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Thorsten Nagelschmidt von Muff Potter im Interview

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Foto: Verena Bruening

Kürzlich veröffentlichte Muff Potter, die Band um Thorsten Nagelschmidt, den Song „Was Willst Du“ und somit erstmals nach elf Jahren neue Musik. Außerdem gab der viel interessierte Wahlberliner seit 2007 Hunderte von Lesungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz und wird am 29. April seinen neuesten Roman „Arbeit“ präsentieren. Zwischen Song und Buch Release nahm sich Thorsten Zeit für ein Interview mit uns. Wir sprachen über Muff Potter und das Glück, ganz frei kreativ sein zu können. Er erzählte über das neue Buch und über seine Interessen neben der Musik und Literatur. Warum allerdings eigentlich immer alles und besonders der Musikjournalismus zu glatt und „Was Willst Du?“ ein sehr kämpferischer Song ist, lest Ihr in unserem Interview.

„Wir sind total frei. Die freieste Band, die ich mir gerade vorstellen kann.“

„Ich weiß noch genau, was ich gemacht habe, als Muff Potter bei Jamel Rockt den  Förster wieder auf der Bühne standen“, dieses Phänomen beobachte ich seit Eurem Comeback immer wieder. Was löst es bei Dir aus, das zu hören?

Das ist wirklich sehr schön. Wir waren ja schon sehr überrascht bei der Reunion Tour letztes Jahr. Auf so viel Anklang waren wir tatsächlich nicht vorbereitet. Wir mussten Konzerte höher verlegen und dann haben alle „Das hätte man ja wissen müssen“ gesagt. Wir haben es aber nicht gewusst. Muff Potter lief in der Zwischenzeit auch nicht wahnsinnig viel im Radio. Es waren total viele junge Leute da, die uns letztes Jahr zum ersten Mal live sahen. Da frage ich mich schon, woher die kommen.

Wir wussten aber natürlich auch, dass wir ein paar dedicated Fans haben, denen diese Band sehr wichtig ist. Das bekommt man mit, wenn die Leute sich Songzeilen und andere Dinge aus dem Bandkosmos tätowieren lassen. Ich weiß gar nicht, wie viele Eheringe es gibt, in denen „Wenn dann das hier…“ steht. Man bekommt schon mit, dass da eine Menge Leute sind, denen das immer noch total viel bedeutet.

Aber wenn jetzt Leute genau wissen, wo sie waren als, ist das natürlich ein toller Moment. Das kann ich vielleicht über 9/11 und ein paar andere Momente sagen. Aber das sind ehr sehr persönliche Dinge. Das freut uns wahnsinnig. Das ist toll.

„Man muss sich sehr, sehr tief in die unterschiedlichen Milieus hineinbegeben.“

Seitdem ist nun auch ein bisschen Zeit vergangen. Ihr seid auf Reunion Tour gewesen. Du hast das Buch „Arbeit“ fertiggestellt.

Ich habe es gerade bekommen.

Cool, sehr cool.

Dieser Moment, es zum ersten Mal in den Händen zu halten, nutzt sich nicht ab. Das ist immer noch so gut, wie bei der ersten Muff Potter Platte. Das ist echt jedes Mal wieder geil.

Eigentlich wärst Du ab Mai auf Lesetour gegangen. Das fällt nun aus. Gibt es einen Plan B oder eine Alternative?

Wir versuchen erstmal zu verschieben. Jetzt ist natürlich die Frage, wie das alles möglich sein soll, bzw. wer sich im Herbst alles anschauen soll, was in den Herbst verlegt wurde oder wer für all das Eintritt zahlen soll. Das wird nochmal eine ganz spannende Sache werden. Ansonsten planen wir an einer kleinen online Buchpremiere am 29. April, dem Erscheinungsdatum des Buches. Es soll auf jeden Fall was Cooles, Hochwertiges werden. Mir ist total wichtig, dass es live ist, dass man dabei ist und es nicht auch zwei Stunden später oder übermorgen noch anschauen kann. Interaktiv wäre auch cool.

Wie würdest Du Dein neues Buch „Arbeit“ beschreiben?

Arbeit“ spielt in einer Nacht Ende März. Dann, wenn die Nacht genauso lang, wie der Tag ist. Es wird aus den unterschiedlichen Perspektiven eines guten Dutzends Hauptfiguren erzählt, die jeweils ihre ganz eigene Sicht auf die Geschehnisse, die Nacht und die Stadt haben und deren verbindendes Element ist, dass sie alle Nachts unterwegs sind, um zu arbeiten. Nicht im Ausgehbetrieb, sondern am Rande des Ausgehbetriebes – keiner von denen, weil er/sie ins Rampenlicht will. Es sind keine DJs oder Clubbetreiber dabei, sondern Leute, die das Geld für ihre Miete einfahren (Sanitäter, Polizisten, Taxifahrer oder ein Dealer). Jeder hat sein eigenes Kapitel, welche sich im Verlauf des Buches immer mehr verknüpfen. Daraus ergibt sich das Panorama einer Nacht mit sehr subjektiven Eindrücken.

Wie entstanden die Rollen der Hauptfiguren?

Ich habe recherchiert und mit sehr vielen Menschen gesprochen. Ich war sehr viel an verschiedenen Fronten unterwegs und habe manche dieser Jobs selbst gemacht. Da habe ich mir die Substanz geholt. Dann ist es die Kunst, das zusammen zu weben und Figuren zu entwerfen, die erstens interessant und dann aber auch glaubwürdig sind. Meine Figuren sind sehr unterschiedlich. Der Jüngste ist ein 16-jähriger, arabischstämmiger Jugendlicher aus Neukölln und die Älteste, eine 60-jähriger Buchhändlerin, die eher bildungsbürgerlich geprägt ist. Ich habe einen Geflüchteten aus Afrika, der im Görlitzer Park Gras verkauft, einen Taxifahrer aus Ostberlin, eine Zugezogene aus Westberlin und eine Essenslieferantin aus Kolumbien. Das sind natürlich ganz unterschiedliche Figuren, die jeweils auch unterschiedlich denken und sprechen. Die brauchen alle ihren eigenen Duktus und Habitus. Um das einerseits spannend und zum anderen glaubwürdig darstellen zu können, muss man sich sehr, sehr tief in die unterschiedlichen Milieus hineinbegeben.

Mir geht gerade durch den Kopf, dass das Menschen sind, die jeder kennt und die wir zu großen Teilen brauchen, damit unser aller System läuft, die wir aber gleichermaßen unfassbar oberflächlich und total selbstverständlich wahrnehmen.

Genau, sie sind teilweise unsichtbar. Eine Figur sagt im Roman, dass der Punkt, den sie daran mag, Nachts in der Stadt unterwegs zu sein der ist, dass sie unsichtbar ist. Sie sammelt Flaschen und niemand schaut sie überhaupt an. Das, was man natürlich auch als degradierend empfinden könnte, ist für sie der Reiz daran. Sie muss nichts darstellen, da alle denken, dass es nur die asoziale Flaschensammlerin ist. Darin, unerkannt unterwegs zu sein, liegt für sie gewissermaßen eine ganz eigene Freiheit.

„Als wir uns aufgelöst haben, hatte ich 16 1/2 Jahre bei Muff Potter gespielt. Ich hatte in meinem Leben länger bei Muff Potter, als nicht bei Muff Potter gespielt. Das war immer mein Ding.“

Wie war es, nachdem Muff Potter wieder zusammen auf der Bühne standen?

Wir haben eine wahnsinnig schöne kleine Reunion Tour letztes Jahr im Winter gespielt und das war für alle Magic. Das hat es tatsächlich im Muff Potter Kosmos noch nie gegeben, dass wir auf eine komplett ausverkaufte Tour gehen und wissen, dass wir vor so unfassbar vielen Leuten spielen. Alles stand unter einem sehr, sehr guten Stern. Da freut man sich darüber. Das ist aber nur ein Teil.

Der andere, viel wichtigere Teil ist, dass es wahnsinnig schön war, zusammen auf der Bühne zu stehen – so kitschig das klingt. Ich habe diese Band gegründet, als ich 16 war. Mit 32 1/2 habe ich sie aufgelöst. Als wir uns aufgelöst haben, hatte ich also 16 1/2 Jahre bei Muff Potter gespielt. Ich hatte in meinem Leben länger bei Muff Potter, als nicht bei Muff Potter gespielt und jeden Tag meines Erwachsenenlebens. Das war immer mein Ding.

Mit diesen Leuten dann wieder im Proberaum und zusammen vor so vielen Leuten auf der Bühne zu stehen, war schon toll. Wir haben auch viel gestritten. Das wird vermutlich auch für immer so bleiben. Wir sind eine Band, die streitet und auch nicht immer nur produktiv streitet. Wir gehen uns auch echt mal richtig hart auf den Sack. Die Reunion Tour war aber unsere harmonischste Tour. Wir waren alle so ehrfürchtig vor diesem Moment wieder zusammen auf der Bühne zu stehen. Das war ganz ungewohnt, fast hippiemäßig, aber schön.

Dann haben wir letztes Jahr auch eigentlich keine Interviews gegeben. Wir wussten, welche Fragen kommen würden und wussten aber auch, dass wir keine Antworten darauf haben. Im Sommer haben wir dann noch ein paar Festivals gespielt und im Herbst zwei Shows mit Hot Water Music, mit einer eigenen kleinen Tour hintendran. Das war auch alles wirklich schön.

Wie entwickelte sich das?

Es fing dann natürlich an, dass man dachte „Okay, was passiert jetzt hier?“ Wir wollten nicht für immer mit unseren alten Songs auf Tour gehen, aber erstmal was das gut so und wir haben es auch nicht übertrieben, denke ich. Wir haben ja eigentlich fast alle Festivalanfragen abgelehnt und uns irgendwie schon die Rosinen herausgepickt. Mehr hätte es aber auch nicht sein dürfen, da sich dann auch schnell die Frage stellt, welche Relevanz da noch ist. Das war für uns dann tatsächlich der Moment, in dem wir dachten, wir müssen mal herausfinden, ob wir noch zusammen Musik machen wollen … können.

Wie habt Ihr Euch das beantwortet?

Das war ganz cool. Im Dezember waren wir eine Woche in Oelde und haben uns dort eingeschlossen. Unser Schlagzeuger wohnt da. Das haben wir früher zu Bandzeiten schon oft gemacht. Wir haben uns Ferienhäuschen gemietet und 24/7 Musik gemacht. Das funktioniert sehr gut in dieser Band. Manchmal krampft man sich den ganzen Tag einen ab und abends, wenn man denkt, es ist Feierabend, dann kommen plötzlich die guten Momente. Das funktioniert sehr gut und es war schön zu sehen, dass das immer noch ging. Aber wir hatten noch nicht final besprochen, ob wir nun wieder eine Band sind und eine neue Platte machen.

„Wir waren immer froh, dass wir einfach machen können, wie wir wollen.“

Was meinst Du, woran liegt das?

Wir hatten über Ostern eigentlich noch eine Session machen wollen, die uns jetzt abgesagt wurde. Das hat uns so frustriert, dass wir dachten, wir müssen jetzt irgendwas machen. Es war eigentlich eine Schnapsidee jetzt ins Studio zu gehen und diesen neuen Song aufzunehmen. Es ist nur dieser eine Song, mehr gibt es nicht und wir sind wieder an dem Punkt, dass wir noch immer nicht wissen, wie es weiter geht. Trotzdem fühlt es sich gut an, den Song gemacht zu haben und ich glaube, die Stimmung ist gerade ganz gut in der Band.

Wir sind ja auch Freunde. Wie gesagt, es kann auch passieren, dass man sich gut versteht und eine super Zeit hat und dann merkt, dass es trotzdem nicht das ist, was man auf einer künstlerischen, kreative Ebene, musikalisch und textlich machen will. Wie auch immer. Man hat sich in unterschiedliche Richtungen entwickelt. Das kann eine Chance und ein Vorteil sein, weil man sich gegenseitig anheizt, aber es kann auch dazu führen, dass man keine gemeinsame Basis findet.

Wir müssen nicht um jeden Preis ein neues Muff Potter Album machen. Keiner ist da irgendwie drauf angewiesen, weil er sonst nichts zu tun hätte. Wir werden das nur machen, wenn wir beispielsweise zehn Songs haben, bei denen wir denken, dass die Welt das hören muss.

Gibt das nicht auch ganz viel künstlerische Freiheit, wenn der Druck, produzieren zu müssen, wegfällt?

Ja, das ist total gut. Das ist für mich die luxuriöseste Position, die ich mir als Mitglied einer Band vorstellen kann. Wir müssen nichts beweisen. Wir wissen wir haben ein Publikum. Wir sind weder finanziell, noch aus anderen Gründen darauf angewiesen, ein Album entstehen zu lassen. Wir sind total frei. Die freieste Band, die ich mir gerade vorstellen kann.

Klingt gut.

Wir können einfach nur das machen, worauf wir Bock haben. Das ist fantastisch.

Klingt echt total gut und dann habt Ihr Euch eingeschlossen und dabei ist „Was willst Du“ entstanden?

Genau. Das ist sogar ein schon etwas älteres Songfragment von mir. Wir haben auch noch andere Sachen gemacht, aber „Was willst Du“ war schon ziemlich weit. Ich spreche jetzt immer nur von der Musik, Texte schreiben ist nochmal ein ganz anderes Thema. Wir hatten telefoniert und ich habe gesagt, dass ich zu dem einen Song eine Textidee habe und dass wir es ja vielleicht schaffen könnten diesen einen Song in einer Woche fertig zu bekommen. Da Dennis unser Gitarrist auch schon lange Studioarbeit macht, war es dann easy, da er den Song aufnehmen, produzieren und mischen konnte. Dadurch ging es so schnell.

„Für mich ist „Was willst Du“ ein sehr kämpferischer Song.“

Wie seid Ihr dann zum Text gekommen?

Es gab auch hier Fragmente. Ich hatte diese Zeilen, eine Idee und habe anderthalb Wochen Tag und Nacht diesen Text modelliert. Ich brauche immer sehr lange. Ich bin tatsächlich nie jemand gewesen, der sich einen Songtext aus dem Ärmel geschüttelt hat. Ich glaube, das Einzige, was mal komplett an einem Stück entstanden ist, ist die erste Strophe unseres Songs „Von Wegen“. Die habe ich tatsächlich so heruntergeschrieben. Alles andere ist immer das Ergebnis von sehr viel hin und her Überlegungen und dies und das Ausprobieren und hier fehlt noch eine Zeile oder das ist thematisch richtig, klingt aber gesungen nicht so gut oder umgekehrt. Das ist also sehr, sehr viel hin und her. Ich war aber zuversichtlich, dass es bei diesem Song klappen würde.

Ich finde die Entwicklung des Songs von „Der alte Hut“ hin zu einem Neubeginn sehr spannend. Möchtest Du ein bisschen darüber erzählen?

Ich erkläre tatsächlich meine Texte ungern. Aber gut, dass Du das sagst. Es ging schon auch darum, dass man bei all der Kritik des Textes und all den Beschreibungen der verabscheuungswürdigen Zustände und harten Zeilen, wie beispielsweise „Wer arm auf diese Welt kam, geht auch arm ins Grab“, was meiner Meinung nach eine sehr richtige, aber eben auch sehr harte Zeile ist, trotzdem Handlungsmöglichkeiten aufzeigen kann. Das ist vielleicht auch ein bisschen beeinflusst von der aktuellen Situation.

Lustigerweise haben Tocotronic am selben Tag auch einen neuen Song veröffentlicht. Ich wusste davon nichts, obwohl ich mit Mitgliedern der Band befreundet bin. Das war totaler Zufall, dass wir an diesem Mittwoch unerwartet jeweils einen neuen Song veröffentlichten. Deren Song heißt „Hoffnung. Ich finde den super. Offensichtlich hatten wir einen ähnlichen Gedanken. Am Ende oder zumindest irgendwo im Text sollte, gerade in der aktuellen Situation sowas, wie einen Hoffnungsschimmer oder was Kämpferisches sein.

Für mich ist „Was willst Du“ ein sehr kämpferischer Song, da schon allein die Fragen „Was hast Du?“ oder „Was willst Du?“ oder auch am Ende „Was brauchst Du?“, etwas klassenkämpferisches hat. Man fragt ein Gegenüber was es braucht und signalisiert, dass man sich interessiert, nachfragt und eventuell an einem Strang zieht. Das in der letzten Strophe deutlicher zu machen, war uns allen wichtig.

Man hört und interpretiert Songs ja meist für sich und versucht den Hintergrund zu verstehen: Für mich ist der Song melodisch unfassbar eingängig, der Text gesellt sich aber schon sehr voller Melancholie dazu. Ist es wichtig, das am Ende zu durchbrechen?

Ja, genau. Wahrscheinlich ist das etwas, was Muff Potter immer ausgemacht hat. Eine gewissen Melancholie, Härte und auch Kritik, die dieser Band so eingeschrieben ist. Das es aber immer wieder auch dadurch gebrochen wurde, wie man sprachlich damit umgeht. Mit einem gewissen Sprachwitz zum Beispiel. So, dass es immer wieder Brüche auf einer ästhetischen Ebene gibt. Auf einer Albumlänge hat man natürlich sehr viel mehr Möglichkeiten mit diesen Dingen zu spielen.

Da wir wussten, dass es nur diesen einen Song geben wird und das auch für eine ganze Weile, mussten wir schauen, wie wir das unterbekommen. Ohne, dass es gequetscht wirkt. Ich finde, es ergibt sich… obwohl nein, ich wollte gerade sagen, dass es sich am Ende ganz natürlich ergibt, das stimmt aber leider überhaupt nicht. (lacht) Aber es hat sich so gefügt.

Du hast das Thema Handlungsfähigkeit ja schon angesprochen und ich finde, das passt hier sehr gut, da Verantwortung und Aktivität zur Selbstwirksamkeit gehören. Erhält man sich in ungewöhnlichen Zeiten so wohl die Handlungsfähigkeit?

Genau und auch gegen diese Vereinzelung einzutreten, sich solidarisch zu zeigen, damit nicht jeder Einzelne in seinem Kämmerlein sitzt und versucht mit seinen Problemen irgendwie fertig zu werden, sondern, dass man schaut, woran es liegt, was man gemeinsam hat und wie man sich gegenseitig unterstützen kann.

Das ist natürlich immer wichtig, aber es in dieser sogenannten Coronakrise auch nochmal ganz anders. Das ist es natürlich auch, was uns als Band gerade kickt, diesen Song gemacht zu haben und zwar wirklich als Band. Wir sind eine Rockband, stehen gemeinsam in einem Raum und sind laut zusammen. Wir sind keine Band, die sich MP3 Files zuschickt. So schreiben wir keine Songs, sondern für uns ist es tatsächlich das physische Erlebnis. Klar haben wir jetzt etwas anders aufgenommen, als sonst und ein bisschen mehr Abstand gehalten. Dass man aber zusammen an einen Strang zieht und sowas innerhalb kürzester Zeit auf die Beine stellt, ist für uns und das eigene Erleben von Handlungsfähigkeit enorm wichtig gewesen und hat uns einen wahnsinnigen Kick gegeben.

„Ich interessiere mich für sehr viele verschiedene Arten von Musik, aber wenn ich Musik mache, dann interessiert mich das Physische daran.“

Wie war denn das Feedback zum Song?

Ich glaube gut. Ich schaue mir das nicht alles an, habe aber auch ein paar Leute, deren Urteil mir immer wichtig ist. Ich habe interessanterweise auch einige Freunde, die mit Muff Potter gar nicht so viel anfangen können. Wir haben da nie drüber geredet, weil das teilweise auch Leute sind, die ich erst nach dem Ende von Muff Potter kennengelernt habe. Die sagen mir jetzt, dass sie mit Muff Potter erstmal nicht so viel anfangen konnten, den neuen Song aber toll finden. Das freut mich. Ich habe überhaupt kein Problem damit, wenn meine Freunde nicht alles gut finden, was ich künstlerisch mache. Tino Hanekamp („So was von da“, 2011) ein sehr guter Freund von mir (hat vor ein paar Jahren auch ein Buch geschrieben, was ich ganz toll finde) war jetzt auch einer davon und das ist völlig in Ordnung und ich freue mich, dass ihm der neue Song gefällt.

Woran liegt das, was denkst Du?

Ich weiß nicht, vielleicht ist es Zufall, weil dieser Song einfach ihren Geschmack trifft. Ich kann da nur spekulieren und für mich selbst sprechen und dass ich natürlich darüber nachdenke, wie man als Rockband altert.

Ein durchaus spannendes Thema.

Wir sind ja nun auch nicht uralt, aber auch keine zwanzig mehr. Ich interessiere mich für sehr viele verschiedene Arten von Musik, aber wenn ich Musik mache, dann interessiert mich das Physische daran. Das was sonisch in einem Raum passiert, wenn jemand auf ein Schlagzeug haut und jemand anderes einen Gitarrenakkord anspielt und noch ein anderer schreit oder dazu in ein Mikrofon singt – das körperliche Erleben. Ich höre zu Hause gar nicht so wahnsinnig viel Punkrock und doch ist das die Art Musik, die beim Machen am meisten bei mir auslöst. Ich überlege dann, was das Alter damit zu tun hat und wie sich das verändert.

Wir wollen weder plötzlich super slowe Singer Songwriter Musik machen, noch wollen wir so tun, als wären wir siebzehn. Da entsteht dann einfach die Frage, wie man das mit Würde macht. Letztendlich stelle ich mir die Frage jetzt nicht mehr, da es nun so passiert ist. Wir haben es einfach gemacht und so klingt es, wenn wir es einfach so machen. Da brauche ich im Moment nicht mehr drüber nachdenken, denn das Problem hat sich für mich durch diesen einen Song gelöst.

„Man muss immer alles im Kontext sehen, da nichts im luftleeren Raum entsteht.“

Hat sich dann auch dein Gedanke dazu verändert?

Ich denke, dass wir alles machen können. Das ist das Schöne an dieser Band. Das haben wir früher immer schon sehr zu schätzen gewusst. Wir haben uns oft darüber unterhalten, wie froh wir waren, in der Band Muff Potter gespielt zu haben. Wir können wirklich alles machen. Wir haben Platten veröffentlicht, auf denen sehr, sehr unterschiedliche Songs sind. Dadurch wie man zusammenspielt, textet und singt, ist es am Ende trotzdem Muff Potter. Wenn man beispielsweise ein Album wie „Von Wegen“ nimmt, könnte „Bring Dich Doch Selbst Nach Haus“ und „Antifamilia“ könnten auch zwei verschiedene Bands sein, wenn man das anders produzieren würde. Aber es passt gut zusammen auf ein Album und wir waren immer froh, dass wir einfach machen können, wie wir wollen.

Wohin würdest du Muff Potter in all diesen Prozessen definieren?

Man muss immer alles im Kontext sehen, da nichts im luftleeren Raum entsteht. Wenn ich mit so alten Sachen konfrontiert werden, erinnere ich mich immer daran, in welchem Kontext wir stattgefunden haben. Wir haben zum Beispiel Mitte der 90er nicht in diesem klassischen Punkrock Ding stattgefunden. Wir waren eigentlich eine sehr politische Band und haben meistens mit Hardcorebands (aber nicht den Proll-Hardcore-Bands), sondern eher den sehr politischen Vegan-Feministischen-Hardcore-Bands zusammengespielt. Das war mehr die Szene, aus der wir kamen. Die wurde uns dann auch etwas zu klein, zu langweilig und teilweise auch ein bisschen zu humorlos. Dann plötzlich Punkrock zu sein, war ja schon fast eine Rebellion. Irgendwann hat sich das verwachsen. Ab den 00er Jahren war uns das alles egal und wir mussten nichts mehr beweisen. Da war uns dann egal, wie unsere Musik heißt.

Gerade am Anfang haben wir uns oft aus Nischen, in die wir gesteckt wurden, wieder heraus gekämpft. Mit „Schrei Wenn Du Brennst“ waren wir auf einmal Punk, wurden vom Plastic Bomb Fanzine hofiert und hatten ein anderes Publikum auf unseren Konzerten. Das fanden wir dann auch wieder nicht gut und in dieser Sackgasse wollten wir auch nicht ewig bleiben. Wir haben dann gesagt, wir machen Angry Pop Music. Das war einfach ein Witz, aber das Wort „Pop“ durfte man damals ein paar Leuten gegenüber überhaupt nicht äußern. Es machte dann einfach Spaß Leute zu ärgern.

Wir haben immer gemacht, was wir wollten, aber es ist trotzdem ein schönes Gefühl immer wieder zu sehen, was man sich erkämpft hat. Nicht nur im Szenekontext, sondern auch für sich selbst. Also, wie frei man sich im Kopf fühlt.

Wen zählst Du zu den Einflüssen von Muff Potter?

Das sind viele. Am Anfang waren das Bands wie The Vipers, Dinosaur Jr, Hüsker Du, Leatherface, Jawbreaker, Samiam und Fugazi. Boxhamsters waren dann als deutschsprachige Band dabei, die nannten aber Dinosaur Jr und Hüsker Dü beispielsweise auch als Einfluss. Man geht ja auch einfach immer wieder ein bisschen mehr zurück. Man ist vierzehn und kommt in Kontakt und möchte dann wissen, wovon die wieder beeinflusst sind. Das macht natürlich auch wahnsinnig viel Spaß.

„Wenn der Musikjournalismus nur noch Handlanger der Musikindustrie ist, wird das einfach total langweilig.“

Du hast ja selbst das Punk-Fanzine „Wasted Paper“ verlegt.

Genau, das Wasted Paper habe ich in den 90ern zusammen mit meinem Freund Wiesmann gemacht, der bis jetzt der Muff Potter Tourmanager ist.

Sehnst Du Dich manchmal nach so einer Arbeit im Fanzine oder im Musikjournalismus?

Nein, aber das Wasted Paper hatte auch mit Musikjournalismus nicht wirklich viel zu tun. Es gab in den ersten Ausgaben ein paar Bandinterviews, aber das war schon alles sehr hingerotzt. Und es ging wirklich viel mehr darum Leute anzupissen. Albert, mein Lektor vom Fischerverlag, hat letztes Jahr eins unserer alten Fanzines in die Hand bekommen und meinte, dass das eigentlich Kunst sei. Es ging damals sehr viel um Collagen und Layouts und irgendwann Erlebnisberichte. Wenn wir Interviews geführt haben, ging es am Ende eher weniger um Musik. Deswegen hat das Wasted Paper im Musikjournalismus nie mitgespielt.

Mich hat tatsächlich Jörn Morisse irgendwann angerufen und gefragt, ob ich mir nicht vorstellen könnte, ein Buch zu schreiben, weil er das Wasted Paper so gut fand. So bin ich zu meinem ersten Buch gekommen.

„Wo die wilden Maden graben“

Genau, so war das. Da hat mein Schreiben vom Fanzine hingeführt und „Wo die wilden Maden graben“ hat sich auch erst angefühlt, als würde ich eine neue Ausgabe des Wasted Paper machen. Das hat sich natürlich irgendwann verändert, weil es sehr viel umfangreicher ist und sprachlich einen anderen Anspruch stellt, aber das war die logische Entwicklung daraus.

Würdest Du über die aktuelle Fanzine- / Magazinszene sagen, dass das Unkonventionelle, Dahingerotzte und Kunstvolle fehlt? Sind wir alle zu glatt?

Ja, ich glaube schon. Tendenziell ist ja immer alles zu glatt. Ich will mich da nicht zu sehr aus dem Fenster lehnen, da ich das alles dafür zu wenig verfolge. Es gibt bestimmt gute Fanzines und ich kenne sie nicht. Aber wenn der Musikjournalismus nur noch Handlanger der Musikindustrie ist, wird das einfach total langweilig. Ich persönlich finde es total schade, dass es das Intro und die Spex nicht mehr gibt. Das ist alles Scheiße und das wäre gut zu haben, weil es wichtig war und fehlt, aber gleichzeitig denkt man auch, dass es kein Wunder ist, wenn das alles so ideenlos ist und keine Ecken und Kanten hat.

Was ist für Dich spannend?

Vieles ist spannend. Literatur gibt mir gerade einfach mehr. Da passieren spannende Sachen. Da sind Textformate, ganz unterschiedliche Formen und nicht nur Inhalte. Auch auf sprachlicher und formaler Ebene gibt es viel zu entdecken.

Bei der Musik kommt dazu, dass man leider nicht mehr so begeisterungsfähig wie früher ist. Man kennt schon viel mehr und wird weniger überrascht. Ich bin immer noch sehr musikbegeistert und höre immer noch sehr viel und sehr aufmerksam Musik, aber ich entdecke jetzt nur noch vier oder drei Bands im Jahr, die ich richtig super finde. Früher habe ich vier mega Bands am Tag entdeckt. Das ist einfach so. Ich denke aber, dass ich mich für so viele Dinge interessiere, dass ich froh über alles bin, für das ich mich nicht interessiere. Ich habe nicht das Gefühl, dass das Leben ärmer oder langweiliger geworden wäre.

„Ich bin handwerklich überhaupt nicht begabt und so ist es völliger Wahnsinn, dass ich das mit meinen Händen mache.“

Wie bist Du zum Linoldruck gekommen?

Ich habe das jetzt schon länger nicht mehr gemacht. Mein erster Linoldruck war das Buchcover meines zweiten Romans „Was kostet die Welt“. Ich wollte keine Abbildungen auf dem Cover haben, sondern nur Typo und alles, was mir von der Agentur angeboten wurde, hatte mich nicht richtig überzeugt.

Ich weiß nicht mehr genau, wie ich darauf gekommen bin, aber ich bin tatsächlich hier in Berlin zu einem Kunstbedarfladen gefahren und habe mir Linolplatten, Werkzeug und Farbe gekauft und habe einfach nur die Buchstaben ausgeschnitten. Das war keine große Kunst, sah aber super aus und hat Spaß gemacht.

Dann habe ich angefangen Menschen im Moment des Rauchens zu porträtieren. Erst waren es Freunde von mir und dann Menschen, die ich gut fand, zum Beispiel Gil Scott Heron, Amy Winehouse oder William Burroughs nach Fotovorlagen. Eigentlich war es immer eine scheiß Phase, wenn ich Linoldrucke gemacht habe, da ich dann meist mit etwas anderem nicht weiter gekommen bin. Meist bin ich dann mit dem Schreiben nicht vorangekommen. Aber schön war, dass ich dann auch was hatte, wohin ich das kanalisieren konnte, statt nur depressiv und besoffen zu sein.

Dann kamen die ersten Ausstellungen und das hat Spaß gemacht, aber eigentlich ist es ein Abfallprodukt. Es hat natürlich auch was Meditatives und Kontemplatives. Ich bin handwerklich überhaupt nicht begabt und so ist es völliger Wahnsinn, dass ich das mit meinen Händen mache.

Video: Muff Potter – Was Willst Du

Hier erhältlich

Muff Potter – Was Willst Du?
Release: 08. April 2020
Label: Huck’s Plattenkiste

Hier erhältlich

Thorsten Nagelschmidt – Arbeit
Release: 29. April 2020
Verlag: S. FISCHER

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