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Lagwagon – Railer

„What’s another word for fuck?“, leitet Joey Cape die zwölf Songs der neuen Lagwagon Platte „Railer“ mit dieser unverwechselbar gekonnten viertel Sekunde Kunstpause ein, die einem sofort bewusst machen muss, dass über die kommenden zwölf Songs musikalische Geschichte geschrieben wird. Die Geschichte einer Band, die im ersten Song davon singt, dass Identität alles und es vorteilhaft ist, empört zu bleiben. Empört kann man nämlich definitiv auch dann sein, wenn man sich überlegt, dass die 2014er Platte „Hang“ das zuletzt erschienene Studioalbum der Kalifornier war. Fünf Jahre? Ernsthaft? Frechheit!

„Stillstand war noch nie eine Option und dabei ist es fast egal, ob es einen Schritt zurück oder nach vorn benötigt, um sich weiterzuentwickeln.“

Wenn die Sinnfrage Polka tanzt

Wie das dann oft so mit dieser Empörung ist, gibt es kurz nach dem ersten Bewusstsein einen amtlichen Knall und alles nimmt Fahrt auf. So rasant, dass der Titel „Surviving California“ in seiner bloßen Bedeutung paradoxer nicht klingen könnte. Während wir uns also fragen, was die da in ihrem Sunshine Golden Gate State überhaupt wollen, erinnern wir uns, dass Kalifornien eigentlich als der liberalste und am meisten ausgeglichene Bundesstaat der USA gilt. Während die Sinnfrage noch zwischen den Synapsen Polka tanzt, darf man also feststellen, dass es durchaus sinnstiftend sein kann, sich mit dem treibenden Titel, der sich mit den kulturellen, wirtschaftlichen, ökologischen und persönlichen Botschaften der Heimat der Musiker beschäftigt, genauer auseinanderzusetzen. So beschreibt Cape also den Egoismus eines sonnengebräunten Lebens, der das Leid anderer unter der teuersten Sonne abschreibt.

Von bedingungsloser Liebe und ein wenig Sarkasmus

„Jini Jini, I lost my head“, schon im dritten Song präsentieren die Herren aus San Francisco die erste ziemlich sympathische Hymne zwischen bedingungsloser Liebe und ein wenig Sarkasmus. In „Parable“, dem Gleichnis des Albums, zeigt sich die Verknüpfung zwischen gesellschaftlicher und politischer Kritik. Es geht um die Zerstörung von Wundern und Wünschen, die schlussendlich im absoluten Verlust des so elementaren Vertrauens mündet. Wie passend, dass uns der folgende Track „Dangerous Animal“ sehr angepisst verdeutlicht, wer oder was das gefährlichste Tier auf diesem Planeten ist: „Yeah, life is fleeting and hope is bittersweet“

Cape glaubt an seine Band

„Bubble“ haben wir das, was wir nun hören können zu verdanken. Denn laut Cape war es die Idee des Songs das, was Lagwagon seit jeher hat, mehr wertzuschätzen, bewusst wahrzunehmen und sich in der eigenen eingestaubten Blase ganz achtsam einzurichten. Der Musiker versuchte das Stück wie einen alten Lagwagon-Song klingen zu lassen und lieh sich dafür viel von früheren Platten. Somit sollte die Regel für die Arbeit an „Railer“ fortlaufend sein, dass es sich anfühle, als hätten Lagwagon Gleiches in den alten Tagen geschrieben. Cape glaubt an seine Band und ist sich derer Stärken und Schwächen bewusst. Um den „nostalgischen“ Charakter wieder ans Tageslicht zu befördern, wurde „Railer“ in einem unglaublich kurzen Zeitraum geschrieben. Die Rechnung ging auf, denn allein in Songs, wie „Dangerous Animal“ und „Dark Matter“ kann man die schroffe Energie, die teilweise schon metaleske Züge aufweist, förmlich spüren. Diese Album könnte live ganz problemlos ohne Pause hoch und runter gespielt werden.

„The world is full of magical things…“

Die Wahrheit über die Natur der menschlichen Existenz

„Three passions, simple but overwhelmingly strong have governed my life: the longing for love, the search for knowledge, and unbearable pity for the suffering of mankind“, eröffnet „The Suffering“. Ein Begriff über den beim besten Willen nicht der erste Song geschrieben wird. Bücher, ganze Manifeste wurden über die Qual des Leidens verfasst. Stilistisch gekonnt eröffnet der Titel mit einem düsteren und schweren Klavierintro, über das Jason Simpson besagten Text von Bertrand Russell liest. Wenn der Hörende dann beginnt, seinen Gedanken über die philosophische Aussage nachzuhängen, knallen einem Lagwagon die Wahrheit über die Natur der menschlichen Existenz um die Ohren.

Für Lagwagon übertreiben wir immer wieder gern

Während sich Lagwagon mit „Railer“ locker 20 Jahre zurück katapultieren, darf man gleichermaßen wahrnehmen, dass die sonst oft so zynischen Texte der Punkrock-Legenden nun so konkret und schonungslos die ekelhafte gesellschaftliche Wahrheit offenbaren, wie schon lang nicht mehr. Produziert von Cameron Webb, ist Railer das wohl authentischste Album der „neuen“ Bandgeschichte. Da muss man fast ein bisschen schmunzeln, wenn Cape im Song „Fan Fiction“ davon erzählt, wie Fans ihrer vermeintlichen Lieblingsband durch eine maximale Übertreibung zur triumphalen Rückkehr verhelfen. Für Lagwagon, übertreiben wir doch immer wieder gern und ganz ehrlich, wäre dieser Silberling der Erste, den ich von der Band aus San Francisco hören würde, wäre es vielleicht sogar eine der eingängigsten und besten Punkplatten überhaupt.

Eine angenehme Leichtigkeit

Wenn dann letztlich „Pray For Them“ und „Auf Wiedersehen“ das Köfferchen der Absurditäten und Bewusstseinsbegegnungen schließt und man dem Journey Cover „Faithful“ lauscht, stellt sich eine angenehme Leichtigkeit ein. Ein Gefühl, das klar macht, dass man selbst in der Verantwortung ist die Dinge, die einen irritieren oder gar zerstören zu verändern. Stillstand war noch nie eine Option und dabei ist es fast egal, ob es einen Schritt zurück oder nach vorn benötigt, um sich weiterzuentwickeln.

Video: Lagwagon – Bubble

Hier erhältlich
Lagwagon – Railer
Release: 04. Oktober 2019
Label: Fat Wreck Chords

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