Die Descendents bringen das seltene Kunststück fertig, nach sieben Alben und 43 (!) Jahre nach Gründung mit „9th & Walnut“ ihr eigentliches Debütalbum zu veröffentlichen – und das in Originalbesetzung. Eine Zeitreise.
Manhattan Beach, Kalifornien, Ende 1978: Bill Stevenson (Drums) und Tony Lombardo (Bass) schließen sich Frank Navetta (Gitarre) an, der Mitglieder für ein Projekt namens „Descendents“ sucht. Das Trio nimmt in Eigenregie eine Single mit zwei Songs auf, bei denen sich Navetta und Lombardo den Gesang teilen, ehe sie mit Milo Aukermann den Platz am Mikro besetzen (und nebenbei eine der größten Punkikonen überhaupt erschaffen). 1982 erscheint in dieser Besetzung die „Fat EP“ sowie das offizielle Debütalbum „Milo Goes To College“. Spätestens ab hier ist der Rest bekannte Geschichte, zu der diverse Auszeiten und Line-Up-Wechsel gehören.
Was lange währt
Doch die Songs, die zwischen Gründung und der „Fat EP“ entstehen, werden bis auf zwei Ausnahmen nie aufgenommen, geschweige denn veröffentlicht. Erst 2002, als sich die Band mal wieder in einer ihrer mehrjährigen Auszeiten befindet, trifft sich die Urbesetzung (Navetta und Lombardo verließen die Band noch vor dem zweiten Album), um die Songs der Gründungsphase aufzunehmen. Es sollten aber nochmal 19 Jahre vergehen, ehe sie eine offizielle Veröffentlichung erfahren – die Descendents sind nun mal keine Band für Schnellschüsse. Tragischerweise erlebt Navetta die Veröffentlichung nicht mehr – er verstirbt bereits 2008.
Was kann der Fan also von den 18 Songs erwarten, die quasi das Debüt vor dem Debüt bilden? Im Grunde das, was die Band seit den frühen 80ern eben auszeichnet: Stevenson bereitet das Fundament mit dem immer noch akkuratesten Schlagzeugbeat im Punk, auf dem die melodischen Bassläufe von Lombardo und Navettas messerscharfe Riffs den aggressiven Gesang von Milo in Szene setzen, der in unnachahmlicher Manier über gesellschaftliche Zwänge wettert oder unkitschig-kitschige Liebeslieder singt.
More of the same?
Wer „Milo Goes To College“ oder „I Don’t Wanna Grow Up“ kennt, der weiß, wie das klingt. Der Mix aus schunkeligem Surfrock („I’m Shaky“), hittigem Powerpop („Mohicans“) und aggressivem Punk mit Nähe zum 80er-California-Hardcore („Like The Way I Know“) ist so charakteristisch wie eigenwillig. Das Händchen für treffsichere Hits, welches sie später auszeichnete, fehlt hier aber noch größtenteils – was aber in der Natur der Sache liegt. Trotzdem: Die schiere Masse an Songs, die selten länger als eine Minute dauern, lassen häufiger das Gefühl von Monotonie aufkommen.
Interessant sind neben einigen Highlights, wie dem eingängigen „To Remember“ oder dem Ramone’esken „You Make Me Sick“ auch die Neuauflage der zwei Songs der allerersten Single „Ride The Wild“ und „Like The Way I Know“, die im Original doch noch recht weit weg vom Trademarksound entfernt waren. Zum Abschluss gibt es noch eine Coverversion des Dick Clark Five-Klassikers „Glad All Over“ von 1963, das in der Descendents-Behandlung erstaunlich originär klingt und beweist, wie weit die Wurzeln ihres Sounds eigentlich zurückreichen.
Fazit: Unterm Strich ist „9th & Walnut“ (übrigens die Adresse ihres ersten Proberaums in Long Beach) irgendwas zwischen Raritätensammlung und Demotape – Ein netter Spaß und eine beeindruckende Zeitreise, wirklich interessant aber nur für eingefleischte Fans.