Jede:r hat wahrscheinlich eine Band aus seiner Jugend, an die man sich sehr gern zurückerinnert, die alten Platten auflegt und in Erinnerungen schwelgt. Diese Band ist für mich PALE aus Aachen. Ich weiß noch ziemlich genau, wann ich das erste Mal mit Pale in Berührung kam. Damals, so 2001 ungefähr, gab es einen tollen TV-Musiksender namens VIVA2, der sich hauptsächlich der Rockmusik sämtlicher Art verschrieben hat. Das Gute an dem Sender war, dass er auch unbekannten Bands eine Plattform bot. So auch PALE, die damals „Teenage Heaven“ veröffentlichten. Als ich den Song zum ersten Mal gehört habe, war es schlichtweg um mich geschehen. Das ist anscheinend auch ganz vielen anderen zu der Zeit passiert, denn der Song katapultierte sich ratzfatz auf Platz eins der VIVA2-Charts.
Fanboystories
Natürlich besorgte ich mir auch gleich das dazugehörige Album „Razzmatazz – the Arts At The Sands“, welches bei mir zu jeder Gelegenheit, sei es über die Anlage oder im Discman (Ja, ich bin schon sooo alt), in Dauerschleife lief. Ich liebte dieses Album und ich liebe es heute noch und es bedeutet mir wahnsinnig viel. Irgendwann kamen PALE mal nach Hannover und ich war selbstredend mit dabei. Hier lernte ich auch ganz, ganz flüchtig den Gitarristen und Backgroundsänger der Band Christian Dang-anh kennen. Dieser saß damals hinter dem Merchstand und Fanboy, wie ich war, habe ich von ihm ein Foto gemacht. Er hat das natürlich mitbekommen und winkte mich zu sich rüber und sagte: “Hey, Du hast doch vorhin bei „The Coltrane Conspiracy“ vorne lauthals mitgesungen, oder?“ Das habe ich tatsächlich und er hatte das bemerkt und sich gemerkt. Ich fand das unglaublich sympathisch. Wir haben noch ein wenig miteinander geredet und ich lernte, wenn auch wirklich nur flüchtig, Christian kennen, der ein bodenständiger, intelligenter und witziger Typ war, der bei mir, trotz der Kürze unseres Gespräches, einen bleibenden Eindruck hinterließ.
Leider muss ich schreiben „er war“, denn im Mai 2021 erlag Christian dem Krebs. Ich war, wie viele andere auch, sehr traurig und betroffen, legte die „Razzmatazz“ auf und schwelgte in den Erinnerungen an das Konzert und das Zusammentreffen mit Christian. Doch zusammen mit der traurigen Nachricht kam auch eine tröstende Nachricht: PALE haben wieder zusammen Musik gemacht, Lieder geschrieben und aufgenommen.
Sashs Bilder aus dem Béi Chéz Heinz
Musik als Therapie
Dass Musik einen therapeutischen Aspekt hat, lässt sich definitiv nicht verleugnen und so kam es, nachdem sowohl Christian Dang-anh, als auch Schlagzeuger Stephan Kochs im November 2019 schlimme Diagnosen von Ihren Ärzten gestellt bekommen haben, dass die zahlreichen Mitglieder, die PALE über die Jahre hatte, wieder Kontakt zueinander aufgenommen haben. Gründungsmitglied Philipp Breuer, der bis 1996 in der Band aktiv war, schleppte das allererste Demo-Tape an und schlug vor, dass man da doch noch mal ran könne. Das brachte den Stein ins Rollen und es wurde wieder neue Musik im Hause PALE geschrieben. Stephan Kochs konnte aus gesundheitlichen Gründen leider nicht mitwirken.
Trotz der intensiven Behandlung schreibt, spielt und singt Christian mit der Band die neuen Songs ein, in der Hoffnung, dass man vielleicht ja doch noch mal ein Album herausbringen oder sogar noch einmal ein Konzert spielen könne. Doch es kam bedauerlicherweise ganz anders und Christian erlag schlussendlich doch dem Arschloch namens Krebs. Rund anderthalb Jahre später erscheint nun aber das Album, an dem auch Christian tatkräftig mitgewirkt hat, mit dem Namen „The Night, The Dawn And What Remains“, welches die Band nach Christians Tod zu Ende aufgenommen hat. Das Besondere ist hier, dass jeder, der mal in der Band aktiv war, etwas beigesteuert hat.
So unbeschreiblich schön
Und meine Herren, was ist es nur für ein wunderschönes Album geworden. Selten hatte ich beim ersten Hören eines Albums solch ein Dauergrinsen im Gesicht und Gänsehaut am ganzen Körper, wie beim ersten Hören der neuen Scheibe von PALE. Ich kann mich auf jeden Fall daran erinnern, dass es bei der „Razzmatazz“ auch so war. Die Herren aus Aachen treffen bei mir einfach genau ins Schwarze. Los geht es mit einem Instrumentalstück, für PALE tatsächlich auch gar nicht ungewöhnlich, aber auch dieser hat wieder ein cleveres Gimmick: Der Song greift viele Hooks des Albums hier schon auf und stimmt ganz subtil und gekonnt auf das kommende ein.
Richtig los geht es dann mit „Tonight We Can Be Everything“, ein Song der nur von PALE hätte sein können. Dieses typische Gitarrenspiel, der Gesang von Sänger und Frontmann Holger Kochs sowie Christian und diese Hymnenhaftigkeit im Refrain können einfach nur PALE. Weiter geht’s mit „New York“, welches zusätzlich mit einem sagenhaften Saxofonspiel im so schon phänomenalen Refrain punkten kann. Was für ein unglaublich und wunderschöner Auftakt. Ein Lied über die Stadt, die von allem zu viel hat, aber trotzdem nie genug, wie so oft auch das Leben.
Der berühmte Kloß im Hals
Anschließend folgt ein Teil des Albums, der den Hörer:innen den berühmt-berüchtigten Kloß im Hals verpasst. Es kommt jetzt „Man Of 20 Lives“, welches Holger für seinen Bruder Stephan geschrieben hat und danach kommt „Bigger Than Live“, der Abschieds-Song für Christian. Wahnsinnig tolle und bewegende Songs, bei denen man beim Hören gewiss das ein oder andere Tränchen im Auge hat. Das Doppelvideo hierzu könnt Ihr hier dazu sehen:
Video: PALE – Bigger Than Life / Man Of 20 Lives
Persönliche Higlights
Dann wird es aber wieder um einiges optimistischer mit „All The Good Good Things“, der vor allem ab dem zweiten Chorus massive Gänsehaut verursacht („Some Might Say…“). Wahnsinn, was PALE hier veranstalten und wir sind grade mal bei der Hälfte des Albums angelangt. Der nächste Song ist dermaßen „Gute-Laune-verursachend“, dass es fast schon weh tut. Aber auch nur fast. „Still You Feel“ ist für mich mein persönliches Highlight auf dem Album. Hier stimmt alles sowas von dermaßen hundertachtzig-prozentig, dass es eine wahre Freude ist, diesem Song zu lauschen. Hier singt übrigens Simon den Hartog, ehemaliger Frontmann der Kilians, die zweite Stimme und setzt dem Ganzen die Krone auf. Und dieses Saxofon wieder. Das ist echt ein unterschätztes Instrument. Man hat echt beim ganzen Song einfach nur ein Dauergrinsen im Gesicht.
„500 Songs“ macht textlich frecherweise einen kleinen Ausflug durch die ganzen Songs von Pale, sei es „A New Scene“, „Hello, Lucky Thing“ oder „All I Need Is A Comeback“. Es ist ganz großartig aneinander geschweißt und bei jedem neuen Hördurchgang entdeckt man einen weiteren Song, der hier auftaucht. Das i-Tüpfelchen setzen hier Saskia Pasing und der Berliner Kneipenchor, die dem Song grade zum Schluss noch einmal eine wunderschöne Note verpassen. Mit „Wake Up!“ wird es noch einmal so richtig wunderschön. Nur das Klavierspiel von Jonas Gervink und die Stimme von Holger machen diesen Song zu etwas ganz Besonderem, der vor allem bei Hörer:innen mit Kindern voll ins Schwarze treffen wird, vor allem bei der Textzeile „When you first fall in love and you think it’s the end. When you’re angry at the world, I’ll understand.“ Das ist ganz großes Gefühlskino.
Das perfekte Ende
Das wird aber noch vom allerletzten Song des Albums und auch der Band „Someday You Will Know“ getoppt. Ein Song, über die Bandgeschichte von PALE, die schon ihr letztes Konzert vor langer Zeit gespielt haben und nun noch einmal zufrieden auf diese Zeit zurückblicken und froh sind, diese Zeit miteinander verbracht und genossen zu haben („We were in this together“). Dieser ist so unglaublich schön und großartig arrangiert und hat wieder ein bombastisches Saxofon-Solo, diesmal von niemandem geringeren als Steve Norman von Spandau Ballet. Hinzu kommt noch, dass wirklich alle Bandmitglieder, die PALE über die Jahre hatte, im Refrain mitsingen. Einen besseren Abschluss zu einem wahnsinnig schönen Album kann mich sich definitiv nicht wünschen.
„The Night, The Dawn And What Remains“ ist ein Album, was es eigentlich nie hätte geben sollen oder dürfen, aber das Leben verläuft leider nie so, wie man es sich es vorstellt. Grade deswegen ist es umso schöner, dass diese Platte das Licht der Welt erblickt. Es ist ein musikgewordenes Denkmal der Freundschaft, der Liebe zur Musik und des Lebens.
PALE waren, sind und werden für immer sein: Benni Thiel, Lisse, Jonas Gervink, Philipp Breuer, Hilly, Holger Kochs, Stephan Kochs und Christian Dang-anh. Goodbye, Lucky Thing