„Pretty On The Inside“ wurde an dem Tag veröffentlicht, an dem ich vier Jahre alt wurde. Man kann also durchaus träumerisch sagen, dass unser gemeinsamer Weg vorbestimmt gewesen sei. Courtney Love ist für mich ein Phänomen zwischen den Polen. Ich habe mich immer irgendwie von dieser zerbrechlichen, unperfekten und wunderschönen Frau fasziniert gefühlt. Ich denke, dass sie für mich der Inbegriff des Punks ist – frei, desolat, ungestüm und maximal naiv. Dabei darf man nicht vergessen, dass Hole nie nur Courtney Love waren, obwohl die Musikerin faszinierend viel Raum in der Band einnahm und ständige Besetzungswechsel zum guten Ton gehörten. Hole und ich lernten uns bewusst irgendwann zwischen der „Live Through This“ und „Celebrity Skin“ kennen. Jedes der gerade genannten Alben ist wesentlich eingängiger und massentauglicher, als das Debüt „Pretty On The Inside“. Menschen, die mich kennen, durften sich nicht nur einmal anhören, dass ich guten Gewissens abdanken könnte, wenn es nochmal zu einer Reunion kommen würde, die eine gemeinsame Tour mit The Distillers nach – sagen wir mal – Hannover bringen würde. Ein Traum, der sich gar nicht ganz so irreal anfühlt.
„Es ist ein zerfleischendes, wütendes Kapitel, das vermutlich mehr sagt und mehr Punk ist, als alles was in der weiteren Diskografie der Band kommen wird.“
Außer Wertung: „Pretty On The Inside“
„Pretty On The Inside“ ist für mich gleichermaßen faszinierend, wie verstörend. Ich weiß gar nicht, ob heute noch irgendeine Band das Können besitzt, so verzerrend mit weißem Rauschen und Rückkopplungen zu arbeiten, wie Hole es damals, kurz vor dem ersten Bruch der Band, taten. Der Gesang ist bewusst undeutlich, verzerrt und aggressiv, was mit dem teils massiv druckaufbauenden Krach (ich weiß…) eine fantastische Symbiose bildet und manchmal ein paar Kopfschmerzen macht. Dass Hole dadurch eine Brücke zur Anfang der 90er Jahre entstehenden Washingtoner Riot-Grrrl-Szene gebaut bekamen ist, lässt man die politische Gleichgültigkeit der Frontfrau aus, gut nachvollziehbar und nicht nur die logische Konsequenz der Beziehung zur Generation-X-Identifikationsfigur Kurt Cobain. Wer es bis zum eigentlich letzten titelgebenden Song geschafft hat, hat schon Durchhaltevermögen bewiesen, aber auch ein sehr gutes Bild bekommen, wie sich viele der Vertreter des Grunge, Punk- und Noise-Rocks damals gefühlt haben müssen. „Clouds“ wurde auf der US-Pressung nicht erwähnt, da beide Songs direkt ineinander übergingen. Der Song verpasst dem Kloß, den man an dem Punkt im Hals haben muss, allerdings nochmal ein amtliches Krönchen. Es ist ein zerfleischendes, wütendes Kapitel, das vermutlich mehr sagt und mehr Punk ist, als alles, was in der weiteren Diskografie der Band kommen wird. Genau das ist auch der Grund, warum das Debütalbum für mich außer Wertung spielt.
Video: Hole – Teenage Whore
#3: „Nobody´s Daughter“
Das letzte Album meiner Jugendikone ist für mich gleichermaßen das Schwächste. Ich habe es eine ganze Weile „Das letzte Aufbegehren“ genannt, aber damit tut man zumindest der Platte unrecht. Alles in allem hört man hier ein eingängiges Rockalbum, dass Love´s Liebe zum Mid-Tempo untermauert und ihrer desolaten Psyche vermutlich den authentischsten Soundtrack voller Zerrissenheit beschert. 12 verdammte Jahre lagen 2010 zwischen „Celebrity Skin“ und „Nobody’s Daughter“. Im selben Jahr hatte man das Gefühl, der Grunge würde sich durch Pearl Jam, Alice In Chains und Soundgarden aus den Trümmern seiner Selbst erheben und Courtney könnte als Königin dessen hervorgehen – aber es blieb eben nur ein Gefühl. Für mich ist dieses Album die Maske einer Frau, die mehr durchmachen musste, als ihr viele zugestehen konnten. Um keinen Preis der Welt möchte ich ihre Gefühle fühlen. Von Hole ist nichts mehr übrig geblieben, nichts außer Courtney Love, die im Übrigen im selben Jahr ihr durchaus starkes Soloalbum „America´s Sweetheart“ veröffentlichte, welches bereits 2002 – 2003 eingespielt wurde. Ein Album, dass ich wirklich ständig und überall mit mir trug. Ich liebe die Scheibe nach wie vor abgöttisch, weil es so perfekt unperfekt ist.
Je mehr einem zu diesem Album bewusst wird, desto schmerzlicher vermisst man die alte, zügellose Band, die auf alles und jeden einen Scheiß gegeben hat.
So glatt gemischt, wie auf „Nobody’s Daughter“ hatte ich „Hole“ bis dato allerdings noch nie gehört. Manchmal wollte ich mir einfach nur die Kapuze über den Kopf ziehen und mich traurig abwenden. Ich war enttäuscht. Nun, fast zehn Jahre später, glaube ich, dass das genau das Gefühl war, was Courtney während der Albumentstehung vorrangig spürte: „I’m sitting here, simply trying to figure out, what my life’s all about it“, singt sie im Song „Letter To God“. Zu Schade eigentlich, dass Frau Love an dem Punkt wohl so ausgebrannt war, dass sie sich im Songwriting Unterstützung bei Linda Perry und Pumpkins-Frontmann Billy Corgan holte. Je mehr einem zu diesem Album bewusst wird, desto schmerzlicher vermisst man die alte, zügellose Band, die auf alles und jeden einen Scheiß gegeben hat.
Video: Hole – Skinny Little Bitch (Live From Austin, TX)
#2: „Celebrity Skin“
Unter welchen Umständen „Celebrity Skin“ entstanden sein muss, möchte man sich gar nicht wirklich vorstellen. Was man sich allerdings vorstellen kann ist, dass schon alleine das Summen der Zeilen „Oh, make me over I’m all I want to be. A walking study in demonology.“ und „Oh, look at my face. My name is might have been. My name is never was. My name’s forgotten.“ treuen Fans den ersten Ohrwurm pflanzt. Schnell war also klar, dass „Celebrity Skin“ eine Sing-Along-Hymne nach der anderen enthält.
„‚Celebrity Skin‘ ist nicht nur im zeitlichen Abstand, sondern auch musikalisch die irgendwie logische Konsequenz der Band und gleichermaßen der größte kommerzielle Erfolg.“
Ich würde Lügen, wenn ich leugnen wollte, dass diese CD neben „America´s Sweetheart“ immer irgendwo rumlag und auch hin und wieder kritisch diskutiert wurde. Vier Jahre nach der Veröffentlichung wird sich die Band, die bis zu letzten Tag wenig Platz für andere Mitglieder als Courtney Love lies, auflösen. Insgesamt neun Monate wurden im Studio an diesem Album gearbeitet. Es ist die einzige Platte, auf dem Melissa Auf der Maur am Bass zu hören ist. Die Schlagzeugerin Patty Schemel, die seit ’92 Teil der Band war und auch fast bei Nirvana die Drumsticks geschwungen hätte, trennte sich im Zuge der Aufnahmen von Hole. „Celebrity Skin“ ist nicht nur im zeitlichen Abstand, sondern auch musikalisch die irgendwie logische Konsequenz der Band und gleichermaßen der größte kommerzielle Erfolg.
Video: Hole – Celebrity Skin
#1: „Live Through This“
„And I will awake your highness, I’m so high I cannot walk and I will awake“: Das zweite full-length Album wurde definitiv unter keinem guten Stern veröffentlicht: Eine Woche zuvor, am 05. April 1994, brachte sich Love´s Mann und Vater der gemeinsamen Tochter Frances Bean Cobain um. Courtney Love war mittlerweile nicht nur durch die gemeinsame Ehe das weibliche Pendant zu Kurt und markierte die populäre weibliche Stimmer einer desillusionierten Jugend. Courtneys Naivität, der Rummel um den Suizid und die neue Veröffentlichung schaukelten sich in Windeseile nach oben, wozu die Aussage, dass Cobain ein Arschloch gewesen sei, vermutlich wenig förderlich für die Popularisierung des Albums war. Vergleiche zwischen dem Debüt „Pretty On The Inside“ und „Live Through This“ sind kaum möglich, da nicht nur die musikalische Ausrichtung viel mehr zum klassischen Rock tendiert, sondern auch die Inhalte einen anderen Weg einschlugen. Love lernte, wie man eine Bridge schreibt und es geht in jeder einzelnen Zeile um die schönen Dinge des Lebens, um Mutterschaft, Anti-Elitarismus, Gewalt gegen Frauen und recht viel Autobiografisches der Frontfrau. Der Titel entspringt der Romanze „Vom Winde verweht“. Laut Love wurden der Band während des ersten Live-Auftritts mit „Live Through This“ Riot-Grrrl-Magazine um die Ohren geschmissen, mit dem Wunsch, dass man sich doch nun bitte nicht verraten solle. Zu spät!
„So richtig durfte die Platte damals nicht aus dem Schatten des Gatten hervortreten, da die eingeschworene Gemeinde wohl befürchtete, dass Hole zur neuen Grunge-Ikone heranwachsen könnten.“
Ich betrachte dieses Album als Umbruchalbum, das mich unfassbar fesselt, aber auch gut noch einen Vorgänger vertragen hätte, der den Übergang etwas leichter gemacht hätte. So richtig durfte die Platte damals nicht aus dem Schatten des Gatten hervortreten, da die eingeschworene Gemeinde wohl befürchtete, dass Hole zur neuen Grunge-Ikone heranwachsen könnten. Was Love´s Aussage „I was very competitive with Kurt because I wanted more melody. But I already wanted that before Live Through This.“, nicht wirklich schmälert. Heut kann man fast sagen, dass all die Schicksalsschläge „Live Through This“ zum vielleicht populärsten Album der Band machten. Es wurde allein in den Staaten 1.6 Millionen Male verkauft und ist eins der zeitlosesten Alben, das ich je und in jeder Stimmungslage gehört habe und höre. Kirsten Pfaff, die zu der Zeit aktuelle Hole Bassistin, katapultiert sich kurze Zeit später mit einer Überdosis Heroin aus dem Leben und ist somit einzig und allein auf dem 94er Album zu hören. Hole veröffentlichen mit Titeln wie „Violet“, „Miss World“, „Jennifer´s Body“, „Credit In The Straight World“ und „Doll Parts“ Ohrwürmer am laufenden Band.