Zum neuen Album von den Vorzeige-Pop-Punkern Blink-182 namens „Nine“ ein objektives Review zu schreiben, war mir schlichtweg nicht möglich. Also lasst uns doch einmal persönlich werden. Blink-182 gehört seit der „Enema Of The State“ zu meinen absoluten Lieblingsbands und somit ist es auch nicht verwunderlich, dass ich mich ziemlich auf die neue Platte gefreut habe, nachdem diese vollmundig angekündigt wurde. Ich hoffte irgendwie inständig, dass die Herren ein Album wie „California“, nur noch besser, raushauen werden.
„DAS Pop-Punk-Album für die neue Generation.“
Der totale Griff ins Klo
Denkste, Puppe! Die erste Single-Auskopplung „Blame It On My Youth“ hatte so gar nichts mit meinen Vorstellungen und Hoffnungen auf das neue Album gemeinsam. Der Schreck saß echt tief bei mir und ich habe mich ernsthaft gefragt, was bei den Dreien im Studio schief gelaufen sein muss, um so einen Track überhaupt zu schreiben. Um es gelinde auszudrücken: Der Song war dermaßen ein Griff ins Klo, dass ich kaum einen Durchlauf des Songs hinbekommen habe. Und hier sind wir genau beim Knackpunkt von „Nine“ angekommen. Auch der Rest des Albums ist, wie „Blame It On My Youth“, anders als man es erwartet hätte und vor allem erhofft hätte. Da tröstet auch das kurze Punk-Intermezzo des Tracks „Generational Divide“ über solch eine Erwartungshaltung nicht hinweg.
„Tut Euch das nicht an!“
Der geneigte und gestandene Punkrock-Hörer kann auch mit so viel Pop- und Elektro-Elementen einfach nicht wirklich etwas anfangen. Muss er nicht und brauch er auch nicht. Musik ist immer noch subjektives Empfinden und Punkrock ist nunmal Punkrock und kein Radio-Pop. Da muss sich auch eine große Band wie Blink-182 gerechtfertigter Weise Kritik anhören, warum man jetzt so einen „neumodischen Firlefanz“ machen muss. Wenn Ihr zu dieser Oldschool-Truppe von Punkrock-Connaisseuren gehört, die damit auf Kriegsfuß steht, möchte ich eines raten: Tut Euch das Album nicht an! Ernsthaft! Bevor Ihr wegen sowas noch schlechte Laune bekommt, lasst das Album links liegen. Es hat nichts mit der Art Pop-Punk zu tun, die Blink-182 zu Weltruhm verholfen hat und mit dem doch etwas anderen selbstbetitelten Album aus dem Jahre 2003 können auch nur mit gutem Willen Parallelen entdeckt werden. – 0 von 5 Sterne!
„Vom enttäuschten Oldschool-Pop-Punker Sash“
Der zweite Versuch
Nachdem ich das Album schon gedanklich an sich abgehakt hatte und „Blame It On My Youth“ ganz tief im Hinterstübchen vergraben hatte, schlug mir ein Streaming-Dienst diesen Song nach gut zwei bis drei Wochen noch einmal zum Hören vor. Weil der Song in einer Playlist war und ich zu faul war, ihn zu überspringen, dudelte er dann tatsächlich doch noch einmal in voller Länge durch meine Gehörgänge. Und siehe da, auf einmal fand ich den Song nicht mehr absolut grottig. Tatsächlich fand ich ihn sogar plötzlich richtig gut. Was war passiert bzw. besser gesagt: Was war mit mir passiert? Zum Elektro-Pop-Hörer kann ich mich doch unmöglich in der Zeit weiterentwickelt haben. Oder etwa doch? Ich höre zwar viel Querbeet, was dem erneuten Hördurchgang mit Sicherheit entgegenkam, das kam mir dann aber doch etwas zu absurd vor. Aber dann dämmerte es mir. Ich habe diesen Song ohne meine Erwartungshaltung an das Album gehört und schon hat es „Klick“ gemacht.
Und Schwupps habe ich mich wieder auf das Album gefreut. Die zweite Auskopplung „Generational Divide“ fand ich in dem Zusammenhang auch ziemlich clever gewählt. Wenn Mark die Zeilen „Is it better, is it better now. Are we better, are we better now?“ zu klassichen Double-Time-Blink-182-Song singt, fällt mir nur ein Wort ein: Chapeau! Den Herren war schon bewusst, dass die neue Richtung auf Kritik stoßen wird und nur Songs nach älterem Muster die Die-Hard-Fangemeinde zufrieden stellen wird. Clever gemacht die Herren, wirklich clever.
Ein Hoch auf Matt Skiba
Womit mich Blink-182 aber vollends abgeholt haben, war deren vierte Auskopplung „Darkside“. Ich war sofort hin und weg, als ich den Song das erste Mal gehört habe und das lag alleine an Matt Skiba. Hier hatte ich das erste Mal so richtig das Gefühl, dass Matt nicht nur als Tom DeLonge-Ersatz herhalten sollte, sondern dem Song seinen ganz eigenen Stempel aufdrücken konnte. Das war nämlich genau der Punkt, der mich an der „California“ immer gestört hat. Matt ist nicht Tom und anscheinend hat das die Band nun vollends begriffen.
„Every single day there’s some new outrage and a lot of the time it’s not worth my time.“
Ein Ohrwurm jagt den Nächsten
Endlich das Album in den Händen haltend, freute ich mich schon auf den ersten Hördurchgang und wurde direkt kein Stück enttäuscht. Ja, es ist anders und ja, es ist poppig aber trotzdem erkennt man noch an allen Ecken Blink-182. Hymnische Refrains, großartige Melodien und abgebuffte Drums von Travis Barker machen wirklich jeden Song zum absoluten Ohrwurm. Vor allem die Songs „Heaven“ und „No Heart To Speak Of“ nisten sich sowas von penetrant im Kopf ein, dass man diese auch nach Tagen noch nicht losgeworden ist. Trotz des bunten Covers ist aber das Thema des Albums sehr düster. Mark sagte im Vorfeld zum Album:
„It’s a really strange time where everyone is on heightened alert. I wake up and look at Twitter, I get angry, and I start my day. It’s unhealthy to live with this level of anger.
I have to consciously make an effort to not look at the news a lot of the time and just say, ‚Every single day there’s some new outrage and a lot of the time it’s not worth my time.‘ […] The way everything is wired right now — between the news, and Twitter, and social media — everything spins so quickly that there’s no time to take a breath.“
Kritik und Meilensteine
So geht es zum Beispiel in „Heaven“ um den Amoklauf in Thousand Oaks oder in „Black Rain“ wird Kritik an der institutionellen Religion geübt. Mark verarbeitet auch seinen Kampf mit Depressionen auf dem neuen Werk im Song „Happy Days“, der vor allem auch Mut machen soll, den Kampf gegen die Depressionen zu bestehen bzw. zu überstehen. Die Texte sind dabei immer auf den Punkt und fügen sich sehr gut in die Songstrukturen ein, was das neunte Album von Blink-182 zu einem wahrlichen Genuss in fünfzehn Häppchen macht. „Nine“ ist schlichtweg großartig geworden und ist für mich persönlich jetzt schon eins meiner Alben des Jahres, obwohl ich das nach dem mauen Anfang nie erwartet hätte. Und irgendwie habe ich auch das Gefühl, dass dieses Album ein neuer Meilenstein in Sachen Pop-Punk bzw. Rock und Pop sein wird. Ich bin mir nämlich fast sicher, dass „Nine“ DAS Pop-Punk-Album der neuen Generation, so wie damals „Enema Of The State“ im Jahr 1999, sein wird.