Wenn einer lügt dann wir aus Münster haben mit „Betrug in den Charts“ ihre neueste EP auf den Markt gebracht, das auch noch über das eigene Label von Bassistin Johanna – Ladies & Ladys Records, dem ersten sexistischen Label der Welt. Wir haben uns über Ecken mit der Band getroffen, die sich mal ordentlich auslassen konnte über „Excel-Menschen“, die Industrie und gleichzeitig ein Pamphlet für Vocal-Effects hielt.
WELDW: Ihr habt uns genau auf Tour erwischt. Für maximale Effizienz und Verwirrung haben wir uns die Fragen untereinander aufgeteilt. Dafür habt ihr jetzt Antworten von Sängerin und Gitarristin Garlic Johannson (GJ), live Aushilfs-Drummer und songwriting support Kleinkantschil aka Broken Drummachine breaking drummachines since 1994 (B), Bassistin und Labelbossin jb_grumpy-bassBASS (JB) und Schlagzeugerin/ Multiinschtrumentalistin Marimbaphonmeisterin und Backing Vocal Wunder LIN-5-unterstriche-music (L)
Hallo, ihr Lieben! Zum Zeitpunkt dieses Interviews ist „Betrug in den Charts“, eure neue EP, erschienen. Was hat es mit dem Titel beziehungsweise dem Titeltrack auf sich? (GJ) Betrug in den Charts heißt auch eine Folge der Kinderhörspielreihe „Die drei !!!“. Das ist das „weibliche Pendant“ zu den drei ???. Ich hab ein paar Folgen gerne zum Einschlafen gehört. Es geht oft um Verrat auf Promihochzeiten und eine hat immer Stress mit ihrem Freund. Auf jeden Fall fanden wir es ICONIC und HILARIOUS ein Album oder einen Song mal “Betrug in den Charts” zu nennen. Dann habe ich mit Bruno im Proberaum gejammt und er hat am Schlagzeug mal eben den Titeltrack gefreestyled. Irgendwie hat der Text für mich direkt perfekt zusammengefasst was wir mit WELDW in den letzten 4 Jahren so gemacht haben also: Lovesongs schreiben, Autotune benutzen, uns einfach mal auf Bühnen stellen und dabei immer ironischerweise-ernst-gemeint vom Charteinstieg träumen. Für mehr Unprofessionalität in den Charts!!! <3
(B) Der Text zum Titelsong ist in erster Linie in meinem Kopf entstanden, um spontan mit der “!!!”-Idee zu spielen und zu entertainen. In zweiter Linie ist mein Gehirn voller Hass auf die Musik-Monopolisten und ihre Taktiken Emotionen und Erfahrungen von Menschen als Memes zu verticken. Dieser Spaß und diese Wut sind dann in den traurigen Zeilen emulgiert, die es, worauf ich sehr stolz bin, auf ein WELDW-Album und worüber ich sehr traurig bin, auf Spotify und Amazon-Music geschafft haben.
Holt den Vorschlaghammer! Für weniger Excel-Menschen in den Charts!1!
Ihr experimentiert viel mit Autotune, der sich meiner Meinung nach sehr toll zu dem doch eher erdigen Grunge-Sound mischt. (GJ) weiß nicht, ob ich das noch experimentieren nennen würde. Autotune ist seit Gründung der Band meine Comfortzone. Ob es zu unserer Mukke passt oder nicht, darüber hatten wir schon viele Diskussionen. Ich mag einfach meine Stimme mit dem Effekt darauf. Hört sich ein bisschen weniger nach mir an. Das befreit. Ich schrei’ viel mehr mit Autotune. Das ist gut.
(B) Bei Gitarren sind immer alle so „hau doch mal Effekte rein“ und wenn dann ein bestimmter Effekt auf der Stimme ist, soll das dann Fake sein oder so. Die Leute, die das stört, sollen sich mal reflektieren gehen und ihre Großeltern fragen, wie es war sich an das Internet gewöhnen zu müssen.
Wie läuft eure Produktion dahingehend ab? Volle Absicht oder kommt sowas eher zufällig aus euch heraus? Hattet ihr eine Vorstellung für euren Sound für diese Platte? (GJ) Schon eher Absicht als Zufall. Ich höre zum Beispiel Bruno Gitarre spielen, mit einem Octaver und einem Fuzz und dann kaufe ich mir auch einen Oktaver und einen Fuzz und schreib ein Stück, in dem ich beide benutzen kann, weil ich es bei ihm fett fand!
Vllt ist „Zufall“ auch eh kein so gutes Wort für so Songs schreiben und Bandkontext. Ich glaube da ist musicwise relativ wenig zufällig, sondern wächst Organisch. Also, man kann nicht mehr super eindeutig sagen, weshalb jetzt genau welche Distortion-Einstellung, aber bei irgendeiner Probe hat es mal super Sinn gemacht und ist seitdem fix im Set. Quasi wie Evolution oder so. Ich hatte Bock auf was klein bissi düstereres als unser Debütalbum. Und auch kurz und ausnahmsweise mal keinen Bock auf Liebeslieder. Demnach sind den Songs sweete kleine grumpy Auswüchse gewachsen 🙂 Die Produktion war für diese Platte ein Ausnahmezustand. Wir waren in einem viel zu fäncigen Studio, mit zwei Produzenten und einem Techniker, die uns jeden Wunsch erfüllen konnten. Das war krank! Grüße an Tim, Zebo und Kian.
(B) Ich persönlich war, seit dem ersten Mal WELDW live, von dem Wunsch gefangen, da mal auf die Bühne zu steppen und die Distortion hochzudrehen. Garlic hatte irgendwann Lust auf was Düsteres und das gezielte Experimentieren mit Zerre und ich war im sogenannten siebten. Als ich dann angefangen habe, mit Schlagzeug zu spielen wurde es zusätzlich noch viel lauter im Proberaum von WELDW, denn Dreschen ist wichtig im Punk und Grunge, den ich mit meiner eigenen Band mach. Da musste ich dann erst üben leiser zu spielen, weil Pop, dann kam das neue Material aus GJ’s Feder, mit der sie es geschafft hat bestes mit bestem zu vereinen, wie ich finde und ich kann jetzt wieder, wenn auch nur Stellenweise, ordentlich Verschleißteile verschleißen, weil „Punk“ immer öfter auf dem Flyer steht. yay.
(L) : Die inhaltlichen Themen matchen gut mit dem Sound, Wut hat hier eine Rolle gespielt. Die lieblichen Sounds von früher sind vorbei, es ist eine theatralische Platte geworden, mit dramatischen Orgelssounds, verzerrten Gitarren und einem knorrigen Bass – statt luftigem Klimbim. Drama als Werksstruktur.
Eure Band beziehungsweise euer Label Ladies & Ladys Records hat den Sampler und das Festival Cock am Ring mitorganisiert. Über die Wichtigkeit von FLINTA-Personen auf den Bühnen müssen wir ja gar nicht weiter reden, aber hat es auch hier Ereignisse und Feedback gegeben, die euch dazu bewegen, zum Beispiel bei einer zweiten Auflage, noch Dinge zu ändern?
JB: Konzerte sind fast immer ein finanzielles Hochrisikogeschäft, oft für alle Beteiligten. Sowieso für die Veranstalter*innen, aber sehr oft auch für die Künstler*innen. Deswegen schaffen es auch so viele alte weiße Boybands auf die Line-ups, weil es Excel-Tabellen gibt, die zeigen, wie viele Shows die in den letzten 20 Jahren gespielt und ggf. auch ausverkauft haben. Worauf ich hinaus will: Wir sind mit Cock am Ring all in gegangen und super froh darüber! Es gab superviele Unterstützer*innen, die ehrenamtlich für das Projekt und das Festival gearbeitet haben – an die Menschen möchte ich nochmal liebste Grüße und ein großes Dankeschön schicken. Z.B. hat die Sputnikhalle Münster uns ihre heiligen Hallen zur Verfügung gestellt und am Ende des Tages war Cock am Ring (noch) keine Mainstream-Veranstaltung bei der alle mit einem fetten plus nach Hause gehen. Das war auch ein Grund, weswegen wir dieses Jahr keine zweite Auflage machen wollen. Wir wollen den goodwill dieser tollen Menschen nicht überstrapazieren und wir wollen, dafür steht ladies&ladys ja auch, das alle im Musikbiz fair bezahlt werden sollten. Ein weiterer Punkt: Cock am Ring, der Name polarisiert. Wir haben, auch wegen dieses Namens, das Ziel erreicht und sehr viel Aufmerksamkeit bekommen für das Thema. Das ist gut und vielleicht schaffen wir es morgen in den Mainstream – mit irgendeinem random Namen ohne so draufhauen zu müssen. Dann wird der Mainstream morgen richtig cool, mit richtig guter Mucke, diversen Line-ups und money money money;)
Es kommt jetzt eine Klischee-Frage, aber ich muss einfach nach der Hintergrundgeschichte eures Bandnamens fragen. JB: die Meinungen innerhalb der Band gehen da stark auseinander, ich mag: mit dem Namen können wir alles machen, sagen und singen. Niemand weiß was wir ernst meinen und was nicht. Aber mal unter uns und ganz ehrlich: wir sind echt krass ehrlich (meistens). Das die Abkürzung WELDW 5 Buchstaben hat, ist aber auch Numerologie mäßig großartig, denn es matcht perfekt zu den 5 Unterstrichen des Soloprojektes unserer Schlagzeugerin lin_____music ♡
„Betrug in den Charts“ heißt auch ein Song auf der EP. Ihr habt auf Social Media mit einem gefakten Chart-Einstieg dafür die Werbetrommel gerührt – ein Humor, der sehr den meinen trifft! Was steckt aber für eine kritische Message dahinter? Denkt ihr beispielsweise, dass in der Musik derzeit den Charts zu viel Aufmerksamkeit zuteilwird? JB: Neulich hat jemand Schlaues gesagt (Grüße gehen raus an Tabby): faith it until you make it. Wir möchten sehr daran glauben, dass unsere Musik gut ist UND gut genug für die Charts. Meine persönliche Meinung ist nämlich: die Charts haben ein hartes Imageproblem und das nicht ohne Grund: 90% der Mucke in den Top 100 ist scheiße (trifft nicht meinen Geschmack). Ich möchte gerne das Radio anmachen und gute Mucke (die meinen Geschmack trifft) in der heavy rotation hören. Also make Charts great for the first time! Das wird auch Inhalt meiner Karriere als Lobbyistin für Changeprozesse und ein besseres Musikbiz.
Die Lyrics auf eurer EP sind eher kryptisch angelegt. Ich höre moderne soziale Kritik bei Songs wie „Community“ heraus und auch „Betrug in den Charts“ scheint mir eindeutig. Worum geht es aber beispielsweise bei „Petra Plotttwist“? JB: Petra Plottwist ist das alte Ego unserer ehemaligen Schlagzeugerin. Den Text haben JK, Bruno und ich am Küchentisch unserer alten WG (von JK und mir) geschrieben, nachdem wir einen Brief von den Cops erhalten haben. Das war eine sehr traurige Phase, wir haben da nicht nur ein Bandmitglied, sondern auch eine beste Freundin verloren und das tut auch heute noch manchmal weh. Wir sagen ihr aber auch danke für den ganzen Candyshop, den wir mit ihr erleben durften.
Wie sehen eure Live-Pläne für 2023 noch aus? Wir sind grade auf Tour und schreiben dieses Interview verkatert im Hotel in Bielefeld, wahrscheinlich ist bei VÖ schon alles gespielt, aber am 27.05. gibt’s noch n Konzert auf dem Hansa Floß in Münster zusammen mit unserer Lieblingsband Kapa Tult. Und am 09.07 spielen wir auf dem Gefühle Grillen Festival in Hannover ♡ Kommt rüm, wird großartig! Alle weiteren Termine entnimmt man aktuell am sichersten Instagram, aber wir arbeiten daran unsere Artistpage auf ladiesundladys.de aktuell zu halten. Promise.