Blond marodieren derzeit mit viel Tüll, Seifenblasen und gewohnt gesellschaftskritischen Texten durch die deutsche Clublandschaft. Ehrenfrage, dass wir bei ihrem Stopp im Capitol mit von der Partie sind. Musikalische Unterstützung ist in Form von Get Jealous dabei. Die deutsch-holländische Indie-Punkband supported derzeit unter anderem Love A und Van Holzen auf ihren Deutschlandtouren.
Flucht nach vorn
Pünktlich um 20.00 Uhr Uhr steht das Trio in den Startlöchern, während einige Gäste gerade erst den Saal betreten. Mit „Casually Causing Heartbreaks“, dem Titelsong ihres im Herbst veröffentlichten Debütalbums, spielen sich Otto, Marike und Marek warm. „Wir freuen uns riesig, hier zu sein”, begrüßt die Bassistin das Hannoveraner Publikum. „Toll, dass ihr schon bereit seid.“ Es folgt „I’m Sorry Michelle“, ein Entschuldigungs-Song, in dem Otto (them/they) das Dating-Leben während einer psychisch instabilen Phase rekapituliert. Oder wie es im Text heißt: „I wanna make out on my couch, But I can’t let you in, ‚Cause I’ve got rotten teeth.“
Zu einer unfreiwilligen Unterbrechung kommt es, als eine Saite von Ottos Gitarre reißt. Während das Instrument hinter der Bühne repariert wird, bleibt der Band nur die Kunst der Improvisation. Doch die beherrscht Get Jealous gut: Otto schnappt sich Mikro und stürzt sich unerschrocken ins Publikum. Auf den Händen der Hannoveraner lässt die Frontperson sich zu einer Theke tragen und singt dabei ungerührt weiter. Bis die Gitarre wieder einsatzfähig ist, kündigt Marike die erste Headliner-Tour der Band an und erzählt: „Wir hatten heute ein sehr schönes erstes Mal: Die Show in Dortmund ist ausverkauft.“ Wieder mit der Gitarre vereint, stimmt Otto „C-C-C-Call Me“ und „Indy“ an – und bevor man sich versieht, ist der Spaß wieder vorbei. Get Jealous winken noch einmal ins Publikum, schon wird die Bühne geschäftig für den Hauptact des Abends umgebaut.
Bildergalerie: Get Dead
Alles ist gut, solange Du blond bist
Als „Nur ein Wort“ von Wir sind Helden als Intro ertönt, legt sich Dunkelheit über den Raum. Auf der Bühne sind schemenhaft Tüll-Berge zu erkennen – die mit einem Schlag zum Leben erwachen, als sich die drei Musiker in ihren bauschigen Outfits zu voller Größe aufrichten. Die Überraschung ist gelungen, das Publikum spendet anerkennenden Applaus. Und schon geht es mit „Durch die Nacht“ los. “Wir sind die Formation Blond und freuen uns sehr, für Euch spielen zu dürfen“, begrüßt Sängerin und Gitarristin Nina die Menge – dann folgt „Mein Boy“.
Der Hang zur Performance liegt bei Blond gewissermaßen in der Familie. Denn die Chemnitzer Band besteht aus Nina und Lotta Kummer, den Halbschwestern der Kraftklub-Mitglieder Felix und Till Kummer, sowie deren Kindheitsfreund Johann Bonitz. Die erste Choreo lässt nicht lange auf sich warten: Bei „Kälberregen“ tanzen die Schwestern und reißen sich – synchron mit ihrem Bassisten – die anfänglichen Kostüme herunter. In einem hellblauen Kleid stimmt Nina „Ich sag Ja“ an, bei dem der ganze Saal mitsingt.
„Ihr wisst es, wir wissen es: heute wird es wild“, verkündet die Frontfrau und nutzt die Zeit zwischen zwei Songs, um einige der Schilder, die im Publikum hochgehalten werden, vorzulesen. „Nie mehr toxic Vibes“ und „Alles ist gut, solange du blond bist“ ernten anerkennenden Applaus. Lotta erzählt von Tagen im Keller-Studio der Band, mit ergonomischen Schreibtischstühlen und ihrem Lieblingsspiel, Sims 3. „Auf dem Weg hierher hab ich ein kleines Erweiterungspaket gekauft, das hieß Hannover Party-Edition. Wollen wir das zusammen spielen?“ Der Jubel der sogenannten Blondinators ist Antwort genug.
Wir geben ihnen gerne Geld
Die Shows der Chemnitzer sind ein sorgfältig durchchoreografiertes Gesamtkunstwerk, bei dem Musik, Tanz, Kostüme und Wortwitz nicht eine Sekunde Langeweile aufkommen lassen. An den skurrilen Outfits, die sich im Laufe des Abends mindestens dreimal ändern, Johann, der mit unbewegter Mine Bass und Synthesizer bedient und ein Bier nach dem nächsten mit einem Feuerzeug öffnet oder den absurden Geschichten, die Ninas und Lotta zwischen den Songs zum besten geben, kann man sich einfach nicht satthören und -sehen.
Auf die ironische Spitze treibt das eine „gemeinsame Entspannungsübung“, zu der Nina das Publikum auffordert – natürlich mit esoterischer Hallverstärkung auf dem Mikro und Klangschale in der Hand. Nina spricht vor, die Menge soll wiederholen: „Ich kaufe Blond-Merch, weil ich das sehr mag. Blond ist meine Lieblingsband. Ich gebe ihnen gern mein Geld.“ Der Absurdität sind keine Grenzen gesetzt. Weiter geht es mit „toxic“ und dem Mando Diao-Cover „Dance with Somebody“, für das Otto und Marek noch einmal zurück auf die Bühne kommen, bevor eine Märchenstunde nach Blond-Art den Menstruations-Song „Es könnte grad nicht schöner sein“ einläutet. Klamauk und Entertainment in allen Ehren, in den Texten steckt viel Kritik. „Vier Stunden Fahrt mit Schmerzen im Flixbus, Glaub‘ mir, die Periode ist kein Luxus“ bringt das wortgewandt auf den Punkt.
Bildergalerie: Blond
Es regnet Männer
Blond sind immer für eine Überraschung gut – und so verwundert es nicht, dass neben dem dritten Outfit-Wechsel weitere musikalische Gäste mit von der Partie sind. Für „Du musst dich nicht schämen“, performt die Hannoveraner Künstlerin Serpentin, die erst wenige Tage zuvor mit dem Pop Award in der Kategorie „Artist of the Year“ ausgezeichnet wurde, gemeinsam mit dem Trio. Auch ältere Stücke kommen an diesem Abend nicht zu kurz: Bei „Spinaci” zeigt sich das Publikum textsicher und skandiert wie aus einem Mund: „Ich hab die Fresse voll Spinat“, bevor sich die Band verabschiedet. Natürlich nur, um sich für das Grande Finale umzuziehen.
Die beiden Frauen schreiten in Brautkleidern auf die Bühne, wo die sonst schlagzeugspielende Lotta „Final Countdown“ auf einer funkensprühenden Blockflöte anstimmt. Himmel, hier bleibt kein Auge trocken. „Den letzten Song widmen wir einer bestimmten Gruppe von Menschen, die sehr verwirrt ist“, sagt Nina. „Sie fragen sich: Darf ich einer Frau noch die Tür aufhalten? Und darf ich einer Frau ein Kompliment machen, oder ist das schon Sexismus?“ Im Capitol bricht Jubel aus, alle haben verstanden, dass es um „Männer“ geht und singen mit. Als der Song vorbei ist, will der Chor noch immer nicht abreißen. Und so dirigieren die Kummer-Schwestern in Brautkleidern das Publikum einfach a capella weiter, bis es bereit ist, zu gehen. Zumindest an den Merch-Stand.