“Cut & Stitch”, so heißt das neue Album der Petrol Girls – also Zerschneiden und wieder zusammen nähen. Schon der Titel zeigt, in welchem Stadium der inneren Zerrissenheit sich die Band mit ihrer zweiten Platte befindet und wie sie die aktuelle politische Situation einordnen.
„Möge es als Metapher für eine bessere gemeinsame Zukunft stehen. auch wenn wir uns derzeit zu entzweien scheinen, werden wir schon bald wieder eng beieinander stehen.“
Veränderung als Thema
Doch zurück zum Anfang: 2012 in London, England gegründet, haben sich die Petrol Girls zu einer Vorzeige-Band europäischer Integration entwickelt. Den Bandnamen angelehnt an “les Pétroleuses”, eine Gruppe französischer Revolutionärinnen und mit einem, mittlerweile, sehr internationalen Line-Up.
Sängerin Ren Aldridge bezeichnet den Albumtitel als einen ewig währenden Prozess der Veränderung, in dem sich sowohl sie als Person, Petrol Girls als Band als auch wir als Gesellschaft befinden. Ein Prozess der bis zum Äußersten getrieben werden kann – alles kann und wird immer weiter auseinandergenommen, neu angeordnet und wieder zusammengefügt. Ein Gedanke, der sich gut in das Gesamtbild der DIY-Band fügt: Wenn das Lieblings-Shirt kaputt geht, wird es zerschnitten und als Backpatch auf die Jacke genäht.
Persönliche Probleme und Kämpfe
Ein ewiger, niemals endender Kreislauf – in dem sie sich auch bei den Aufnahmen der Platte befanden. So romantisch das auch klingen mag, so aufreibend war es für Aldridge und ihre Mitstreiter_innen. Das Gefühl niemals anzukommen und das Album nie fertigzustellen, verbunden mit eigenen persönlichen Problemen und Kämpfen, hat sie fast zum Äußersten getrieben. Doch auch das macht “Cut & Stitch” aus: Man muss lernen, mit seinen eigenen Wunden zu leben und sich selbst wieder zusammenzuflicken.
Ein experimentelles Album mit vielen Facetten
Die eingangs angesprochene Zerrissenheit hört man dem experimentellen Album auch musikalisch deutlich an. “Cut & Stitch” ist durchzogen von unerwarteten Breaks und Stimmungswechseln innerhalb der Songs und auch die Tracklist wird immer wieder durch sogenannte “Interludes” unterbrochen, was jedoch dem Gesamtbild und -konzept keinen Abbruch tut, ganz im Gegenteil. Das gesprochene Intro bereitet beim ersten Hören deutliche Gänsehaut und ist ein guter Vorbote für das, was kommen wird.
Der feministische Ansatz in den Lyrics, der seit Gründung der Band besteht, ist geblieben, genauso wie die Wut. Hinzugekommen ist eine weitere Facette und zwar die der Verletzlichkeit – so kommt es, dass sich emotionale, tiefgehende Lyrics mit hartem Sound abwechseln. Bestes Beispiel dafür ist die Single-Auskopplung “The Sound”.
Feminismus ist und bleibt das zentrale Thema von “Cut & Stitch”, der Ausgangspunkt für die Betrachtung gesellschaftlicher und politischer Themen. So ist z.B. “Talk in Tongues” das Resultat der Betrachtung der männlichen Art Emotionen zu zeigen bzw. der gesellschaftlichen Erwartung dies eben nicht zu tun – alles vor dem Hintergrund, dass zwei der vier Bandmitglieder Männer sind.
Ein ewiger Prozess des Schneidens und Nähens
“Cut & Stitch” ist ein Album, das einem auf den ersten Blick schwer Zugang zu sich erlaubt. Wenige Songs bleiben nach dem ersten Hören hängen und erwischen einen sofort – einer davon ist das großartige “Big Mouth”. Doch auch das unterstreicht einmal mehr den passenden Albumtitel.
Dass Petrol Girls ihr Album so kurz vor der Europawahl (in Großbritannien wurde schon einen Tag vor Albumveröffentlichung gewählt) und im Zuge der immerwährenden Brexit-Debatte veröffentlichen, setzt dem Ganzen die vielzitierte Krone auf. Denn auch politischer Fortschritt ist Teil des langsamen und immerwährenden Prozesses des Auseinanderschneidens und wieder Zusammennähens. Möge es als Metapher für eine bessere gemeinsame Zukunft stehen. Auch wenn wir uns derzeit zu entzweien scheinen, werden wir schon bald wieder eng beieinander stehen.