„Entschuldigen Sie, gibt´s das auch als Tape?“, ist wohl die einzig logische Frage, die einem während der Beschaffung der neuesten The Sewer Rats Platte „Magic Summer“ am Tresen des Lieblingsplattenladens über die Lippen kommen müsste. Schnallt Euch an und kündigt Eure Jobs. Der Sommer ist da und es riecht, als würden wir zur Warped Tour fahren!
„Aktuell vielleicht das Beste, was das Orange County Nordrhein-Westfalens zu bieten hat.“
„Pick me up when I am down“, singen The Sewer Rats im Opener „Rejuvenate“, welcher gleichermaßen in die Zukunft und Vergangenheit prescht. Einerseits laden die Köllefornier in ein großartiges Sommergefühl ein, welches auf der anderen Seite immer ein bisschen 90s-Skatepunk Feeling bereitstellt. Hier bleibt keiner im Regen stehen. Perfekte Mischung? Durchaus möglich!
Vom Filler zum Jagdgalopp
Bereits beim zweiten Song „I’m Quitting My Job“ formt sich die Frage, ob dieses Album vielleicht sogar die Überschrift „Hits, Hits, Hits“ verdient hat. Während hier das Rad (glücklicherweise) nicht neu erfunden wird, macht die Platte doch so gar nicht den Eindruck überflüssig zu werden. Ganz im Gegenteil, bei all den experimentellen Überalben da draußen ist es mehr als angenehm, mal wieder ein solides Pop/Skate-Punk Album serviert zu bekommen.
„I Don’t Wanna Go to the Dentist No More“ und „I Don’t Wanna Go to the Shrink No More“ lassen mich ein bisschen schmunzeln, flachen aber auch die Hit-Kurve ab. Während die Songs nicht besonders stabil im Ohr bleiben und vielleicht sogar ein bisschen zu sehr Filler sind, vermitteln sie gleichermaßen ein optimal situationsbezogenes Gefühl – oder rennt jemand von Euch voller Vorfreude zum Zahnarzt? Live wird allerdings besonderes Letzterer richtig gut funktionieren. Vor meinem inneren Auge geht es dabei im Jagdgalopp über Tische und Bänke.
Wer es bei „My Sweet Chun-Li“ noch nicht zurück in die 90er geschafft hat, ist vermutlich gerade erst geboren oder mindestens hoffnungslos verloren. Der Song ist eine Hymne an die Königin der Videospiele und catchy as fu**. Aufs Gaspedal tritt „Nasty Cut“, der bei mir allerdings immer wieder unter geht, sich aber schnell als retardierendes Moment erweist.
The Sewer Rats schaffen den Spagat
„My Baby Is at Groezrock (and I Am Not)“ hat ohne Ende Ohrwurmpotential und reißt das Ruder der Platte herum. The Sewer Rats arbeiten hart an ihrer Morphose zu einer US-amerikanischen Pop/Skate Punk Band und „Magic Summer“ ist definitiv ein guter Schritt dahin. Aktuell vielleicht sogar das Beste, was das Orange County Nordrhein-Westfalens zu bieten hat.
Arbeitslos, mit (bald) schlechten Zähnen, einer ausgeprägten Neurose und Videospielsucht, muss man dennoch aufpassen, nicht zu einem „Total Creep“ zu werden – der nächste Smasher und der Anfang einer großartigen Zielgerade des Silberlings. „Choice“ gesellt sich in die Hit-Reihe und ist einer dieser Songs, der definitiv im Großen und Ganzen gesehen werden muss: Musikalisch klingeln bei mir die jungen The Offspring, aber auch Bands wie Masked Intruder im Ohr, Frontmann Chris verzichtet auf das Redneck Wollknäul vorm Mikro und man erinnert daran, dass für das Fleisch, was täglich verspeist wird, ein Leben gehen muss.
Jetzt schaffen die vier Musiker obendrauf sogar den Spagat zwischen Hang Loose, Emotionalität und den wirklich tiefgründigen Themen des Erwachsenwerdens. Das recht depressive „I Don’t Wanna Leave My Room No More“ mündet in „Down for Life“ – eine autobiografische Liebeserklärung an die selbstgemachte Gitarrenmusik. Spätestens jetzt stehen die Kölner den Amis in nichts mehr nach. Ich höre Red City Radio, Nothington, Authority Zero und viele, viele mehr. Was für ein Song, was für eine fette Stimme! Mit „Magic Summer“, dem Titelsong (der ein bisschen Werbejinglepotential hat), verabschieden sich The Sewer Rats zum fast perfekten Zeitpunkt aus einem wirklich gelungenen Album.
Magic Summer
Ich glaube nicht, dass es für unsere Generation Punk Kids sonderlich schwer ist, mit den Kölnern in den 90ern hängen zu bleiben. „Magic Summer“ erinnert uns an diesen einen Sommer, den jeder kennt. Diesen einen Sommer, der das Herz noch in zwanzig Jahren vor lauter Wehmut und tiefempfundenem Pathos beben lässt und der so schmerzlich vermisst wird. Dieser Sommer, der gefühlt dein ganzes Leben verändert hat und der nie gehen darf.
Während die Musiker also „Magic, magic summer bring it all back. Magic, magic summer the good times we had.“ singen, müssen sie nur ganz genau hinsehen, um festzustellen, dass all diese (vordergründig) erwachsenen Freunde die Platte auf den Ohren habe, lächeln, sich erinnern und plötzlich so eng verbunden sind, wie es selbst SARS-CoV-2 nicht für möglich halten würde. Danke.