100 Kilo Herz und Blaufuchs live in Hannover

Foto: Maria Graul

Die ersten 2G-Konzerte sind angelaufen und retrospektive ist unumgänglich klarzustellen, dass diese viel zu lange Zeit der Abstinenz nie wiederkehren darf. Das erleben zu müssen, wäre Anfang 2020 unvorstellbar gewesen und ähnlich befremdlich ist nun das Zurückkehren. Der Abend startet mit einem euphorischen Hoch, über das in der Schlange vor dem Béi Chéz Heinz anstehen. Keine zehn Minuten später werden Impfnachweis und Ausweis kontrolliert und das Einchecken bei Luca beendet dieses neue Ankommensritual. Wir betreten den Hof und setzen unsicher unsere Masken ab – das fühlt sich ein bisschen nach nackt sein an und definitiv sehr weit weg von sicher oder vertraut.

Es ist heiß, wild und ungezügelt an diesem Abend im Béi Chéz Heinz in Hannover.<span class="su-quote-cite">Maria Graul</span>

Erstmal wieder ankommen

Schnell also die schmalen Treppen hinab in die so vermissten heiligen Hallen – standen hier nicht neulich noch Regale? Irre, wie der geliebte Kellerclub aus seinem Pandemieschlaf zurück erwacht ist. 13 Jahre erlebe ich diesen Laden mittlerweile und habe schon viele Veränderungen mitgemacht – dieses „Zurückkommen“ war wohl eine der Emotionalsten.

Während der Blick durch den Laden zieht, wirkt dieser gleichermaßen anders und vertraut. Am Tresen schaue ich in bekannte Gesichter und halte mich schnell an einer kleinen Herri Bombe fest. Das Heinz sieht aus, wie immer. Selbst auf der Toilette herrscht noch flackerndes Licht. Passt zur spooky season. Neu ist eine angenehm ausgeleuchtete Bühne (da springt das Fotografinnenherz) und der gesperrte Lagerraum – da hat sich also der Flohmarkt versteckt; ein bisschen Schmunzeln ist unumgänglich. Weiterhin nicht neu ist, dass der Sound immer noch ein klein wenig besonders ist, die Band grundsätzlich nie pünktlich startet und der hannoversche Sicherheitsabstand offensichtlich auch zur Geschichte gehört. Während sich also bei Blaufuchs noch herangetastet wird, soll ich bei 100 Kilo Herz buchstäblich fliegen lernen. Was für ein Einstieg.

Hildesheim punktet in Hannover

Blaufuchs, die heute eröffnen, können durchaus zum Lokalkolorit gezählt werden. Gleichzeitig ist es wohl eine der aktivsten Bands des Protestsound-Netzwerkes und das beschreibt den Stil schon ganz gut: Zwischen teilweise zu poppigem Punk gibt es Musik und Texte, die nicht nur gesellschaftliche und politische Missstände anprangern, sondern auch zu lösungsorientiertem Aktionismus aufrufen. Das kommt bei den Gästen des heutigen Abends gut an und lässt die letzten Unsicherheiten, ob der neuen Realität im Club, schnell verschwinden. Die Musiker sind offensichtlich gleichermaßen gelöst und glücklich wieder auf der Bühne zu sein und reißen ein ordentliches Brett ab. Final stellt einer ihrer aktuellsten Songs „Keine Angst“ den Höhepunkt ihrer Show. Der Song, wird gleichermaßen auf Platte, wie heute live vom 100 Kilo Herz Frontmann Rodi unterstützt.

Bildergalerie: Blaufuchs

Ausgehungerte Herzen

Kein zehn Sekunden dauerte es, bis das Publikum während der ersten Akkorde der Leipziger Punkband 100 Kilo Herz eskalierte. Der Begriff ausgehungert ist wahrscheinlich sogar zu sanft gewählt für das, was sich gleichermaßen vor und auf der Bühne entlädt. Von Pogo über Cowdsurfer und Stagediven ist alles dabei – so euphorisch, dass auch ich beim Versuch den Abend in Bildern festzuhalten das Fliegen lernte und in einer der vor der Bühne stehenden Boxen lande. Count Your Bruises ist eben mehr, als nur ein Versprechen.

Während ich meine Wunden lecke, dröhnt ein Cover des Wir Sind Helden-Songs „Denkmal“ aus besagter Box. Ich hasse diesen Song ernsthaft, aber irgendwie haben 100 Kilo Herz was ganz Gutes aus diesem zweifelhaften Kult gemacht. Das versetzt wohl einige hier im Raum zurück in die frühen Nuller – ein Mekka für Millennials. 100 Kilo Herz verkünden den Song gebort zu haben, aber noch nicht genau zu wissen, ob sie ihn jemals zurückgeben. Die Kids vor der Bühne zeigen sich textsicher und trällern heiter die Songs der Band, die das kleine Heinz rein stimmungstechnisch in ein riesiges Venue verwandelt. Kaum verwunderlich also, dass es beim Knochenfabrik Cover „Filmriss“ stimmstarke Unterstützung gibt.

Kein Bock auf Nazis

Es ist heiß, wild und ungezügelt an diesem Abend im Béi Chéz Heinz in Hannover. Es ist der Beginn einer neuen Zeitrechnung und die Texte der Musiker passen zu hundert Prozent in diese Welt zwischen Aufbruch und Dunkelheit. Das Publikum weiß es auch sich zu positionieren, nach wilden Tänzen, die nahezu alle Extremitäten in unterschiedliche Ecken des Raumes beförderten, setzten altbekannte Klatschchöre ein – eine Symbolik, die ganz klar zeigt, dass Faschisten hier nichts zu verloren haben. Dazu kehrt Frontmann Rodi zurück auf die Bühne und genießt das Treiben in vollen Zügen. Mit „Wenn es brennt“, der heute akustisch gespielt wird, setzt die Zugabe an. Einer der wichtigsten Songs der Band, wie der Frontmann erzählt.

Fotogalerie: 100 Kilo Herz