Lygo – Lygophobie

Es ist Herbst 2021 und wir befinden uns in einer selten da gewesen Flut an Veröffentlichungen, die der Katharsis all derer entspringt, die durch die Auswirkung der Pandemie besonders betroffen und kaum unterstützt wurden. Für den einen die willkommene Zwangs-Entschleunigung des stressigen Lebens, für den anderen die heiße Nadel, die den Ballon des Lebenstraums zum Platzen bringen kann.

Für Daniel, Jan und Simon von Lygo fiel die globale Zwangspause in die selbst gewählte Auszeit, bei der Sie sich Zeit genommen hatten, um die letzten Jahre etwas sacken zu lassen und um aufzuholen, was möglicherweise auch mal liegen geblieben war.

„Das ist Punkrock, der so nonchalant zwischen AZ und Clubbühne reinknallt, dass man sich endlich wieder daran erinnert, warum einem diese Musik die Welt bedeutet“

DIY-Self-Recorded-Post-Lockdown-LP

Keine große Überraschung an dieser Stelle, dass auch Lygo sich mit nichts Geringeren zurückmelden als mit einer DIY-Self-Recorded-Post-Lockdown-LP. Auf gar keinen Fall soll das die Ambitionen von Drummer Daniel gering schätzen, der sich als Produzent und Recorder auf dieser Platte profiliert hat, es zeigt nur umso mehr, dass die technische Selbstbefähigung von Musikern gerade hart im Trend liegt.

Unter dem Titel „Lygophobie“ erscheint auch kein Werk, das die psychoanalytisch verarbeitete Angst vor der eignen Band vertont, Lygophobie ist ein Synonym für Achluophobie welche die Angst vor der Dunkelheit beschreibt. So abstrakt das Ganze begrifflich vielleicht klingen mag, war diese Angst sicherlich Teil von vielen, die als Kinder lieber das Nachtlicht angeschaltet haben wollten. Um es mit den Worten von Frittenbude zu sagen „Die Dunkelheit darf niemals siegen“ liefern auch Lygo mit ihrer neuen LP keinen düsteren Abriss des letzten Jahres, sondern motivieren, musikalisch wieder nach vorn zu schauen.

Es fällt oft schwer, die richtigen Worte zu finden

Der Opener „Schockstarre“ sonnt sich ganz offensichtlich in der Souveränität der Antonymie, da der Titel nicht gegensätzlicher gewählt sein könnte und er markiert hingegen einen Befreiungsschlag, einen Neuanfang. Direkt danach folgt mit „Kein Fahrtwind“ ein Plädoyer für eine offene Auseinandersetzung mit den eigenen Emotionen unter den Stigmata der Männlichkeit. Ein Problem, dass auch heute leider noch so präsent ist, bedingt durch eine fragwürdige unreflektierte Sozialisierung über unzählige Generationen hinweg, dass sich auch heute noch viele Männer fragen müssen, warum sie oft emotional so „behindert“ sind. Es fällt oft schwer, die richtigen Worte zu finden, um solche Themen offen und direkt zu bearbeiten, aber Lygo tun genau das.
Komm, wir überholen Ideale / Komm, wir stellen Männlichkeit in Frage / Komm, wir suchen unser wahres Ich“.

„Uwe, Erdgeschoss, Links“ liefert eine bewegende Geschichte über die Kraft und positive Energie die Menschen innewohnt. „Für dieses Leiden von uns beiden / Waren wir nicht bereit / Im Gegensatz zu mir / Fehlt dir dafür die Zeit“.
Wie sehr uns der Umgang mit dem nahenden Ende des Lebens inspirieren und motivieren kann, unser eigenes nicht zu vergeuden und uns spüren lässt, dass unsere Probleme manchmal nicht so groß sind, wie wir denken. Ein Denkzettel, der uns daran erinnert, wie wir oft nur dadurch verstehen, wie wertvoll das ist, was wir haben, indem wir sehen, wie es anderen genommen wird.

Gesellschaftskritik ist, dass es immer etwas zu sagen gibt

Soweit so ausführlich. Inhaltlich liefert „Lygophobie“ so vieles, was die Hörer:innen in unterschiedlichen Thematiken und Lebenslagen abholen kann, aber auch ein gewisses Maß an Neuerungen sollte hier nicht fehlen, auch wenn diese wohl dosiert sind. Im Song „Kommentarspalte“ verzichtet man auf große eigene textliche Ideen und vertont Kommentarbeiträge von Schlafgestörten bei YouTube. Auch sind erstmals ein Gitarrensolo und ein Klavier zu hören, aber wo genau, das findet man am besten selbst heraus.

Lygo liefern mit ihrer neuen Platte ein grundsolides Punkrockalbum ab, unkompliziert, eloquent paraphrasiert und manchmal auch ein bisschen auf die Fresse. Man muss sich als Punkband definitiv nicht jedes Mal neu erfinden, denn das Geile an aktueller Gesellschaftskritik ist, dass es immer etwas zu sagen gibt. Mit so vielen schlauen Sätzen, die oft diesen nicht unbedingt gesuchten, aber dadurch trotzdem gefundenen Moment der Klarheit schaffen, den man so sehr zu schätzen weiß.

Video: Lygo – Schockstarre

Hier erhältlich
Lygo – Lygophobie
Release: 29. Oktober 2021
Label: Kidnap Records/Cargo
Marcus

Marcus trat das erste Mal verhaltensauffällig im zarten Alter von 13 Jahren bei einem Konzert in Erscheinung. Seitdem hat er sein Herz an alles, was mindestens eine Gitarre sein eigen nennt und auch gut Krach machen kann, verloren. Er kennt beide Seiten des Wellenbrechers gut und bewegt sich musikalisch von Singer/Songwriter Helden bis zu den lokalen Metalcore Vertretern von Heaven Shall Burn.

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Marcus

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