf Chris, sondern gilt ganz allgemein – sei es ein neuer Produzent oder nur ein anderer Soundingenieur im Studio – immer, wenn neue Leute dazukommen, kommen auch automatisch neue Sichtweisen dazu. Das führt zu Veränderungen, die aber gut sind. Du vertraust diesen Menschen und willst ihren Input haben. Es geht um Respekt gegenüber allen Beteiligten und darum, dem Anderen zuzuhören – warum sonst bist du da?
Chris spielt jetzt schon sehr lange die Shows als Teil von HWM und hat in dieser Zeit gelernt, wie die Dynamik innerhalb der Band funktioniert, wie wir miteinander reden und interagieren. Er hat sich dadurch schnell seinen eigenen Platz und seine eigene Rolle geschaffen. Und er hat gelernt, wie unsere Songs entstehen und wie unser Kreativprozess funktioniert. Dadurch konnte er schon mit sehr festen Vorstellungen mit uns ins Studio gehen.
Wie liefen dann die Aufnahmen ab? Konntet ihr alle zusammen vor Ort sein?
Wir hatten zum einen die Black Bear Studios hier in Gainesville und zusätzlich noch ein Haus angemietet, welches wir quasi als paralleles Studio nutzten. Das lief dann so ab: George hat im Hauptstudio an den Drums gearbeitet, während Jason im Haus den Bass eingespielt hat. Auf dieser Basis haben Chris und ich wiederum einen Großteil der Rhythmusgitarren im Studio mit Ryan Williams, dem Soundingenieur, eingespielt. Und Chuck hat im Haus mit dem Produzenten seine Vocals aufgenommen. Sobald das erledigt war, haben wir getauscht. Auf diese Weise gab es so gut wie keine Leerlaufzeiten, alle hatten ständig etwas zu tun.
Das Beste daran war: Wir hatten eine direkte Verbindung zwischen den beiden Studios: Sobald etwas im Studio eingespielt war, konntest du es im Haus direkt hören und umgekehrt. Wir konnten ständig miteinander kommunizieren. Das war wirklich cool.
Wie ist dein persönliches Verhältnis zu Chris? Er ist ja schnell fester Teil der Familie geworden, ist ja aber gleichzeitig als dein Ersatz zur Band gestoßen.
Als der Studiotermin anstand, hatte ich schon ein wenig Sorgen, wie es laufen würde. Denn wie gesagt, er hat mit den anderen Jungs durch die vielen Shows schon eine enge Bindung aufgebaut, was uns natürlich fehlte. Doch ab dem Zeitpunkt, an dem wir anfingen, im Studio zusammen zu arbeiten, waren wir unzertrennlich! Wir haben quasi jeden Tag zusammen an den Gitarrenparts gearbeitet. Es war wirklich großartig. Ich will jetzt vermeiden zu sagen, dass das überraschend war, denn Chris ist ein absoluter Profi, aber es war einfach eine super positive, energiegeladene Atmosphäre. Es hätte viel schiefgehen können, aber das ist zum Glück nicht eingetreten.
Hattet ihr vorab jeweils feste Songideen im Kopf, oder entstehen die Songs immer erst gemeinsam? Schließlich wart ihr über die Jahre an so vielen verschiedenen Bands und Projekten beteiligt oder auch komplett als Solokünstler unterwegs, dass da sicherlich viel Rohmaterial vorhanden sein muss.
Das ist ziemlich unterschiedlich. Manche Songs entstehen komplett als Teamarbeit, manchmal bringe ich eine Idee mit oder Chuck stellt uns eine Songskizze vor. Aber der Punkt ist: Egal, wer welche Idee hatte und einbringt, sobald wir beginnen, als Band daran zu arbeiten, wird es zu einer Teamleistung. Es gibt keinen einzigen Song von Hot Water Music, den jemand komplett allein geschrieben hat, kein Song gehört einer Einzelperson.
Viele Fans haben da vielleicht einen anderen Eindruck. Kannst du das nachvollziehen?
Ja, die Leute denken immer „Oh, das hier ist ein Chuck-Song und dieser hier einer von Chris“, aber sie liegen damit nie richtig. Wirklich nie. Nimm „Trusty Chords“: Da singe ich ganz offensichtlich, dabei war es Chuck, der die Vocals in der ersten Aufnahme übernommen hat. Da hatte der Song noch eine ganz andere Struktur. Nach der ersten Aufnahme gefiel uns aber irgendwie nichts – bis auf die Bridge. Wir haben dann alles andere verworfen und über Nacht einen komplett neuen Song darauf aufgebaut, auf dem ich nur singe, weil Chuck am nächsten Tag keine Zeit hatte. Das ist nur ein Beispiel. Es gibt so viele Songs, bei denen Chuck Lyrics singt, die ich geschrieben habe und andersrum. So arbeiten wir einfach.
Ihr seid also recht unvorbereitet ins Studio gegangen? Oder habt ihr euch auch im Vorfeld proben?
Wir haben eine lange Zeit ziemlich weit voneinander entfernt gelebt, nur George und ich sind hier in Gainesville geblieben. Das hat sich entsprechend auf unsere Arbeitsweise ausgewirkt. Jason ist aber letztes Jahr wieder zurückgezogen, also haben wir für „Feel The Void“ beschlossen, so zu arbeiten, wie wir es früher gemacht haben, als wir alle noch in Gainesville lebten. Damals war es ziemlich wild, wir haben fünf Tage die Woche geprobt. So sind wirklich alle Ideen gemeinsam entstanden. Zu diesem Gefühl wollten wir wieder zurück.
Wie können wir uns das vorstellen?
Wir haben mit unseren Sessions vor etwa einem Jahr begonnen. Jason, George und ich haben uns im Studio eingemietet, nur Drums, Bass und Gitarre aufgebaut und losgelegt. Zu dem Zeitpunkt habe ich überhaupt nicht über Lyrics nachgedacht, sondern einfach nur Riffideen mitgebracht, die ich schon länger im Kopf hatte. Chuck und Chris haben uns ebenfalls ihre Ideen geschickt. Jason und George haben dann verschiedene Sachen dazu probiert und wenn das Ergebnis gut war, haben wir es aufgenommen und wenn nicht, direkt verworfen. Wir haben also ein gutes Jahr nur Ideen hin und her geworfen. Dabei sind so in etwa 50 Ideen entstanden, woraus etwa 20 ziemlich fertige Songs geworden sind, aus denen wir wiederum die besten 15 ausgesiebt haben. Und dann beginnt der Prozess:
Wir nehmen ein Whiteboard, schreiben alle 15 Songs auf und all unsere Namen dazu: Chuck, George, Jason, Chris, der Produzent, der Soundingenieur und ich. Alle sieben Namen, die an der Produktion beteiligt sind. Jeder bekommt einen eigenen Marker und dann wird gewählt. Dabei hat jeder das gleiche Stimmrecht.
Die besten sechs oder sieben Songs stehen schnell fest, weil jeder davon begeistert ist. Aber irgendwann kommt der Punkt, an dem es nur noch zwei freie Plätze auf der Platte gibt, aber noch vier Songs zur Wahl stehen. Und dann geht zu wie vor Gericht: Jeder steht einmal auf und hält ein Plädoyer für seine Songwahl und versucht so, die anderen auf seine Seite zu ziehen. Wir waren sieben Leute, also konnte es kein Unentschieden geben, so dass –
Die Verbindung bricht an diesem Punkt überraschend nach nur 30 Minuten ab. Warum trotzdem noch zweieinhalb Stunden Gespräch folgten, ob Chris jemals wieder auf der Bühne stehen wird und warum Hot Water Music sich wohl nie wieder auflösen, beantwortet Teil Zwei des Interviews. Stay tuned!