Nach einer kurzen kreativen Pause melden sich In Hearts Wake aus Byron Bay dieses Jahr mit ihrem neuen Album „Kaliyuga“ zurück. Wie seine Vorgänger auch, widmet sich „Kaliyuga“ einem Element. Und was ist nach Erde („Earthwalker“), Luft („Skydancer“) und Wasser („Ark“, Albumreview) noch übrig? Richtig, Feuer! Bereits „Crisis“, das Intro, greift dieses Thema auf und doch lassen die Worte „This is an emergency! Our house is on fire!“ auf so viel mehr schließen – und kommen dem einen oder anderen vielleicht bekannt vor. Doch eins nach dem anderen.
„In Hearts Wake schaffen mit „Kaliyuga“ ein Album, das perfekt in diese Zeit passt und inhaltlich für 2020 besser nicht sein könnte. Es ist wütend und gleichzeitig hoffnungsvoll, weist auf Probleme hin und macht doch Mut.“
Kaliyuga
Wie Frontmann Jake Taylor bereits in unserem Behind The Artwork erklärte, bezeichnet „Kaliyuga“ eines der Zeitalter der Menschheit. Alte Völker sprachen zumeist von vier verschiedenen und jenes, welches der Titel des neuen Albums geworden ist, entstammt dem Hinduismus. Es bezeichnet eine Zeit in der negative Neigungen wie Zwietracht, Gier, Materialismus und Angst das Leben auf der Erde aus dem Gleichgewicht bringen. Doch vermutet Taylor einen Grund dahinter, dass wir in gerade dieses Zeitalter hineingeboren wurden. Anders als manche fatalistischere Ansätze ist er der Meinung, dass wir als Menschen und Erdenbewohner die Fähigkeit haben, die Herausforderungen, vor denen wir als Individuen und Gesellschaft stehen, zu bewältigen und zu wachsen und die Art und Weise zu verändern, wie wir auf der Erde und miteinander leben.
Ein Weckruf
Um auf die Einleitung zurück zu kommen: „Crisis“ enthält nebst Klängen, die entfernt an The Prodigy erinnern, ein Zitat von Greta Thunberg, das von Taylor aufgenommen wurde, als er auf dem Streik in New York City war. „Our house is on fire“ gibt den Ton an für die folgenden Titel und wurde bereits vorab gemeinsam mit „Worldwide Suicide“ veröffentlicht. Das folgt auch auf dem Album und greift mit schweren Riffs und tiefen, angepissten Screams die Wut und Frustration auf, die auch „Crisis“ vermittelt und weist gleichzeitig auf die Notwendigkeit hin zu handeln, bevor es zu spät ist. Denn die Menschheit richtet sich selbst zugrunde und dabei auch den Planeten, auf dem sie sich befindet. Ein Thema, das auch im dazugehörigen Video geschickt umgesetzt wurde. Daher bietet es sich an, sich an dieser Stelle einen Eindruck davon zu verschaffen:
Etwas „leichter“ geht es mit „Hellbringer“, ebenfalls einer Vorab-Veröffentlichung, weiter. Das ist ein kleiner provokanter doch humoristischer Seitenhieb an all die Leute, die Metal/-core (und alle dazugehörigen Subgenres) als „Satansmusik“ oder „Musik des Teufels“ (oder, oder – vermutlich haben das die meisten schon mal gehört) verurteilen, ohne wirklich eine Ahnung zu haben. Auch hören wir hier erstmals den Klargesang von Bassist Kyle Erich, der die entscheidende Frage stellt: „Are you afraid of what you don’t know or are you just losing control?“. Zudem steuert Jamie Hails von Polaris einen Gastpart bei, der den Song nochmal auf ein ganz anderes Level bringt. Insgesamt vermittelt der augenzwinkernd, dass die „Teufelsmusik“ die Kraft hat, andere aufzufangen und zu vereinen, ohne dabei Ziegen zu opfern. In Hearts Wake pflanzen da doch lieber Bäume.
Hoffnung, Zusammenhalt und der eigene Weg
„Moving On“ beginnt dann mit Klargesang und bildet einen thematischen Lichtblick auf „Kaliyuga“. Die Screams von Taylor sind akzentueller gesetzt und lassen Raum für Kyle Erichs Stimme. Es geht um Hoffnung, ein Licht am Ende des Tunnels und die Kraft, die Gegenwart zu verändern, verpackt in einem melodischeren Stück, das auch musikalisch leichter ist, als andere Titel auf diesem Album. Etwas Tröstendes hat auch „Timebomb“, das inhaltliche Elemente aus beiden vorigen Songs vereint. Das Gefühl, gefangen zu sein und die Möglichkeit auszubrechen auf einem Konzert, als Teil einer Menge, einer Einheit, das Verständnis und die Gewissheit, nicht alleine zu sein. Ein Lied, um – im Wohnzimmer oder auf einem Konzert – alles raus zu lassen, „Everything’s the same if you’re trapped inside a cage / Release the rage“.
Zurück auf den Boden der Tatsachen geht es mit „Son Of A Witch“, das auch musikalisch wieder experimenteller ist und unter anderem Sprechgesang einfließen lässt. In kaum einem Song wird das Thema Feuer deutlicher: Inspiriert von den Waldbränden in Kalifornien und „Mutter Erde“ in Flammen wird nicht zuletzt im Musikvideo die Brücke zu Hexenverbrennungen und der Unterdrückung von Frauen deutlich. Es ist ein erhobener Zeigefinger, die dunklen, mittelalterlichen Zeiten zu überwinden und nie wieder dorthin zurück zu kehren. Gleichzeitig ermutigt der Titel trotz allen Hindernissen den eigenen Weg zu gehen. Die Geschichte, die das Video erzählt, könnt Ihr Euch hier ansehen:
Scheidewege und der Rand der menschlichen Existenz
In der Mitte von „Kaliyuga“ begegnet uns „Crossroads“, das eigentlich für sich selbst sprechen kann. Es ist ein Scheideweg und ein Dialog, der sich musikalisch wie textlich zeigt. Stärker als bei allen anderen Songs findet sich hier eine Stilmischung aus Metal- und Popmusik wieder, die überraschend gut funktioniert. Außerdem ist Georgia Flood Gastsängerin in diesem Song, mittlerweile die Ex-Freundin von Frontmann Jake Taylor. Und genau darum geht es in dem Lied: Manchmal führen die Wege auseinander unabhängig davon, ob man sich liebt oder nicht. Unterschiedliche Ziele und Berufungen lassen sich nicht immer miteinander vereinbaren und „Crossroads“ ist ein musikalischer Tagebucheintrag, der das bezeugt.
Auch „Husk“ schlägt eher in eine ruhigere Kerbe und besteht nahezu ausschließlich aus Kyle Erichs klar gesungenen Vocals. Das bringt eine gewisse Melancholie mit sich und erinnert zum Teil an einen 2000er Rocksong, lässt jedoch einige subtile Screams einfließen, die den Song davor bewahren zu einem zu werden. Lyrisch geht es um die Leere und Verlorenheit, das Gefühl manchmal einfach keine Energie mehr zu haben. „It’s easier to shut out the world and be a monster / And far harder with no armour to be human“ singt Erich und macht deutlich, dass auch das gelegentlich zur menschlichen Erfahrung dazugehört.
„Als die Band zusammenkam, um zu schreiben und aufzunehmen, wollten wir alle Grenzen durchbrechen, frische Musik mit Absicht und Zweck schaffen.“
Visionssuche
„Nāgá“und „Force Of Life“ gehen fließend ineinander über, ersteres überrascht mit einem besonderen Instrument: Im Hintergrund lässt sich nämlich ein Didgeridoo heraushören. Eine Urtümlichkeit, die „Force Of Life“ ebenfalls behandelt. Vor „Kaliyuga“ war die anfangs genannte kreative Pause, in der sich Jake Taylor auf eine Reise begab. Die führte ihn unter anderem in die Wildnis Nordamerikas. Dort erlernte er Fähigkeiten, um allein in der Wildnis zu überleben und zu gedeihen, was ihm eine neue Perspektive eröffnete. Auch nahm er das uralte Ritual der Visionssuche auf sich. Und genau davon handelt „Force Of Life“. Das ist musikalisch zwar keine Weltneuheit und kommt einem entfernt bekannt vor, hat aber durchaus seine starken Momente. Taylor erklärt das Ritual:
„Die Visionssuche ist ein uraltes Ritual, das von vielen alten Völkern auf der ganzen Welt praktiziert wird. Manche sagen sogar, sie sei so alt wie Dreck, weil sie funktioniert. Vier Tage allein in der Wildnis, eingeschlossen in einem 10-Fuß-Kreis, ohne Essen, Telefon, Unterkunft, Stift oder Papier – nichts. Nur 3 Gallonen Wasser. Aber der schwerste Teil davon war meine unüberwindbare Angst.
Man sagte mir, ich würde einem Monster mit Warzen und allem begegnen, und das tat ich auch. Sich dem Ego zu stellen kann eine schreckliche Sache sein. Ich stand am Rande des Unbekannten und trat mit einem erneuerten Gefühl der Stärke und Hoffnung für die Menschheit hervor. Die ganze Erfahrung wurde zu einer treibenden Kraft, um das Album zu schaffen, das „Kaliyuga“ heißen sollte. Als die Band zusammenkam, um zu schreiben und aufzunehmen, wollten wir alle Grenzen durchbrechen, frische Musik mit Absicht und Zweck schaffen. Jeder von uns vertiefte seine Verpflichtung, sich neu auszurichten, um die Erde zu unterstützen, und gelobte, den gesamten Aufnahmeprozess auszugleichen.“
Der Weg durch die Dunkelheit
Mit „Iron Dice“ widmen sich In Hearts Wake der Selbstreflexion. Der Song greift die vorangegangenen Themen wieder auf und hinterfragt sie. Die innere Zerrissenheit wird von drei Sängern dargestellt: Taylor, Erick und Randy Reimann, ehemals Frontmann von Massappeal. Reimann ist zudem der Stiefvater von Taylor und eines der Alben von Massappeal diente als Inspiration für das Cover von „Kaliyuga“.
Der folgende Song fasst letztendlich die Thematik des Albums zusammen. „Dystopia“ rüttelt nach kurzen melancholischen Momenten nicht nur wieder ordentlich wach und lässt mit seinen Riffs die Boxen vibrieren, sondern stellt durch Kyle Erich auch existenzielle Fragen, wie etwa: „What is the message we seek to dismiss? Can we fit into the chaos and order? Or is it a myth?“. Der Song setzt sich kritisch mit einem Zeitalter von Informationsüberfluss, Fake News und Verschwörungstheorien auseinander und spricht den Menschen gleichzeitig das Vertrauen und die Fähigkeit zu, diese schier unüberwindbare Masse zu durchblicken. Musikalisch wirkt der Song etwas generisch, was jedoch zu verzeihen ist.
„Leave the past to the damned because the Now is in the palm of our hand“
Krönender Abschluss
„2033“ schließt das Album mit der Frage „So what’s it gonna be? 2033“ und packt nochmal die Experimentierfreude aus. Heavy, voller verschiedener Stilelemente und Klängen, die zeitweise an einen schrillenden Alarm erinnern. Ein letzter Weckruf, mit dem sich In Hearts Wake nach 13 Songs vom Hörer verabschieden. Die Zukunft existiert (noch) nicht, also liegt es in unseren Händen, etwas daraus zu machen, oder in den Worten des Songs: „Leave the past to the damned because the Now is in the palm of our hand“. Übrigens: 2033 setzt auch die absolute Grenze für die dringend nötigen Handlungen, für die etwa Greta Thunberg, die das Album eröffnet hat, protestiert. Einige Wissenschaftler sprechen auch von 2030.
„Kaliyuga“ zusammenzufassen scheint nach diesem Roman nahezu unmöglich, doch hier ein bescheidener Versuch: In Hearts Wake schaffen mit „Kaliyuga“ ein Album, das perfekt in diese Zeit passt und inhaltlich für 2020 besser nicht sein könnte. Es ist wütend und gleichzeitig hoffnungsvoll, weist auf Probleme hin und macht doch Mut. Musikalisch ist es insgesamt ein wirklich gutes Album, wenn auch in wenigen Momenten etwas unspannend. Für die Thematik und den dahinterstehenden Aktivismus hätte es allerdings mindestens 10 von 5 Sternen verdient.
„Kleines“ Extra
Beim gesamten Aufnahme- und Produktionsprozess wurde akribisch auf Nachhaltigkeit geachtet und der Kohlenstoff-Fußabdruck genau bemessen:
„Der gesamte Kohlenstoff-Fußabdruck von „Kaliyuga“ belief sich auf 26,37 Tonnen. Wir haben dies durch die Finanzierung eines kohlenstoffzertifizierten Wiederaufforstungsprojekts in Westaustralien, dem sogenannten Yarra-Yarra-Biodiversitätskorridor, ausgeglichen. Dieser Korridor befindet sich auf dem Land der Ureinwohner, das voll von seltenen und gefährdeten Pflanzen, Vögeln und Wildtieren ist. Die Finanzierung wird dazu beitragen, die Wiederherstellung der Pflanzen und Bäume, die Beschäftigung der lokalen indigenen Völker und die Konsultation mit den traditionellen Landbesitzern zu finanzieren.“
Auch die Herstellung und Verpackung ist komplett kunststofffrei, wovon Taylor enorm begeistert ist:
„In Hearts Wake und unser Plattenlabel UNFD arbeiten mit einem inspirierenden, innovativen Unternehmen in den Niederlanden zusammen, das sich für nachhaltiges ökologisches Pressen und Verpacken einsetzt. Wir wollen für unsere Platten ein Digipack aus wiederverwertetem Karton mit KEINER Plastikfolie verwenden. Was das Vinyl selbst betrifft, so verwendet das Unternehmen ausschließlich ungiftige Materialien – ein umweltfreundliches Vinyl, zusammen mit der Verwendung von umweltfreundlicher, veganer Tinte und Klebeband. Der gesamte Betrieb ihrer Fabrik ist in Bezug auf Abfall, Recycling und Energie zu fast 100% kreislauffähig.“