Bruce Springsteen – Springsteen on Broadway

Mitten in Midtown Manhattan, am Times Square zwischen der 41. und 53. Straße und zwischen der Sixth und der Ninth Avenue gibt es 41 große Theater. Bruce Springsteen, der vertrauenswürdige Erzähler von mutigen Wahrheiten über das Blue-Collar-Amerika, der wahre, an die ursprüngliche Kraft des Rock’n‘Roll Glaubende passt -vorausgehend- gedanklich nur merkwürdig in den Rummel der laufenden Musikangebote des Great White Way und trotzdem sorgte sein Dasein für einen Ansturm auf die Tickets, wie man es dann selbst auf dem Broadway nicht oft erlebt.

„Wir sind füreinander da“

Springsteen zieht Bilanz

Über ein ganzes Jahr war er nun am New Yorker Broadway. Die Aufnahme, die mittlerweile im Zuge eines Doppelalbums und Konzertfilms für die Ewigkeit festgehalten wurde, entstand an zwei Abenden im Juli 2018. Sieben Wochen sollte der Boss auf dem Broadway residieren – er bleibt vierzehn Monate oder wie der nimmermüde Springsteen selbst sagen würde: „Ich bin Mr. Born to Run, ich verkörpere ‚Thunder Road'“ – Ich wohne derzeit zehn Minuten von meiner Heimatstadt entfernt.“

Die Kulisse in der Bruce Springsteen auf der Bühne des New Yorker Walter Kerr Theatres steht, könnte nicht besser auf sein Programm zugeschnitten sein. Unter dem wenigen Licht, welches das ganze Arrangement in einen warmen Mantel hüllt, trifft stets ein einziger Spot den Künstler, welcher seinem Publikum, ganz einfach gekleidet mit schwarzen Schuhe, schwarzer Hose und einem schwarzen T-Shirt, die höchst intime Geschichte seines Lebens erzählt, sich selbst als Lügner überführt und auf dieser minimalistisch eingerichteten Bühne all die Wahrheiten seines Lebens in den Fokus stellt, während er Bilanz zieht: „Ich komme aus einer Stadt an der Promenade, wo alles mit ein wenig Täuschung behaftet ist. Das gilt auch für mich. Im Jahr 1972 war ich kein Autorennen fahrender Rebell. Ich war auch kein Punk. Ich spielte Gitarre auf der Straße von Asbury Park.“

„Wie jeder guter Zaubertrick, beginnt auch meiner mit einer Täuschung“

Die Wahrheit über einen, der nie Teil der „All-American Working Class Heros“ gewesen ist

„Ich will heute Abend einen Daseinsbeweis erbringen, für das schwer erreichbare Wir-Gefühl, das speziell heute nie ganz glaubhaft ist. Das ist mein Zaubertrick.“, erklärt Springsteen eines seiner vier Asse, welches er als Essenz seines Erfolges aus dem Ärmel zieht und zum wichtigsten Punkt des Abends macht. Folgend erklärt er, dass es auch bei ihm, wie bei jedem guten Zaubertrick zu Beginn eine Täuschung gäbe. Während und nach dem Opener „Growing Up“ räum Springsteen mit der Illusion auf, dass er jemals ein Teil der „All-American Working Class Heros“ gewesen sei. Seine Erzählungen von Knochenjobs aus Fabriken, die er nie von innen gesehen habe, Tagelöhnern und Kriegsveteranen wurden von jemanden ausgedacht, der sein Talent darin erkannte, seit seinen Teenagerjahren auf den Bühnen dieser Welt zu stehen. Jemanden, der in seinem ganzen Leben nie einen normalen Job hatte, nie hart arbeitete oder nie in einem Büro saß und letztendlich scherzt er in all seiner sympathischen Selbstironie, dass er nun seit kurzen eine 5-Tage-Woche habe und es ihm ganz und gar nicht gefalle. Es scheint Zeit zur Offenbarung zu sein: „Vor Ihnen steht ein Mann, der wahnsinnig erfolgreich geworden ist, weil er über Dinge schreibt, mit denen er absolut keine persönlichen Erfahrungen hat: „Ich habe das alles erfunden. Das zeigt, wie gut ich bin.“

…eigentlich wollte er doch einfach nur diese verdammten drei magischen Akkorde beherrschen und abrocken.

Springsteen on Broadway ist ein wirklich charmantes Album – charmant genug, um einen Boss-Agnostiker davon zu überzeugen, dass an dem Mann mehr dran ist, als er bisher denken konnte. Die siebzehn darin enthaltenen Songs sind meist von längeren gesprochenen Zwischenspielen unterbrochen. Diese entspringen der 2016 erschienenen Autobiografie „Born to Run“. Und während Springsteen seine theatralische Fähigkeit nutzt, eigens Verfassten eine große Portion Spontanität zu spendieren, wirkt all das, was er dem Publikum kredenzen, in keiner Sekunde gekünstelt oder aufgesetzt: „Wir, die Ungewaschenen, Unsichtbaren, die Machtlosen, die Kinder, wir wollten mehr. Mehr vom Leben, mehr Liebe, mehr Sex, mehr Hoffnung und mehr Macht. Und mehr Gefühl und Wahrheit, aber vor allem mehr Rock’n’Roll!“, berichtet der Musiker darüber, wie die Revolution an einem gewöhnlichen Samstagabend in ahnungslose amerikanische Haushalte einzog und eine Rassendiskussion angekurbelt wurde, die gleichermaßen eine freiere Existenz vermittelt. Er erklärt am Beispiel Elvis Presleys, wie sich die Welt in einem kurzen Moment völlig veränderte und der Rock’n’Roll-Flaschengeist den gewöhnlichen Amerikaner dazu bewegte, mehr Selbstvertrauen in die eigene Sache zu stecken. Somit erkannte Springsteen, dass der einzige Unterschied zwischen ihm und seinem Helden eine Gitarre war – der „Stab der Gerechtigkeit“. Nach vielem Hin und her brach er den hart erbettelten Gitarrenunterricht nach zwei Wochen ab – es war zu langweilig und eigentlich wollte er doch einfach nur diese verdammten drei magischen Akkorde beherrschen und abrocken.

Der Abend ist nach nicht mal einem Drittel Show so privat, so ehrlich und intim, wie es wohl bisher kein anderen Künstler schaffte

Springsteen zieht Bilanz: über seine Kindheit und Jugend, über seine geliebte Mutter und seinen depressiven Vater, über seine Heimat New Jersey. Er widmet die schon längst veröffentlichen Songs den richtigen Personen, an der richtigen Stelle. Als er über die schwierige und merklich schmerzhafte Beziehung zu seinem Vater erzählt, bricht jeglicher Bann. Dem sonst euphorisch und voller Hingabe schreienden, scherzenden, selbstironischen Springsteen gelingt es nur schwer seine Gefühle zu unterdrücken. Kurz bevor er „My Father’s House“ von 1982 und „Long Time Coming“ von 2005 performt, werden seine Augen feucht und der Abend ist nach nicht mal einem Drittel Show so privat, so ehrlich und intim, wie es wohl bisher kein anderen Künstler schaffte.

Über den Vater, der die Verkörperung der Arbeiterklasse darstellt resümiert er: „Wenn wir vergebens von jemanden geliebt werden wollen, ahmen wir ihn nach, das ist die einzige Möglichkeit für uns die Nähe und Liebe zu bekommen, die wir brauchen und suchen. Mein Vater war mein Held und mein größter Feind.“ Springsteen versöhnte sich mit seinem Senior kurz, bevor er selbst Vater wurde: „Wir sind entweder Gespenster oder Vorfahren für unsere Kinder. Entweder bürden wir ihnen unsere Fehler und Lasten auf oder wir helfen ihnen, diese alten Lasten abzulegen und befreien sie von den Ketten unseres fehlerhaften Verhaltens und als Vorfahren begleiten wir sie auf ihrem Weg. Mein Vater bat mich an dem Tag die Rolle des Vorfahrens in meinem Leben einnehmen zu können. Das war mein schönstes Erlebnis.“

„Als junger Mann war ich überwältigt von der Größe und Schönheit dieses Landes“

Es ist gut, daran erinnert zu werden, wer man ist

Genauso, wie er über die Geschichte seiner Ehe mit Patti Scialfa, die ihn mit den Worten „Ich kenne mich mit der Liebe aus“ verzauberte, berichtet und umschwärmt er fast lyrische die Liebe zu seinem Land: „Das Land war wunderschön und ich empfand eine große Freude am Steuer, als wir im Morgengrauen die westliche Wüste durchquerten. Die tiefblauen, lila schattierten Schluchten, der hellgelbe Morgenhimmel mit all seinen Schattierungen lässt die schwarzen, silhouettierten Canyons im Rückspiegel verschwinden. Der Morgen weckte die Erde in dieser gedämpften Farbe und dann kam das flache Licht der Mittagssonne und enthüllte den reinen Horizont. Als junger Mann war ich überwältigt von der Größe und Schönheit dieses Landes.“

Er spricht aber nicht nur von der Schönheit. Springsteen erinnert sich an die Bewegung „March of our lives“, die in relativ kurzer Zeit aus lokalen Initiativen in den USA zur weltweiten Massenbewegung angewachsen ist, die sich für wirksame Maßnahmen zur Kontrolle von Schusswaffen in privaten Händen einsetzt. Er erläutert, dass gut ist, daran erinnert zu werden, wer man ist und dass das besonders heutzutage gar nicht so schlecht sei. Dass es ermutigend ist, wenn Menschen gemeinsam auf die Straße gehen und für gemeinsame Werte einstehen. Gerade in Zeiten, in denen es Menschen gibt, die die hässlichsten Gespenster der amerikanischen Geschichte beschwören und Amerika in seinen Grundsätzen zerstören.

Der Zaubertrick – Es ist die andere Seite der Rock-Legende

Am Ende des Abends ist klar, wie Springsteens Zaubertrick funktioniert: Es sind nicht die Songs, die wir alle lieben, nicht die amüsanten Geschichten oder der Einblick in ein Leben, dem viele schon eine lange Zeit folgen. Es ist die andere Seite der Rock-Legende, es ist das Wie, die Art und Weise – es ist die unanfechtbare Offenheit, die emotionale Authentizität und am Ende das Gefühl der Gemeinschaft, welches Bruce Springsteen seinem Publikum vermittelt. Er macht uns zu einem Teil seines Lebens und während man in der Rolle des Zuhörenden bleibt, öffnet der Boss sein Herz und lässt uns eintreten: „Seelen sind hartnäckig. Seelen lösen sich nicht so schnell auf, sondern verweilen. Das ist der Grund warum wir singen. Wir singen für unsere Familien und Freunde und Landsleute, denn das ist alles was und im Endeffekt bleibt. Wir sind füreinander da.“

Video: Springsteen On Broadway – Trailer

[su_box title=“Hier erhältlich“]Bruce Springsteen Springsteen On BroadwayBruce Springsteen – Springsteen on Broadway
Release: 14. Dezember 2018
Label: Sony Music[/su_box]

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bruce-springsteen-springsteen-on-broadwaySpringsteen zieht Bilanz: Über seine Kindheit und Jugend, über seine geliebte Mutter und seinen depressiven Vater, über seine Heimat New Jersey. Er widmet die schon längst veröffentlichen Songs den richtigen Personen, an der richtigen Stelle.