Dritte Wahl veröffentlichen mit „3D“ das mittlerweile elfte Studioalbum ihrer Karriere. Archi und Maria sind seit Wochen damit beschäftigt, nachdem Maria Archi nach Monaten Abstinenz zu einem Kreuzverhör drängelte. Am Ende schrie Archi irgendwann auf und stellte fest: „Wer soll das denn alles Lesen?“ Der Gedanke ist nicht ganz abwägig. Andererseits haben unsere beiden Deutschpunk-Barden auch einen ordentlichen Unterhaltungswert. Also nehmt Euch (wie Zeit Online das kommunizieren würde) ab hier zehn Minuten Lesezeit und habt Spaß an „Im KreuzverHör – das Buch zum neuen Dritte Wahl Album 3D“ – verlegt vom CYB Magazine.
„Ich möchte so viel mehr solche Dritte Wahl Alben in der Zunkunft!“
Maria: Mensch Archi, ich freu mich mit Dir das elfte Album der Band zu besprechen, die definitiv eine unserer eindeutigsten Schnittstellen ist: Dritte Wahl aus Rostock – Deutschpunk mit Unterhaltungswert. „3D“ geht ganz gut rein, oder?
Archi: Die Freude ist ganz meinerseits. „3D – Ein Fest für alle Sinne“ könnte der Slogan sein. Ohne vorgreifen zu wollen: Dass die alten Herren nochmal SO ein Album abliefern, hätte ich nicht erwartet.
Keine Band so oft gesehen, wie die “Wahle”
Maria: Das ist so kurz vor Weihnachten natürlich ein schöner Slogan. Nach Deiner Altersvorlage kribbelt mir allerdings eine Grundsatzdiskussion über die Legitimation einer Erwartungshaltung an 32 Jahren Punkkarriere viel mehr unter den Fingern. Fairerweise aber natürlich erstmal die Frage, welche Erwartung Du hattest.
Archi: Mannometer! 32 Jahre – das ist ja fast so alt wie wir beide zusammen. Aber mal ein bisschen Kontext: Ich habe keine Band so oft gesehen, wie die “Wahle”, bin quasi mit ihnen groß geworden und war von den letzten drei Releases doch eher enttäuscht. Der Einfachheit halber bin ich vom Alter ausgegangen und dass wir uns auseinandergelebt hätten, aber “3D” beweist hier und da dann doch das Gegenteil. Wie waren denn Deine Erwartungen?
Maria: Jetzt bin ich ganz rot geworden und musste kurz rechnen. Dabei ist mir aufgefallen, dass mich Dritte Wahl tatsächlich auch locker 20 – 23 Jahre begleiten. Nachdem dann plötzlich alles nur noch “so blau, wie Curaçao” war, dachte ich allerdings dem “neuen Sound” nun abdanken zu müssen. Dann kam “3D” und schon beim ersten Hören versetzte mich allein der Opener mit seiner Ikarus-Metapher in ein nostalgisches Erleben.
Archi: Ich muss gestehen, dass ich die Ikarus-Referenz bzw. den genauen Bezug zwischen “Julian” und “Ikarus” nicht ganz verstehe, den Song dennoch für einen großartigen Opener halte. Geht es da um Julian Assange?
Sich eben nicht unterkriegen zu lassen
Maria: Für mich sind die drei dunklen Limos und die Vermummten, denen sich keiner entgegenstellt, während die ganze Welt zuschaut, die roten Lampen der Kameras leuchten und durch dieses Ereignis der freie Fall beginnt in Bezug auf Ikarus, der gemeinsam mit seinem Vater auf Kreta (Botschaft) gefangen gehalten wurde, weil dieser zu geschwätzig war, eine klare Parallele. Ich glaube aber, dass das nur ein Bild des Songs ist, was dem paradox gegenüberstehenden Hauptmotiv, sich eben nicht unterkriegen zu lassen, dient.
Archi: Das Ganze lässt sich ja auch auf Situationen wie z.B. in Belarus oder die “mutmaßliche” Vergiftung des Kreml-Kritikers Nawalny übertragen. So gibt es vermutlich viele verschiedene Versionen von Ikarus.
Maria: Genau – wie auch immer man sie dann einordnen oder interpretieren mag.
„Dein Highlight des Albums?“
Archi: “Ikarus” reiht sich auf jeden Fall gut in die Songs ein, die wir vom neuen Album bereits durch die Single-Veröffentlichungen kannten. Apropos: Erinnerst du dich, als ich dich zur Single “Zur See” gestupst habe? Aus meiner Sicht ein Song, wie gemacht für dich. Dein Highlight des Albums?
Wir schweifen ab
Maria: “Egal wohin ich geh, ständig steht mir was im weg! […] Ich will nicht in die Stadt, ich hab die Leute satt – ich sag nur Sommerschlussverkauf!” – ja, das spricht mir aus der Seele, und das Meer steht natürlich für eine Weite, nach der wir uns alle schon mal gesehnt haben. Wär’ ich doch nur zur See gefahren, verdammt! 😀
Archi: Da wärst du gut aufgehoben, glaube ich.
Maria: Na jetzt bin ich aber gespannt, wie Du das meinst.
Archi: Ich sehe dich, zusammen mit Sänger Gunnar, am Steuer eines alten Segelschiffs den Winden und Gezeiten trotzen und bei Flaute spannt ihr beide ordentlich Seemanns-Garn. Aber wir schweifen ab.
Maria: Die Band bringt das Gefühl dahinter ganz gut auf den Punkt: “Sich selbst zu hinterfragen und etwas anderes wollen ist eine sehr menschliche Angewohnheit.” Ich mag deine Fantasie und das Ende wäre dann das Pendant zum Udo Lindenberg Song “Alles nur Chemie”. Ich säße dann nämlich nicht “allein bei einer Flasche Wein”.
Archi: Lese ich da Kritik an dem Song heraus?
Der einzig wirkliche Punk
Maria: Niemals, Udo ist ein cooler Typ, den ich – ob seiner Gesellschaftlichen-Relevanz und Statements gegen die verdammten Faschisten – sehr schätze. Irgendwann betitelte ich ihn in einem Konzertbericht (meiner Meinung nach zu Recht) als den einzig wirklichen Punk dieser Republik. Aber hör doch mal – sowohl vom Songwriting, als auch der Stimme, da hat Udo doch seine Finger im Spiel.
Archi: Da bin ich nicht der Experte, muss ich sagen. Womit ich mich aber auskenne, sind wütende Punkrock-Songs und davon gibt es einige auf “3D” und die gefallen mir außerordentlich gut. “Brennt alles nieder” oder auch “Ohne mich” treffen genau meinen Nerv.
Maria: Jetzt konntest Du nicht warten, bis ich dich zu deinen Hits befrage?
Archi: Doch, denn es gibt Songs, die dem sogar noch einen drauf setzen.
„Das holt mich genau dort ab, wo ich gerade stehe.“
Können die Hosen das besser?
Maria: Jetzt bin ich gespannt. Hau’ raus!
Archi: Mein Favorit ist nach einigen Runden dann doch das melancholische “Warm anziehen”. Ein Song genau gemacht für diese Zeit – sowohl metaphorisch, als auch meteorologisch. “Ich bin sonst nicht der Typ, der schnell den Mut verliert, doch ich hab ständig das Gefühl, dass es noch schlimmer wird. […] Bald wird es Winter, wenn du mich fragst, ich bin eigentlich ganz froh, wenn es kalt wird, denn warm anziehen müssen wir uns sowieso”. Das holt mich genau dort ab, wo ich gerade stehe, wie man so schön sagt.
Maria: Auch da höre ich alte Bekannte der Deutschen Szene. Ein klassischer und großartiger Dritte Wahl Text. “Man braucht ein dickes Fell, sonst wird man krank” – da bin ich ganz bei dir und der Band, auch wenn mit der Song leider zu sehr im Genre Stadion-Rock landet.
Archi: Ich liebe Stadion-Rock. Haha. Aber ich weiß genau, was du meinst. Denkst du, dass die Hosen so einen Song nicht hätten besser machen können?
Maria: Nein, nicht besser.
Kein Verstecken
Archi: Generell finde ich, dass Dritte Wahl in puncto Songwriting und Sound mit “3D” auf einem Level angekommen sind, auf dem sie sich vor solchen Namen nicht verstecken müssen. Das mag Punkrock-Puristen sauer aufstoßen, aber mir gefällt es.
Maria: Ich sitze hier und beobachte, wie Du Wort für Wort tippst und musste gerade echt amüsiert lachen. Scheiß auf Puristen, ernsthaft. Dritte Wahl mussten sich noch nie verstecken, das macht ja vielleicht gerade die Authentizität und Entwicklung der Band aus. Schön finde ich da auch die Eigenwahrnehmung der Band: „Wir müssen niemandem mehr etwas beweisen. Wenn Du Dich selbst nicht liebst, wie soll es dann jemand anderes tun. Wir sind bei uns angekommen, wissen was zu uns passt, worauf wir Bock haben und worauf nicht“.
„Wo sich die Toten Hosen, Broilers und Donots die Klinke in die Hand gaben.“
Vielleicht war Udo auch schon da
Archi: Die gezogenen Vergleiche liegen sicher zum Teil auch daran, dass “3D”, wie auch schon die Vorgänger, in den Principal Studios im Münsterland aufgenommen wurde – ein Ort an dem sich schon Bands wie die angesprochenen Toten Hosen, aber auch Broilers und Donots die Klinke in die Hand gaben.
Maria: Vielleicht war Udo auch schon da.
Archi: Haha. Das kann meine Recherche weder dementieren noch bestätigen.
Maria: Du hast es vorhin schon angeteasert: “Brennt Alles Nieder” – ein perfekter Song, der mich so unendlich wütend macht. Archi, ich ertrag das alles nicht mehr.
Archi: Da bin ich ganz bei dir. Aber ist es nicht auch ein wenig beruhigend zu wissen, dass man nicht allein ist und dass es Dritte Wahl so sehr beschäftigt, dass sie daraus einen Song machen?
Maria: Naja, an ersterem habe ich nie gezweifelt und letzteres wissen wir spätestens seit Lichtenhagen. Die Situation hat sich leider nie verändert, sondern wird immer schlimmer.
Archi: Das stimmt und daran wird Musik vermutlich auch nichts ändern, sie kann lediglich dabei helfen, den Mut nicht zu verlieren und Kraft zu spenden.
Der skurrilste Song der Platte
Maria: Vielleicht hilft ja “Elektro Merten”. (Der übrigens auch nach Udo klingt)
Archi: Für mich der skurrilste Song der Platte… Sowohl thematisch, als auch musikalisch.
Maria: Gentrifizierung, Großkonzerne und Investoren – der kleine Kumpelladen von nebenan ist fast Geschichte und all das, was uns gerade auch in der Musik an Nebenschauplätzen so wichtig ist, wie eben der kleine Plattenladen oder Zubehördealer, hat kaum noch eine Überlebenschance.
Archi: Das stimmt. Dennoch ist der Song ziemlich spezifisch und unerwartet, aber das führt eben dazu, dass sich Leute wie wir darüber unterhalten.
Maria: Schön, dass Musik auch sowas macht. Ich unterhalte mich sehr gern mit dir darüber. Aber hör’ mal, skurriler, als “Zusammen”?
„Ich finde es klasse und mein Kopf übersetzt permanent beim Hören die Zeilen ins Englische, was es noch viel witziger macht.“
Der typische Dritte Wahl Humor
Archi: “Zusammen” ist typischer Dritte Wahl Humor, den ich schon eine Weile als vermisst melden wollte. Ich erinnere nur an Songs wie “Melodien für Melonen” oder “Hallo Wien” und “Kein Anschluss unter dieser Nummer” – da würde ich ihn verorten.
Maria: Ich kann Dich sehr verstehen. Ich musste so, so sehr lachen, als ich den Song zum ersten Mal hören durfte. Aber ich stelle fest, es gibt ein straight getrenntes Lager von “Bester Song” und “Größter Scheiß” Menschen. Ich finde es klasse und mein Kopf übersetzt permanent beim Hören die Zeilen ins Englische, was es noch viel witziger macht.
Archi: Da würden ihn viel mehr Leute zustimmend abnicken. Auf jeden Fall sind Song, Video und Attitüde etwas, wofür man Dritte Wahl meiner Meinung nach größten Respekt entgegenbringen muss.
Maria: Sowie dem generellen Dritte Wahl Schaffen der letzten 32 Jahre. “3D” ist der Schritt in eine längst vermisste Richtung, die wir wohl beide, unbeirrt abgenickt, als großartig deklarieren. Ein Album, das an die alten Zeiten erinnert – mehr die Guten, als die gesellschaftlich Beschissenen. Ich möchte so viel mehr solche Dritte Wahl Alben in der Zunkunft!
Archi: Das hast Du gut zusammengefasst, dem habe ich nichts hinzuzufügen. Es war mir wie immer ein Fest!
Maria: ❤