Fast vier Jahre nach dem letzten Album “Wanderer” und 20 Jahre (!) nach der Veröffentlichung des ersten Album „Asunder“ kehrt die wohl sympathischste Metalcore Band Deutschlands Heaven Shall Burn mit einem 19 Songs umfassenden Doppel-Album namens „Of Truth & Sacrifice“ zurück auf die Bildfläche.
„Es begeistert die Abwechslung, die sich bietet, ohne irgendwie konstruiert oder deplatziert zu wirken. Die Tiefgründigkeit und der Sinn für’s Detail werden an vielen Ecken und Kanten deutlich und fordern den Hörer das eine oder andere Mal auf, sich gefälligst Zeit zu nehmen, um sich alles in seiner Gesamtheit anzuhören.“
Nice Guys from Schmollywood
In diesem Fall ist das auch mehr als nur metaphorisch gemeint, denn vorab zur Veröffentlichung des neunten Studioalbums lief im Februar erstmals die Dokumentation „Mein grünes Herz in dunklen Zeiten“ – welche die Band und die Entstehung des aktuellen Albums begleitet – in zahlreichen Kinos deutschlandweit. Neben der „Schmollywood“ Produktion erschienen bisher auch schon vier Songs vorab, die das Warten für alle Fans erträglicher machen sollte.
Die ungewöhnliche Doppel-Video Produktion von „Protector“ und „Weakness Leaving My Heart“ bereitet schon einmal vor für die tiefgründige thematische Auseinandersetzung mit den beiden Hauptthemen, die in den zwei Teilen des Doppel-Albums bearbeitet werden und doch oft nicht losgelöst voneinander betrachtet werden können. „Das Album ist in zwei Platten unterteilt, „Of Truth“ und „Of Sacrifice“, erklärt Maik von Heaven Shall Burn. „Während die erste Platte Zuversicht und Kampfbereitschaft signalisiert, ist die zweite eher nachdenklich und befasst sich mit den Opfern und Kämpfen, welche man für die Wahrheit bereits auf sich genommen hat und auch künftig nicht scheuen wird.“
Der Metalcore-Schuh passt nicht mehr
Soundtechnisch hat sich im Jahre 2020 sicherlich wenig getan – denkste! Sicherlich trifft das weiterhin darauf zu, dass die Scheibe in gewohnt hoher Qualität von Alexander Dietz bestens produziert und gemeinsam mit Tue Madsen vollendet wurde, was auch schon etwas Tradition hat. Aber insgesamt kann man festhalten, dass der Metalcore-Schuh hier längst viel zu klein geworden ist.
Viel mehr wird hier einiges aus der Schublade gezaubert, das so niemals zusammen mit Heaven Shall Burn reingepasst hat. Vom thrashigen Euro-Dance-Bums-Beat über Old School Hardcore Passagen bis hin zum fiesen Death-Speed-Metal-Inferno ist alles dabei. Doch trotzdem wirkt das ganz Werk als solches in sich sehr stimmig, wohl überlegt und liebevoll arrangiert. Es begeistert die Abwechslung, die sich bietet, ohne irgendwie konstruiert oder deplatziert zu wirken. Die Tiefgründigkeit und der Sinn für’s Detail werden an vielen Ecken und Kanten deutlich und fordern den Hörer das eine oder andere Mal auf, sich gefälligst Zeit zu nehmen, um sich alles in seiner Gesamtheit anzuhören.
Hört selbst: Es wird nicht langweilig
Was man im Groben festhalten kann ist, dass natürlich eine Handvoll „typische“ Heaven Shall Burn Songs dabei sind, wie zum Beispiel „Protector“, „My Heart And The Ocean“ und „Thoughts and Prayers“, aber es wird noch viel mehr an musikalischen Arrangements und Soundeinflüssen geboten. Die Dynamik zwischen Passagen mit leisen Orchesterparts bis hin zu Brettern mit vernichtender Doublebass, in denen man in Grund und Boden gegrowlt wird, ist überwältigend. Und es wird auch gesanglich nicht langweilig oder eintönig im Laufe der gesamten Spieldauer, neben instrumentalen Stücken und den bereits erwähnten klassischen Tracks lockeren auch unverhofft cleaner Gesang und Erzählungen zwischendurch die Songs angenehm auf.
Thematisch behandelt „Of Truth and Sacrifice“ verschiedenste Themen, angefangen von alternative Wahrheiten in den verschiedenen Filterblasen der sozialen und sonstigen Medien, um die Spaltung der Gesellschaft, das Erstarken rechter Bewegungen, um die Klimakrise und die Schattenseiten von Kapitalismus, Globalisierung und Digitalisierung bis hin zum Lieblingsschlachtschiff „Tirpitz“.
Perfektes Timing für schwierige Zeiten
Musik findet auf einer tieferen Ebene statt und das, was es in uns auslöst und hervorbringt, ist meist ehrlich und wahr. Heaven Shall Burn profilieren sich, neben ihrem mittlerweile charakteristischen Sound, auch sehr über ihre Authentizität. Wie sie selbst sagen sind sie – was ihre Professionalität angeht – manchmal eine Katastrophe, aber gerade das in Zusammenhang mit der Leidenschaft und dem Charme, der auf dem Boden geblieben Hobbymusiker, nötigt zweifelsohne großen Respekt und Anerkennung ab für das, was Heaven Shall Burn nach wie vor auf die Beine stellen und auch für das, was sie mit dieser Platte geleistet haben.
Passender könnte die Zeit nicht sein, um sich mit diesem Album auseinanderzusetzen, wo doch ein Großteil von uns wohl gerade unfreiwillig einiges an Zeit zu Hause fristen wird. Nehmt Euch die Zeit für dieses wirklich große Werk von Heaven Shall Burn, um es in aller Ausführlichkeit zu hören und findet Antworten, Inspiration oder Trost – was auch immer Ihr gerade sucht.