Ein neues Album von Rancid? Viele werden sagen, dass darauf doch nun wirklich niemand gewartet hat. Ist Tim Armstrong nicht genug ausgelastet mit seiner (wirklich guten) Arbeit hinter den Kulissen für grandiose Bands wie The Interrupters und Grade 2? Und muss Lars Fredriksen nicht gerade ein neues, teilweise mehr als fragwürdiges, Nebenprojekt betreiben? Vor allem aufgrund den letzten beiden Alben “Troublemaker” und “…Honor is All We Know” haben viele gedacht, dass es das war, mit gutem neuen Output der Band aus Berkley, California – auch sie selbst haben es vermutlich ähnlich gesehen, denn ihr Live-Set der letzten Jahre bestand vor allem aus Songs aus dem Genre-Klassiker “…And Out Come The Wolves”. Nun also ein neues Album.
Ohne Schnörkel, direkt auf den Punkt
Nach den ersten Single-Auskopplungen sind all’ diese Frage schon sehr bald verstummt – mit dem Titeltrack “Tomorrow Never Comes” haben Rancid einfach unangekündigt ein derartiges Brett vorgelegt, dass selbst die größten Skeptiker:innen hellhörig geworden sind. Tim Armstrong klang plötzlich wieder in Hochform und der Fakt, dass sowohl Lars als auch Bassist Matt Freeman eigene Gesangsparts auf diesem Zweieinhalb-Minuten-Brecher bekommen haben, zeigte schnell, wohin die Reise geht. Das unterstreicht auch die zweite Single “Don’t Make Me Do It”, die in 58 Sekunden Spielzeit “keine Gefangenen macht” (wie man in Reviews so sagt). Und so geht es in den insgesamt 16 Songs kompromisslos weiter, das hymnische “New American” sticht mit seinen 2:38 Minuten schon fast aus der Masse der Songs raus – sonst bekommt man, was man seit “Rancid 2000” lange nicht bekommen hat: Kurze Streetpunk-Smasher, ohne Schnörkel und Experimente auf den Punkt gebracht.
Auf Nummer sicher gehen?
Das ist auch gleichzeitig der Kritik-Punkt der Platte: Rancid war nie eine Band, der man mangelnde Kreativität zu- oder Mut absprechen konnte, ganz im Gegenteil – Alben wie, das bereits erwähnte, “…And Out Come The Wolves” oder auch “Let’s Go” haben ganze Wellen von Bands geprägt oder werden von vielen noch heute als größte Einflüsse ihrer Punk-Sozialisation genannt. “Tomorrow Never Comes” versucht hier an Rancid vor der Jahrtausendwende anzuknüpfen und wirkt dabei etwas einfallslos, fast schon als wollte die Band auf Nummer sicher gehen und mal wieder “was solides” rausbringen. Nicht falsch verstehen: Songs wie “Live Forever” werden sich ohne weiteres in die Reihe der bestehenden Hits einreihen, doch auf Album-Länge gibt es zu wenig dieser herausstechenden Momente. Was jedoch heraussticht, ist die grandiose Arbeit der Rhythmus-Gruppe um Branden Steineckert an den Drums und Matt Freeman am Bass – was vor allem dieser auf Songs wie “When The Smoke Clears” abliefert, ist und bleibt vom anderen Stern.
Es bleibt in der Familie
Am Ende liegt, ganz objektiv betrachtet und weg von nostalgischen “Hätte-Wäre-Könnte”-Vergleichen, ein starkes Punk-Album vor uns, das viele aktuelle Bands sich zu veröffentlichen wünschen würden. Das zeigt, dass Rancid trotz aller berechtigter Kritik eine der bestens Bands des Genres bleiben und “Tomorrow Never Comes” vor allem Leuten gefallen wird, die mit den letzten Veröffentlichungen nichts (mehr) anfangen konnten. Wer Innovation mit ähnlichem Style und der selben Attitüde sucht, wird wohl eher bei Grade 2 und The Interrupters fündig – so bleibt es ja wenigstens in der Familie.