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NOFX in Los Angeles

Foto: Colin Smith Takes Pics

Die allerletzten Shows?

Wer “Friyay” sagt, muss auch “Fat-urday” sagen. „Wir haben morgen 650 Leute auf unserer Gästeliste stehen“ erklärte Nofx-Boss Fat Mike bereits am Freitagabend leicht hämisch. „You never know who‘s gonna show up“. An Punkrock-Prominenz soll es auch bereits am Tage der vorletzten Nofx-Show nicht scheitern – allerdings eher gesondert auf den Bühnen des Punk in Drublic Festivals. Ewig predigten Mike, Hefe, Smelly und Melvin, dass diese letzten Shows wahrhaftig und ganz bestimmt genau das sein werden: die letzten Shows der 1983 in Los Angeles gegründeten Band. Demnach hat gefühlt jede Person von Venice Beach bis Ritterhude, die „Linoleum“ mitgröhlen kann, den Weg nach San Pedro angetreten. San Pedro ist quasi ein Hafenstadtteil von Long Beach, was quasi ein Hafenstadtteil von Los Angeles ist, und „Berth 46“ ist alles andere als ein Punkrockvenue. Der Fußmarsch von den “Festival-eigenen” Parkplätzen dauert knapp 40 Minuten und führt vorbei an Lastenkränen und Fischereihallen. Malerisch, aber für $50 Parkgebühren hätte man vielleicht eine logistisch schlauere Lösung erwarten können? Na gut, vielleicht auch nicht.

Gesunder Punkrock-Overkill

Bleiben wir bei „Fat-urday“-Mathematik: 40 Minuten Fußmarsch plus eine gute Stunde anstehen = die Opener Bad Cop Bad Cop und Get Dead leider nur in Fetzen aus der Menschenschlange erahnen. Schade. Mit dem betreten des Geländes bekommt man dann einen Miniatur-Bierbecher in die Hand gedrückt. Wenn man diesen zum „Craft Beer Tasting“ nutzen möchte, muss man sich beeilen, denn jenes endet um drei Uhr nachmittags – in 50 Minuten. Eine weitere Menschenschlange. Schnell lecker klassisch „Descendents Golden Ale“ und spannend ein Pumpkin Spice Espresso Beer Sample wegatmen, dann aus der Ferne die letzten drei Swingin Utters Songs mitfeiern. Tight und kratzig liefern Darius Koski, Johnny Bonnel und Co Songs wie “Pills And Smoke” oder “Librarians Are Hiding Something” ab, die Bay Area von ihrer Schokoladenseite. Ein großartiger Einstieg in den Samstag. Das Festivalgelände besticht durch zwei direkt nebeneinanderliegende Bühnen und eine gefühlt vier Kilometer breite Fläche voll mit Merchandise-Zelten, Food Trucks und Infoständen. Keines der über 30 Sets an diesem Wochenende überschneidet sich. Nonstop spielen Bands immer abwechselnd. Die Kulisse zum gesunden Punkrock-Overkill könnte kalifornischer nicht sein: in eine Richtung wehen Palmen im Hafenwind, daneben erstreckt sich ein riesiges Kreuzfahrtschiff gefühlt aus der Mitte der Besuchermasse. Im Hintergrund Berge, Sonne und Meer.

Auf dem Weg rüber zum Set der Mad Caddies trifft man alle fünf Meter alte oder neue Freunde aus aller Welt. Frontmann Chuck Robertson hat sich nach dem Relaunch seiner Band nicht lumpen lassen: von den Reggae-Fills bis zur Backingharmonie stimmt handwerklich alles. „Contraband“, „Monkeys“ oder der Closer “Drinking for 11” könnten den Vibe inmitten der Nachmittagshitze nicht besser untermalen. Auf, vor und hinter den beiden Bühnen wird es zunehmend voller und voller. Umarmungen, High-Fives und viel Gelächter wo man hinschaut, dann brechen Good Riddance ungeniert das Kaffeekränzchen ab. Riesige Circle Pits tun sich zu “Heresy, Hypocrisy & Revenge” oder “Weight Of The World” auf, insgesamt liefert der Vierer aus Santa Cruz heute eine sehr Hardcore-lastiges Set ab. Wunderbar (und) nostalgisch. Was erst nach einem vorhersehbaren Festivalnachmittag klang, wird zunehmend emotionaler. (Fast) alle sind sie noch einmal zusammengekommen, um den Mitbestimmern der Szene den finalen Respekt zu zollen. Es gibt NOFX-eigenes Bier, endlose exklusive Merchandise-Artikel, ein nettes Rahmenprogramm, etwa mit dem Punk Rock Museum oder NOFX-Tattooflash, für das beim logistischen Band-Marathon jedoch einfach kaum Zeit bleibt. Vor und auf den Bühnen gibt es Tränen, überall werden Anekdoten und Erinnerungen geteilt. Kein Wunder, nach 41 Jahren Bandgeschichte.

Lunch oder Strung Out?

Der Großteil des Strung Out-Sets muss einer kurzen Verschnaufpause weichen, dann bereits stehen Less Than Jake bereits als letzte Band auf der “kleineren” zweiten Bühne bereit. “Nofx und Descendents sind quasi die Gründe warum es unsere Band gibt, das hier ist unreal”. Man merkt Chris DeMakes die Dankbarkeit während der wenigen Ansagen zwischen “Last One Out Of Liberty City” oder dem neuen “Broken Words” an, welches sich wunderbar in das 30-minütige, mitreissende Hitgewitter einfügt. Weiter geht es auf der heute lebendig gewordenen Fat-Wreck-Compilation mit Lagwagon. Jene sind mit dem damaligen Langzeit Bassisten Jesse Buglione angereist, der Joe Raposo den Groteil des Sets ablöst. Was Trommler Dave Raun an Livequalitäten und Kreativität rausbläst, steckt der Rest der Band, besonders aber Joey Cape’s Stimme leider wieder an den Hut. Statt Energie projizieren die Kalifornier bei “Sleep” und sogar “Violins” eher Gemütlichkeit und Langeweile, die gefühlt auch aufs Publikum überspringen. Zehrend geht es durch “Making Friends”, und nicht mal beim finalen “May 16th” will der Funke so recht überspringen.

Beinahe gar nix sucks today

Ganz anders beim erstklassigen Set der Descendents, die spielerisch als auch menschlich auf voller Linie punkten. Von “Feel This” bis “Smile” knien sich Milo, Bill, Karl und Stephen 110% in ihr Schaffen, drücken über 20 Songs in 40 Minuten Spielzeit und ernten die bislang ausgelassenste Publikumsreaktion vollkommen zu recht. Mit welcher Liebe zum Detail und spielerischer Finesse die Band Riffs und Melodien live überträgt macht den Descendents heute niemand nach. Grandios, all-killer-no-filler, sympathisch (nicht zuletzt wegen Milo’s umgehängter Trinkflasche). “Everything sucks today”? Keinesfalls. Genauso bleibt man auch viele Jahrzehnte nach Gründung noch relevant.

Während sich die Nofx-Crew dem Bühnenumbau hingibt, wird an vielen Stellen diskutiert und spekuliert: Kommen Nofx 2029 eh wieder zusammen? Oder schon 2027? Muss man wirklich jedes Kalb melken, bis es umfällt? Ticketpreise, Bierpreise, Parkplatzpreise, mehrere hundert Dollar für eine “exklusive” Vinyl-LP – wo hört “Punkrock” auf – und wo und wie fängt die private Rente von Fat Mike, Melvin, Smelly und Hefe an? Vieles ist und bleibt Auslegungssache – jetzt aber soll erstmal gefeiert werden. 40 unterschiedliche Songs jeden Abend, 14,000 Besucher am heutigen Samstag, 650 Namen auf der Gästeliste. Zum letzten Mal “Dinosaurs Will Die” und “Franco Un-American”, es hagelt Bierdosen, der Moshpit gleicht einer Kleinstadt. Ohne die “geistreichen” Comedy-Einlagen wäre eine Nofx-Show bloß die halbe Miete, und am Ende des Tages nimmt das sicher im Schnitt 35+ Jahre alte Publikum gerne jede mit Ansagen des schlechten Geschmacks gefüllte Pause mit. Sitzgelegenheiten oder Rückzugsorte sind eher Fehlanzeige auf dem riesigen Gelände, welches jetzt nach Sonnenuntergang noch überwältigender wirkt. Mit “Nofx” und “Ant Attack” gibt es die ersten zwei Songs, die Nofx jemals geschrieben hat. “These are not good songs” sagt Mike. Falsch. These are ein Stück Bandgeschichte und somit definitiv kleine Highlights im heutigen Set. Leider verlagert sich die Gästeliste der Kollaborationen auf den morgigen, wirklich allerletzten Abend, so dass es heute bloss beim “normalen” Nofx-Line Up bleibt. “Hobophobic”, “The Malachi Crunch” oder “Beer Bong” sind willkommene Kontraste zu “Don’t Call Me White” oder “Linoleum”, aber heute Abend ist alles erlaubt und wird alles mitgenommen. Nach 60 Minuten bereits leiten Nofx eine Art inoffiziellen Zugabenblock ein. Man wäre ja nicht die Foo Fighters, die drei Stunden spielen. Und Dave Grohl würde erst morgen Besuch kommen. Also, vielleicht. “You never know who‘s gonna show up!“

Ex-Dance Hall Crashers Frontfrau Karina Denike bereichert im großen Stile Songs wie “Eat The Meek” oder das emotionale “I’m So Sorry Tony”, ansonsten verpufft das Set nach “Kill All The White Man” viel zu schnell. War der Tag zu lang? Liegt der Fokus eher auf der morgigen aller-allerletzten Show? Hätten Nofx wirklich drei letzte Konzerte dieser Größe hintereinander spielen sollen? Gehören $50 für einen öffentlichen Parkplatz gesetzlich verboten? “It feels so good that we can’t get in trouble anymore” scherzt Mike. Aber sogar er ringt sich zu ernsthaften Emotionen durch: “Ihr habt keine Ahnung, was es uns bedeutet, das hier 40 Jahre lang machen zu dürfen“. So long. Und danke für all die Schuhe, Songs, Erinnerungen, Dramen, Stories, Inspiration, Lacher, Freundschaften, Skateboardsoundtracks, Bandentdeckungen,….

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