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Drangsal im Interview

Drangsal im Interview

Foto: Max vom Hofe

Drangsal aka Max Gruber gehört seit Jahren zur Créme de la Creme der deutschen Indie-Pop Landschaft. Vor einer Woche erschien sein drittes Album „Exit Strategy“ (Albumreview), welches sich seitdem auf den Top Chartplatzierungen hält. Kurz vor dem Release sprach Max mit uns über seine Bühnenpräsenz, seine Liebe zu Kitsch und seinen Songwriting Prozess.

„Wenn ich an Zufriedenheit oder Identität denke, dann denke ich gar nicht so an Äußerlichkeiten, sondern an zwischenmenschliche Sachen.“Drangsal

Wie geht’s dir heute?
Fantastisch

Ich habe direkt vor unserem Interview die neue Folge “Mit Verachtung” gehört und würde daraus resultierend direkt mit dem Thema „Konzerte“ einsteigen – wie fühlt es sich an, wieder spielen zu können?
Ich habe voll Bock! Ich bin einfach happy, dass sich das viele Proben gelohnt hat, dass die Leute da aufgekreuzt sind und sie textsicher waren. Es hat sich zu keinem Zeitpunkt so angefühlt, als hätte es so eine lange Pause gegeben. Das fand ich total schön und es hat mir sehr Spaß gemacht. Nächste Woche geht’s weiter und ich bin ganz happy.

Eine Sache, die einem direkt ins Auge springt, wenn man die ersten Livebilder sieht ist dein Bühnenoutfit. Magst du ein bisschen was dazu erzählen?
Die Anzüge wurden mit der Zeit immer extravaganter, das ist ja jetzt schon eine Weile so. Ich glaube 2018 habe ich das letzte Mal im Jogginganzug performt, dann wurde es kokett. Ich sehe das auch nicht wirklich als Verkleidung. Ich finde ein Konzert ist etwas Besonderes und für mich ist es immer wichtig den Besucher:innen ein nicht nur hörbares sondern auch visuelles Erlebnis zu bieten. Und wenn jemand 2018 bei uns auf dem Konzert war, ist es mir wichtig, dass die Person, dann nicht einfach das Gleiche sieht – natürlich hörst du auch nicht das Gleiche. Deshalb investiere ich immer sehr viele Gedanken und Zeit in das Thema “Wie soll das aussehen”. Früher haben wir mit dem großen Blitz performt – das Zores Logo, was zur Musik geleuchtet hat. Das hat fürchterlich viel Geld gekostet und das würde ich deshalb alleine schon nicht mehr mitnehmen wollen, weil es einfach zu viele Leute schon gesehen haben. Also muss etwas Neues her.

Ich bin vom Scheitel bis zur Sohle – also vom Make-Up bis den Schuhen, einfach komplett neu angezogen. Wir haben ein neues Schlagzeug, eine neue Bassdrum, neue Gitarren und wir haben ein neues Backdrop. Da komme ich aus der Kiss oder vielleicht auch Tool-Schule, da Konzerte auch eine visuelle Experience sind. Mir ist es einfach wichtig das zu bedienen. Vor allem, weil es mir Spaß macht. Mir macht es Spaß mich so anzuziehen. Ich habe nicht so den Drang im Alltag fürchterlich krass aufzufallen. Ich wohne jetzt seit fast zehn Jahren in Berlin und mir ist die Lust daran vergangen, mich mit anderen Menschen die tatsächlich cool sind und einen guten Geschmack haben, zu messen. Deshalb nutze ich das auf der Bühne umso lieber.

„Ich finde es einfach spaßig, wenn die Musik nicht allein bei der Musik bleibt.“Drangsal

Also gerade habe ich so einen bunten Anzug an. Ein Freund von mir, der Stylist ist, hat das Layout davon übernommen. Ich trage Rani Bageria Lederstiefel mit großen Absätzen, ein schwarzes Tank Top mit Nähten und dann natürlich die Teufels-Latexmaske. Die wollte ich ursprünglich auf dem Cover von “Exit Strategy” tragen, die war aber ausverkauft und es war nicht genau das, was ich mir fürs Cover gewünscht habe. Die Konnotation war mir dann ein bisschen zu kinky, I guess. Ich wollte auf dem Cover nichts machen, was eine sexuelle Note hat. Und als ich neulich gesehen habe, dass es die wieder gibt dachte ich mir, die wird irgendwo doch noch zum Einsatz kommen. Und jetzt trage ich sie live – für die ersten paar Songs zumindest. Aber mal schauen, zur Tour werde ich mir dann etwas Neues überlegen. Ich finde es einfach spaßig, wenn die Musik nicht allein bei der Musik bleibt.

Du hattest im Podcast auch über Keith Flint geredet und das gesamte Thema der Show Experience. Gibt’s da noch mehr Einflüsse?
Mir war schon immer wichtig, wie die Künstler:innen aussehen. Und die Initialzündung waren für mich Acts wie The Prodigy, Marilyn Manson, Korn und Guano Apes. Alles was in dieser Zeit “hipp” war und später dann war’s für mich auch wichtig. Es gab eine Zeit da war die visuelle Komponente wichtiger, als der Rest. Wes Borland von Limp Bizkit ist ein ganz großes Vorbild für mich was Stage Outfits angeht. Ich habe dann auch Bands wie Mudvayne gehört, die sich zum Anfang ihrer Karriere noch geschminkt haben. Auch Murderdolls – Joey Jordison’s Nebenprojekt und natürlich auch Slipknot. Und das war das Ding: Die Maske ist fürchterlich ungemütlich – leider. Man kann sie schon tragen, aber die Frage ist, wie lange. Außerdem ist sie super pflegeintensiv. Ich dachte mir dann allerdings, wenn Corey Taylor das fast 30 Jahre irgendwie hinkriegt, dann bekomme ich das auch hin. Dadurch ist mein Respekt für Slipknot nochmal erheblich gestiegen. Ich mochte auch schon immer Rob Zombie und Kiss. Auch wenn ich erst spät so einen richtigen Zugang zu der Musik gefunden habe – dann hat es mich aber relativ schnell gepackt. Auch Black Metal ist für mich interessant ist und auch da hat man das Corpsepaint als visuelle Komponente sowie Sachen, die ein bisschen theatralischer sind. Wie Cradle Of Filth. Es gibt wirklich endlos Bands, die man da nennen könnte. Das sind alles Sachen, die mich schon früh begeistert haben. Genauso, wie damals der EMP Katalog zu den Eltern geliefert wurde. Ich finde allgemein das verkleiden, sich schick machen und in eine andere Rolle schlüpfen macht Spaß. Und es ist natürlich ein Privileg das ausleben zu dürfen. Mittlerweile ist es mir nicht mehr ganz so wichtig, wie Künstler:innen aussehen, da haben Produktion, Songwriting und Co. einen höheren Stellenwert bekommen. Aber gerade in den jungen Jahren, in denen man sehr formbar ist, war das für mich das absolute Nonplusultra – frei nach dem Motto “Erstmal müssen die geil aussehen, dann sehen wir weiter” (lacht)

Ich liebe Kitsch!Drangsal

Genau um die Themen Identitäten finden und Selbstbestätigung geht es ja auch auf deinem Album. Auch der Tenor “Du bist gut so, wie du bist”. Da frage ich mich, ist das vielleicht etwas, was du so gerne früher gesagt bekommen hättest? Durch Musik zum Beispiel?
Ich finde auf eine Art ist “Ich bin so, wie ich bin” sowohl ein geiles Statement damit man sich empowered fühlt, aber andererseits ist es auch eine Ausrede. Ich kenne das von Leuten, die sagen “akzeptier mich, wie ich bin oder lass es halt bleiben” – das ist immer auch ein bisschen so, wenn man keine wirkliche „Lust“ hat, sich weiterzuentwickeln. Dann funktioniert das ganz gut. Ich weiß nicht, ob ich mir wen gewünscht hätte, der mir das so explizit gesagt hätte. Ich hatte nie in meinen jungen Jahren diesen Struggle mit meiner Identität oder mit der Art, wie ich mich präsentieren kann. Das kam leider erst später.

Bei den meisten Menschen kommen diese Auseinandersetzungen ja in den jüngeren Jahren und ich denke, dass bei Songs wie “Mädchen sind die schönsten Jungs” besonders bei jungen Menschen eine Art Zuspruch entsteht, oder?
Wenn ich an Zufriedenheit oder Identität denke, dann denke ich gar nicht so an Äußerlichkeiten, sondern an zwischenmenschliche Sachen. Und ich glaube, da hätte ich mir mehr jemanden gewünscht, der mich da an die Hand nimmt, aber mich auch zügelt.

Da wir gerade bei den Inhalten deiner Texte sind – deine Songs sind immer sehr klug und poetisch geschrieben. Besonders die Wortspiele, die teils kitschig anmutend sind. Was ist zuerst da – diese Zeilen oder die Musik selbst?
Ich liebe Kitsch! Meistens ist es echt tatsächlich so, dass die Musik zuerst da ist. Ob ich die Gitarre in die Hand nehme und ein Riff schreibe oder es mit einem Schlagzeug Beat anfängt. Es gibt auf meinem Handy und auf Zetteln einzelne Zeilen, Worte, Wendungen die ich irgendwie cool finde. Aber es ist nicht wirklich so, dass ich das auf irgendeine Weise kultiviere. Es ist eher so, dass der Prozess des Schreibens dann beginnt, wenn schon ein Stück Musik fertig ist. Dann muss es erstmal eine erste Zeile geben. Das fängt aber selten damit an, dass ich eine ganze Zeile habe und die so gut finde, dass ich sie in andere Zeilen einbetten muss. Das heißt, es ergibt sich alles erst während des Schreibens des Songs. Also ich habe kein kleines, geiles Buch voll mit cringy Wortspielen und bastele mir den Song dann drum herum – so ist das nicht. Das gab’s natürlich auch schon, aber das ist wirklich die Ausnahme. Ich fang in 90% der Fälle erstmal mit der Musik an.

Dass manche Sachen einfach passieren und man nicht genau sagen kann, wieso oder warum, ist vielleicht auch ein bisschen das Magische am Musikmachen. Vielleicht ist es auch therapeutische Arbeit, die da geleistet werden muss.Drangsal

Kommst du dann aus Zufall auf diese Wortwendungen oder suchst du gezielt danach?
Nee, ich fang dann an mir den Song anzuhören und schreibe auf, was mir dazu einfällt. Ich habe eine sehr eigene Art und Weise zu formulieren oder ich würde mir wünschen, dass es so ist, dass ich eine eigene Art der sprachlichen Formulierungen habe. Das macht mir natürlich auch Spaß, die Sachen zu finden und danach zu suchen. Es ist auch nicht so, dass ich mich an den Song setze und vom einen zum anderen Moment ist der Text fertig. Das dauert schon Wochen oder Monate bis man an einem Punkt ist, den man irgendwie gut findet. Ich weiß, dass eine meiner größten lyrischen Hürden der Punkt bei “Liedrian” war, als ich musikalisch gerade ein Stück hatte. Dann wollte ich die erste Strophe schreiben und dann weiß ich noch, wie mir “sing lieber wieder liederliche Lieder über dich, du erwiderst diese widerliche Liebe hoffentlich” eingefallen ist – das war so schön und gleichzeitig so schlimm direkt. Ich dachte, das wird mir in der zweiten Strophe nicht nochmal gelingen. Das war einfach Glück und ich struggelte dann auch irgendwie super lang damit, eine zweite Strophe zu schreiben, die äquivalent dazu ist. Das sind keine einfachen Prozesse; es dauert eine Weile, bis alles so steht, dass ich damit happy bin. Allgemein lese ich viele Bücher, höre viel Musik und schnappe dann vieles auf. Wo genau das herkommt, weiß ich eigentlich nicht, aber ich denke, das Wissen würde auch alles für mich entzaubern. Dass manche Sachen einfach passieren und man nicht genau sagen kann, wieso oder warum, ist vielleicht auch ein bisschen das Magische am Musikmachen. Vielleicht ist es auch therapeutische Arbeit, die da geleistet werden muss. (lacht)

Der Song “Liedrian” ist ja eher ein klassischer, geradliniger Rock Song, aber auf der Platte hört man auch viel 80s NDW Einfluss. Ist das für dich eine logische Weiterentwicklung deines Sounds?
Das ist für mich schwierig zu sagen, da ich das nicht so von außen betrachten kann. Die Weiterentwicklung passiert ja passiv. Ich höre Musik und dann mache ich Musik. Und erst, wenn lange Zeit vergeht und wieder eine Sammlung von Songs auf die Leute losgelassen wird, dann merkt man im Bezug zu den Sachen, die man vorher gemacht hat, wo die Veränderungen sind. Aber da ich so lange die ganzen Songs geschrieben und dann aufgenommen habe, ist das gar nicht so ein bewusster Prozess. Es ist nicht so “wow ich will mich jetzt verändern”, ich denke da relativ wenig darüber nach. Ich schreibe erstmal und mache es so, wie es mir gerade in dem Moment gefällt und wie es aus mir herauskommt. Das ist dann am Ende mehr retrospektiv, wenn man merkt “krass das ist eher so oder so”. Ich kann schlecht den Finger drauflegen, welche Dinge mir gefallen. Ich mag die Musik aus den 80ern schon sehr gerne, aber es ist auch nicht so, dass ich das den ganzen Tag höre. Es ist sehr unterschiedlich, aber ich denke nicht, dass sich alles was man hört, so aktiv in dem was man macht niederschlägt. Wenn ich jetzt drei oder vier Wochen Slint höre, würde ich immer noch meine Musik so machen, wie ich sie mache und nicht, wie Slint.

„Die Wut richtet sich immer mehr nach innen und das ist meiner Meinung nach der entscheidende Unterschied.“Drangsal

Ein prägender Satz, der sich für mich durchs Album, aber auch dein Wirken der letzten Monate gezogen hat ist: „there is no guilt in pleasure“. Das zieht sich durch dein ganzes Werk – du durchbrichst Grenzen in Genres, Gender und Songstrukturen.
Ich weiß nicht – das ist so ein „alles in einen Topf werfen“. Ich höre Musik einfach nicht nach irgendwelchen Credos. Ich versuche Musik unabhängig davon zu hören, was jetzt gerade als cool oder smart bewertet wird. Ich höre mir etwas an und wenn es was in mir auslöst, dann ist es gut. Ich bin kein großer Fan von Grenzen, was das angeht.

Du bist kurz vor dem Release und wahrscheinlich kommen nun auch viel Erwartungen von außen auf Dich und Deine neuen Songs zu. Also Menschen, die ihre Erwartungen auf deine neuen Songs projizieren. Wie ist das für dich so?
Wie ich generell mit Feedback umgehe – es ist spannend zu sehen, wie die Reaktionen zu so etwas sind und manchmal können die auch komplett anders sein, als das, was man sich vorher so überlegt hat. Ich glaube, es wird bei einer Musik, die mit Extremen spielt und plakativ ist, an manchen Stellen auch extreme Reaktionen geben. In einem gewissen Grad muss man sich dann frei davon machen. Natürlich freue ich mich, wenn jemanden die Musik gefällt und finde es doof, wenn sie jemanden nicht gefällt. Aber am Ende des Tages ist es ja auch nur Musik und ich finde man darf das alles gar nicht so heiß aufkochen. Es ist eine Geschmackssache und ich weiß nicht, ob es bei Geschmack einen Konsens in Sachen Recht und Unrecht gibt. Ich versuche Musik unabhängig zu hören und mich von den Reaktionen frei zu machen.

Noch einen kleinen Verweis zur letzten Platte “Zores”- titelgebend geht es da auch um Wut. Auf dem neuen Album ist das Thema Wut nicht verflogen, nur anders verpackt. Hat sich dein Umgang mit Wut mit der Zeit verändert?
Ich würde nicht sagen, dass ich milde geworden bin, aber ich bin nicht mehr so getrieben von negativen Gefühlen nach außen. Die richten sich nun mehr gegen mich selber. Das ist wahrscheinlich die Strafe dafür. Man sieht immer erst danach, was man angerichtet hat. Auch wenn ich jetzt nach 2-3 Jahren Arbeit auf das Album blicke, kann ich das erst als Ganzes wahrnehmen. Besonders, wenn kein großer Plan dahintersteckt, weil es kein Konzeptalbum ist. Dann merkt man das, als Schreiberling, im Nachhinein erst ein bisschen. Ich glaube die Wut richtet sich nun immer mehr nach innen, als nach außen und das ist der entscheidende Unterschied meiner Meinung nach.

Danke Max für das tolle Interview! Hast du noch letzte Worte für unsere Lesenden?
Viel Spaß mit dem Album! Ich hoffe, dass es den Menschen Freude bringt, sie begleitet und sie damit Sachen verknüpfen können, die ihnen Spaß machen.

Hier erhältlich
Drangsal – Exit Strategy
Release: 27. August 2021
Label: Universal Music

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