Dass Evan Weiss – das Mastermind hinter seinem Projekt Into It. Over It. – noch einmal ein Album veröffentlicht, grenzt tatsächlich an ein Wunder. 2016 war noch alles in Ordnung: Sein drittes Album „Standards“ (Albumreview) wurde veröffentlicht, das nicht nur uns in der Redaktion verzückte, eine ausgedehnte Tour stand an und alles lief einfach wie am Schnürchen. Doch nach der Europa-Tour stieg sein langjähriger Wegbegleiter und Freund Joshua Sparks aus der Band aus, was somit die damalige Bandkonstellation komplett auflöste. Zudem lag seine Beziehung, die er über die Jahre schon nachhaltig beschädigt hatte, nun komplett in Trümmern und da stand er nun vor den Scherben seines Lebens.
„Selten war eine Aufarbeitung einer ganz dunklen Zeit so emotional und schön, wie auf „Figure“. Ein wirklich mehr als gelungenes Comeback von Into It. Over It – und mit Sicherheit ein heißer Anwärter auf das Album des Jahres.“
„Es fühlte sich an, als hätte jemand einfach den Luftballon platzen lassen.“
Eben gerade noch Tourmusiker in einer Beziehung und nun Single, ohne Band, ohne Krankenversicherung und mehrere tausend Dollar Tourschulden. Evan selbst sagt über die damalige Situation folgendes: „Es fühlte sich an, als hätte jemand einfach den Luftballon platzen lassen. Innerhalb von 20 Tagen hatte sich mein ganzes Leben von einem Vollzeit-Tourmusiker in einer Beziehung in ein Singleleben und einem Nine-to-Five-Job gewandelt. Zeitgleich belasteten mich die ganzen Fehler, die ich innerhalb der vergangenen fünf Jahre gemacht habe.“
Wenn ein Leben so aus den Fugen gerät, bedarf es schon einer glücklichen Fügung des Schicksals, um wieder auf die Beine zu kommen. Diese glückliche Fügung hatte für Evan den Namen Adam Beck, der ihn damals aus seiner dunklen Ecke geholt – oder wie Evan es beschrieb „buchstäblich das Leben rettete“ – und mit ihm mehr als dreißig Songs geschrieben hat, wovon nun zwölf auf dem neuen Album „Figure“ zu hören sind.
Vielseitiger, spannender und ausgefeilter
Beim Hören wird man sofort von den Kompositionen an das zweite Album „Intersections“ erinnert, was eher gemäßigt und bisweilen auch ruhig daherkommt. Jedoch hat „Figure“ einen großen Vorteil gegenüber dem besagten Vorgänger: Die Kompositionen sind alle viel vielseitiger, spannender und ausgefeilter. Schlichtweg grandios. Jeder Song hat seine eigenen kleinen Feinheiten, die sich erst nach dem mehrfachen Hören erschließen, was so auch auf lange Sicht keine Langeweile aufkommen lässt.
Vom melancholischen und getragenen Opener „They Build Our Bench Again In Palmer Square“ über dem leicht beschwingten „We Prefer Indoors“ bis zum pushenden „Courtesy Greetings“ ist für jede Situation und Geschmack mit Sicherheit etwas dabei. Vor allem der Song „A Lyric In My Head I Haven’t Thought Of Yet“ geht wegen seines Schlussteils ziemlich lange nicht mehr aus dem Ohr und lässt den Hörer immer mal wieder bewusst oder unbewusst die letzten Zeilen des Songs vor sich hinsingen.
„Es ist nicht perfekt – genau das ist der Punkt.“
Textlich ist das Album stark an die dunkle Zeit von Evan angelehnt. Dabei wird weder darüber triumphiert, dass man sich der Situation gestellt und gewonnen hat, noch flüchtet Evan vor dieser Zeit. Es ist eher wie eine komplizierte Abrechnung zu verstehen. Mit dem Passierten, mit seinen Fehlern und vor allem mit sich selbst. Lyrisch wie gewohnt sehr clever verpackt, kauft man Evan zu jederzeit seine entsprechende Gefühlslage – sei es Schmerz, Hoffnungslosigkeit oder auch Resignation – hundertprozentig ab und man kriegt eine ziemlich gute Ahnung, was alles schief in seinem Leben gelaufen ist.
Das Albumcover trägt hier ebenfalls zum Gesamtbild des Albums bei. Dies umfasst eine Reihe von Collagen, die aus ausgeschnittenen Figuren aus verschiedenen Magazinen der Chicagoer Künstlerin Lynette Sage zusammengestellt wurden. Evan sagte hierzu: „Man kann die Linien und Scherenschnitte sehen. Es ist real, es ist grob und chaotisch. Es ist nicht perfekt – genau das ist der Punkt.“
Es ist perfekt, wie es ist
Auch wenn die Collagen vielleicht als nicht perfekt betrachtet werden, lässt das Fazit zum neuen Album von Into It. Over It., welche übrigens laut Evan definitiv kein Soloprojekt mehr ist (siehe auch im Video zu „We Prefer Indoors“), keinen anderen Schluss zu außer: Es ist perfekt. Hier stimmt einfach alles, von der Instrumentierung über die Texte bis zur Albumcovergestaltung ist „Figure“ ein absoluter Volltreffer. Selten war eine Aufarbeitung einer ganz dunklen Zeit so emotional und schön, wie auf „Figure“. Ein wirklich mehr als gelungenes Comeback von Into It. Over It – und mit Sicherheit ein heißer Anwärter auf das Album des Jahres.