Corona hat die gesamte Welt ordentlich durcheinandergebracht. Auch aus musikalischer Sicht hätte es für Boston Manor kaum schlechter laufen können: Gerade ihr aktuelles Album „Glue“ (Albumreview) auf den Markt gebracht, konnten die neuen Songs nicht live auf die Bühnen gebracht werden. Und das, obwohl gerade dieses Album ein wichtiger Wegweiser in der Zukunft und Ausrichtung der Band aus UK darstellte. Während die Band sonst den Großteil der Zeit miteinander verbrachte, brachen auch gemeinsame Treffen vorerst weg. Es ging so weit, dass die Band vor der Entscheidung stand: Weitermachen oder alles beenden?
„Desperate times call for desperate pleasures“
Die Luft war raus, die Mitglieder haben teilweise einen Monat lang nichts voneinander gehört. “I didn’t feel like I could write songs anymore – it just physically wasn’t happening„, erinnert sich Frontmann Henry Cox. Bis ihm im Januar 2021 Gitarrist Mike Cunniff zehn neue Songideen zuschickte. Was dann folgte, war laut Mike “the most joyful writing sessions we’d ever had”. Und der Band wurde klar: “Desperate times call for desperate pleasures”.
Entfremdung, Isolation, Angst: Auch wenn Cox‘ Lyrics nicht politisch sind, sind sie dennoch getrieben von aktuellen Ereignissen, wie etwa der immer weiter wachsenden sozialen Entfremdung durch Corona oder dem grausamen Mord an dem US-Amerikaner George Floyd.
Ein Kind des Lockdown
Mit dem bereits im Vorfeld veröffentlichten „Carbon Mono“ liefern Boston Manor einen starken und vergleichsweise harten Einstieg in die EP – passend zu den Lyrics, in denen es um das verwerfliche und unreflektierte menschliche Handeln geht. „Algorithm“ kommt da weitaus pop-punkiger daher und weniger experimentierfreudig als der Opener. In diese Kerbe schlägt schließlich auch die neueste Single „Desperate Pleasures“ ein. Boston Manor bedienen sich hier eindeutig wieder härterer Elemente, ohne ihren eingeschlagenen Stil auf „Welcome To The Neighbourhood“ und zuletzt „Glue“ wieder zu verlieren.
„I Don’t Like People (& They Don’t Like Me)“ kann getrost stellvertretend für die Corona-Pandemie stehen und für die tiefen sozialen Abgründe, die diese Pandemie einmal mehr zum Vorschein gebracht hat. Sicherlich ist dieser Song musikalisch am nächsten an den vorherigen Outputs der Band. Zum Ende hin gibt es mit „Let The One Right In“ eine solide Mid-Tempo-Nummer, die durchaus Lust auf mehr macht.
Zwar ist die EP kein neues Kapitel, aber ein Anfang für etwas, was noch kommt. Ein erster Schritt hinaus aus einem tiefen schwarzen Loch, aus dem sich Boston Manor herausgekämpft haben.