Das zweite Album nach der Reunion der Hamburger Band Schrottgrenze setzt da an, wo der 2017 erschienene Vorgänger “Glitzer auf dem Boden” aufgehört hat. Vielmehr noch, es unterstreicht und verdeutlicht, dass noch kein Schrottgrenze-Album so wütend und so gesellschaftskritisch war, wie “Alles Zerpflücken“. Deutlich im Vordergrund stehen Songs rund um Genderwahn, Akzeptanz für das, was man nun mal ist, und queerfeministische Solidarität. Was auf “Glitzer auf dem Boden” mit dem Song “Sterne” anfing, wird auf “Alles Zerpflücken” weiter auseinandergenommen und weiter “zerpflückt”. Hier werden bestehenden Strukturen aufgebrochen, Tabus gebrochen, Klischees kritisiert. Musikalisch liegt das ganze irgendwo zwischen Power-Pop, Indie-Rock und Post-Punk. Saskia’s Stimme gibt dem ganze eine wundervollen, einzigartigen Touch.
„Die Villa Kunterbunt wird zum Sinnbild für Freiheit und dem Ausbrechen aus Gesellschaftlichen Normen“
Ausbrechen aus gesellschaftlichen Normen
Mit „Life is Queer“ wird direkt beim Opener klar, wohin die Reise geht. In dem Video zur ersten Singleauskopplung feiern Schrottgrenze zusammen mit Mitgliedern der LGBTQ+ Gemeinschaft. Der Text beziehen sich direkt auf das coming Out des Sängers Alexander, der jetzt Saskia heißt und sich als kräftige Schwester im politischen Körper bezeichnet. Dieser treibende, ohrwurmverdächtige Song ist eine Hymne an das Verschieden sein. Ein Appell an jeden, zu lieben und lieben zu lassen, und zwar ganz so, wie man es selbst will. Im Titelsong “Alles Zerpflücken” wird das Thema direkt wieder aufgegriffen – trotz tiefgründigen Textes wirkt der Song leicht und unbeschwert – Die Villa Kunterbunt wird zum Sinnbild für Freiheit und dem Ausbrechen aus gesellschaftlichen Normen. Verstaubte Strukturen aus Oma’s Mottenkiste werden aufgebrochen und “zerpflückt”. Altes, längst überholtes, wird hinter sich gelassen – das fühlt sich gut an. So wie der Song. Der tut einfach gut. Leicht schwingt er sich ins Ohr und lüftet das verstaubte Oberstübchen mal ordentlich durch.
Der Glaube an das Gute ist noch vorhanden
Weiter im Thema geht es mit “Solidarity City”. Der Song wirkt ruhig und nachdenklich – der Traum eine Utopie, in der jeder sein kann, wie er möchte, ohne Anfeindungen und Genderwahn. Der Glaube an das Gute ist noch vorhanden. Ganz im Kontrast zu “Räume”. Hier knüpft man sich nochmal im kürzesten und wütendsten Song der ganze Platte die Angst gegen den Genderwahn und Klischees vor. Der ganze Song ist ein einziges Statement gegen veraltete Familienbilder. Hier ist auch das erste Mal von der Angst die Rede, die man als jemand, der anders ist, hat. Der gehetzte Sound unterstreicht das Ganze und erzeugt ein leicht bedrohliches Gefühl.
Keine Schubladen
Das Schrottgrenze aus dem Politpunk kommen und irgendwie auch immer ein Teil der Band dort bleiben wird, beweist das Slime Cover “Das Kapital”, welches heute, wie damals, immer noch aktuell ist. Hier wird zu politischen Themen deutlich Stellung bezogen. Denn auch Rassismus und Kapitalismus haben neben patriarchalischen, verstaubten Geschlechterrollen und Klischees, sowie Homophobie in dieser Welt einfach keinen Platz, das stellen Schrottgrenze auf “Alles Zerpflücken” unmissverständlich klar. Genre-übergreifend gibt es außerdem die queerfeministische Berliner Rapperin Sookee in “Traurige Träume” zu hören. Tja, und musikalisch? Ist das nun eher Punk oder doch Indie? In eine Schublade stecken lassen sich die Hamburger ebenfalls nicht, erfüllen sie doch auch hier nicht die Klischees der verschiedenen Stile.
Fakt ist: die Musik funktioniert auf einer Anti Nazi Demo genauso gut, wie in einer Hamburger Szene Bar – und genau das macht Schrottgrenze so einzigartig. Es gibt wirklich keinen Grund, den alten Schrottgrenze, von vor der Auflösung, nachzutrauern.