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Total Chaos und Oi Of The Tiger in Hannover

Total Chaos

Foto: Maria Graul

„Gröl till I die!“

Neben der angenehmen Atmosphäre der familiären Intimität schwebt ein weiterer Geist über der Show von Total Chaos. Dieser ist weniger angenehm und hat offensichtlich – Pardon – gepflegt die Schnauze voll. Er verzweifelt so sehr am bestehenden System, dass er mittlerweile einen eigenen Youtube Channel nutzen muss, um sich auszukotzen. Aber dazu später mehr.

Los geht es mit der hannoverschen Band Oi! Of The Tiger. Der Vierer startet mit ordentlich Verspätung um kurz vor 21.00 Uhr. Da sich viele Besucher noch vor der Tür aufhalten, ist das Venue eher spärlich gefüllt. Unter der gefühlt charmanten Plattitüde „Gröl till I die“ legen die Musiker im ruppigen Stumpf-ist-Trumpf-Style los. Sie wappnen die Anwesenden für den anstehenden Straßenkampf mit dem Headliner. Ansagen wie „Willst Du was zum nächsten Song sagen? Nö, Du? Ne, Du? Nö. Na gut, dann machen wir weiter“ , lassen der Zuhörerschaft das ein oder andere Schmunzeln über die Lippen ziehen. Mit „No Heros“ gibt es auch einen relativ neuen Song auf die Ohren.

Songwriting wie das Salz in der Wunde

Dass sich die Welt schon eine ganze Weile nicht mehr so richtig gut im Gleichgewicht dreht, ist kaum zu dementieren. Daran, dass dieser Zustand die Szene in den letzten Jahren mehr und mehr motiviert ihr Songwriting wie das Salz in die Wunde des Establishments zu reiben, ist genauso offensichtlich. Total Chaos machen das seit mittlerweile 28 Jahren. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen.

Das kalifornische Quartett gehört allerdings auch zu den Bands, die die Szene immer wieder in Grundsatzdiskussionen à la „ist das denn wirklich richtiger Punk“ brachten. Ihnen wurden Rockstarattitüden vorgeworfen und von Epitaph gab es einen Nightliner zum Touren. Vielleicht keine „Attitüde“ , sondern business as usual – auch wenn das eigentlich nicht laut ausgesprochen werden darf. Total Chaos spielten währenddessen mit Größen der Crustie-Szene wie The Exploited und The Adicts, vermoppten Nazis und bezogen Stellung – immer und immer wieder.

Auch diese Nacht in Hannover zeigt sich eng mit Attitüden, Frust und Mittelfingern gegen politisches und gesellschaftliches verbunden. Für Oberflächlichkeiten bleibt kein Platz – außer es geht um Bier und da ist nun wirklich jedem bewusst, was das Schlimmste ist. Der Habitus stimmt –  das ist Punk, wie er sein muss: Roh, kratzig, laut und aneckend.

„Euch steht das Ding mit den Wahlen ja auch in ein paar Wochen bevor!? Und denkt dran, dann habt ihr keine Wahl mehr.“

„Hallo Hangover… äh Hannover, lasst uns zusammen trinken und eine gute Zeit haben!“ , begrüßt die Frontröhre Rob Chaos sein Publikum und kommt gleich zum Punkt: „Vor 22 Jahren waren wir zu den Chaostagen hier. Ich vermisse diese Zeiten. Das ist mittlerweile so was von tot, oder?“ Das Publikum hält sich derweilen bedeckt oder ist vielleicht auch ein wenig mit dem direkten Türfall ins Haus überfordert. Chaos hält das nicht ab weiterzureden und setzt das Publikum darüber in Kenntnis, dass diese Welt total verrückt ist. Er hinterfragt provokant, was eigentlich die wichtigen Dinge im Leben sind und mahnt deutlich angepisst an, dass sich dafür kein Mensch interessiere. Zynisch fragt er: „Mensch Deutschland, wie geht es Euch denn eigentlich? Euch steht das Ding mit den Wahlen ja auch in ein paar Wochen bevor!? Und denkt dran, dann habt Ihr keine Wahl mehr.“

Auch Total Chaos haben einen neuen Song im Gepäck. Doch bevor „Street Punx“ angespielt wird, ist es Chaos weiterhin wichtig, seinen Standpunkt zu vertreten. Es geht um den Gemeinschaftsgedanken: „Die Welt ist im Chaos. Wir in der Punkszene sind die Außenseiter. Doch wir werden uns immer und immer wieder gegenseitig unterstützen. Es ist wirklich scheißegal wer oder was Du in dieser Szene bist. Am Ende ist es wichtig, dass Du sie fühlst und lebst.“

Zwischen diesen wirklich wichtigen Worten spielen Total Chaos ihre ebenfalls messagegeschwängerten Songs. Vereinzelt wird getanzt und das Publikum beweist sich äußerst textsicher. Das tiefrote Bühnenlicht entschleiert eine straßenkampfähnliche Atmosphäre im Mephisto. Die Musiker bewegen sich abwechselnd an den Bühnenrand. Es wird gesprungen und ihre geballten Fäuste schnellen in die Luft. Allein optisch zeigt sich in der Besucherschaft, dass hier heute nicht irgendein Punk Konzert stattfindet. Es ist ja doch eher selten geworden, einen wohlgeformten Iro zu sehen. Schön, dass es sie noch gibt.

Vor 22 Jahren beendete die Polizei den Total Chaos Auftritt bei dem Song „Riot City“

Immer wieder schwebt der eingangs benannte Geist durch die Räumlichkeit. Er versteht sich als das Gedankenkarussell des Frontmanns. Dieser entschuldigt sich bei seinem Publikum, da er immer irgendwie ein bisschen viel zu sagen habe. So viel, dass er mittlerweile sogar einen eigenen Youtube Channel habe. Man solle doch mal vorbeischauen, wenn man Lust verspürt ihm zuzuhören.

Vor 22 Jahren beendete die Polizei den Total Chaos Auftritt bei dem Song „Riot City“. Der Auftritt war nicht geplant und wurde weitestgehend durch Druck der Fans auf den Veranstalter initiiert. Der Rest ist Legende. An diesem Mittwoch schließt jener legendäre Titel das Set der Kalifornier. Ob der Punk tot ist oder nicht, darf letztlich jeder selbst entscheiden. Am Ende geht es um das eigene Gefühl dabei. Ganz tief in uns. Mit erhobener Faust lässt Chaos zwei entscheidende Worte fallen: „Punkrock worldwide!“

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