Chris Wollard von Hot Water Music im Interview (2/2)

Hot Water Music News
Foto: Dave Decker

Hot Water Music veröffentlichen im 28. Jahr ihres Bestehens ihr neuntes Album „Feel The Void“. Wir trafen uns zu diesem Anlass für ein überraschend ausführliches virtuelles Gespräch mit Chris Wollard, einer von zwei Stimmen der Gainesville Legenden. In Teil Zwei des Interviews sprechen wir in aller Tiefe über persönliche Auszeiten, Auflösung und Reunions und diskutieren die Frage, ob es eine Altersgrenze für Punkbands geben sollte.

Hier lest Ihr den ersten Teil des Interviews

Wir waren in Münster, saßen vorm Hotel, tranken Bier, rauchten Zigaretten und haben uns angeschwiegen. Ich glaube, es war George, der plötzlich sagte: „Ich bin total unglücklich hier.“ Und wir haben festgestellt, dass sich alle so fühlten. Niemand war glücklich. Wir ließen unseren Frust aus und stritten so richtig. Wir sahen uns plötzlich gezwungen, entweder die Band fortzuführen oder unsere Freundschaft zu retten. Die Entscheidung war für alle klar: Scheiß auf die Band!<span class="su-quote-cite">Chris Wollard</span>

Nachdem die Verbindung mitten im Gespräch überraschend abgebrochen ist, kontaktiert Chris mich direkt per Mail, und erklärt, dass sein Bandkollege Jason nicht an die voreingestellten 30-minütige Zeitgrenze gedacht habe. Er fragt, ob wir trotzdem weitemachen wollen und so sind wir nach wenigen Minuten wieder verbunden.

Willkommen zurück, Chris! Nur um sicherzugehen: Wie viel Zeit hast du noch für uns?
Ach, ich kann mir so viel Zeit nehmen, wie ich will. Ich habe heute noch ein Haus zu streichen, das ist mein Job. Ich mache das aber als Selbstständiger, also entscheide ich selbst, wann ich arbeite. Ich muss nicht zu einer festen Zeit in einem Büro erscheinen oder sowas.

Ist das etwas, was du schon immer abseits der Musik gemacht hast? Oder hast du das gerade erst begonnen?
Irgendwie beides, haha. Denn ganz offensichtlich habe ich den Großteil meines Lebens auf Tour verbracht und war praktisch ständig unterwegs. Das macht es unmöglich, einen Vollzeitjob zu behalten. Wenn du dann aber nach monatelanger – oder manchmal jahrelanger – Tour nach Hause kommst, suchst du dir irgendwelche Jobs. Über die Jahre habe ich alles Mögliche gemacht: Montagearbeiten, Dachdecker, diese Art Jobs. Ich bin 46, inzwischen gibt es einfach Arbeiten, die ich körperlich nicht mehr hinbekomme – schon gar nicht in der Floridasonne. Aber: Ich mag die Malerei, haha. Als ich damals von der letzten Tour zurück war, habe ich in der Firma eines guten Freundes angefangen. Da war ich dann quasi der Projektmanager eines mittelgroßen Malerbetriebs. Dieser Freund ist leider von anderthalb Jahren verstorben.

Das tut mir leid.
Ja, das war Mist. Er war mein Mentor. Großartiger Kerl, ich liebe seine Familie. Das war ein Schock. Danach wollte ich nicht mehr für eine andere Firma arbeiten. Also habe ich mich selbstständig gemacht. Es ist wirklich cool. Gainesville ist eine grandiose Stadt, die Community ist super, es gibt immer etwas zu tun. Ich mache keine Werbung, ich habe nicht mal Visitenkarten, haha.

Ich musste einfach einen Schritt zurück machen und selbst erkennen, wo ich eigentlich im Leben stehe.<span class="su-quote-cite">Chris Wollard</span>

Du hast eben das Touren angesprochen: Du hast vor etwa fünf Jahren beschlossen, keine Shows mehr zu spielen und nicht mehr auf Tour zu gehen, weder mit Hot Water Music, noch mit deiner eigenen Band, den Ship Thieves. Wie fühlt sich diese Entscheidung rückblickend an?
Chris überlegt lange 

Wir können die Frage gerne überspringen, wenn das zu persönlich wird.
Nein, absolut nicht! Es ist so: Zu Beginn war das keine Entscheidung im eigentlichen Sinne. Ich musste einfach einen Schritt zurück machen und selbst erkennen, wo ich eigentlich im Leben stehe. Und das war wirklich ein komplett anderer Ort als heute. Wirklich, komplett anders. Ich habe also nicht die Band angerufen und gesagt „Hey Leute, ab jetzt toure ich nie wieder“. Ich habe die Band angerufen und gesagt „Hey Leute, ich habe ein verdammtes Problem. Alle meine Ärzte sagen, es wäre besser, nicht mehr zu touren.“ Es war zu der Zeit dringend nötig, auf die Bremse zu treten, aber keine endgültige, rationale Entscheidung.

Und selbst heute noch würde ich nicht ausschließen, jemals wieder eine Show zu spielen. Ich muss mir einfach sehr darüber im Klaren sein, was Stress in mir auslöst. Ich muss meine Grenzen genau kennen. Und ich muss mich fragen: Ist es das wert? Also ist es mir wert, rauszugehen und mich dem Risiko eines Rückschlags auszusetzen? Es war so verdammt hart, mich aus diesem Loch und der Dunkelheit herauszukämpfen, in dem ich mich damals befand. Das war wirklich beängstigend. Es brauchte meine Frau, meinen Sohn, meine Familie, meine Freunde, meine beiden Bands, meine Ärzte, meine Therapeuten, meine Geschäftspartner – es brauchte so unglaublich viel Unterstützung und Hilfe, um daraus zu kommen.

Es wäre, als würde ich ein komplettes Footballspiel durchspielen – jeden einzelnen Tag.<span class="su-quote-cite">Chris Wollard</span>

Heute geht es mir so gut wie vielleicht nie – bis auf die Tatsache, dass mein Körper eben schon 46 ist und mir jeder verdammte Knochen wehtut, haha. Aber mental und geistig fühle ich mich hervorragend. Ich habe die Kontrolle. Und: Ich kann immer noch an der Kunst arbeiten, die ich liebe: Musik. Ich kann immer noch meiner Leidenschaft nachgehen, aber eben ohne den ganzen belastenden Stress des Tourens. Viele Menschen bekommen diese Möglichkeiten nicht. Gerade letztes Wochenende habe ich eine Show von Hot Water Music besucht. Und es war absolut fantastisch! Und doch: Die lange Fahrt, das Chaos drumherum, die Hektik, das hat mir sehr zugesetzt. Zusätzlich haben wir auch ein weiteres Musikvideo abgedreht. Das war viel Arbeit. Das alles hat mir alles abverlangt. Es ist schwer zu erklären, aber ich werde dann sehr müde. Nicht die Art Müdigkeit, die jeder kennt, es ist mehr so, als wenn das Gehirn sagt „Man, ich brauch‘ jetzt eine verdammte Pause“. Am Anfang des Tages bin ich noch voller Energie und denke „Das könnte ich die ganze Zeit machen und morgen geh ich zu einer weiteren Show“ aber nach am Ende des Tages bin ich komplett erschöpft. Keine Ahnung, wieso, aber es entzieht mir so viel Kraft. Und daran merke ich, dass ich gar nicht auf Tour gehen könnte, selbst, wenn ich wollte. Schon eine einzige Woche würde mich fertig machen. Es wäre, als würde ich ein komplettes Footballspiel durchspielen – jeden einzelnen Tag.

Das ist etwas, was viele Menschen nicht richtig verstehen: Touren ist verdammt hart! Es ist ein konstanter 24-Stunden-Job. Du kommst nicht nach wie einem normalen Arbeitstag nach Hause und legst dich auf die Couch. Du weißt nie, wo du die nächste Dusche bekommst. Du isst drei Mal am Tag in irgendwelchen Restaurants, das ist nicht gerade gesund. Es ist verdammt hart, dabei Ruhe für sich selbst zu finden. Das ist das Problem für mich: Ich kann dabei keinen Pausenknopf drücken. Wenn du mitten in einer Show merkst, dass dich deine Erschöpfung plötzlich übermannt, kannst du nicht einfach aufhören. Wenn du aufwachst, und dich nicht gut fühlst, musst du weitermachen. Du musst die 10-Stunden-Fahrt zum nächsten Auftritt auf dich nehmen. Und ich weiß einfach nicht, wie ich das schaffen sollte.

Wenn ich eines morgens aufwache und mich bereit fühle, dann spiele ich eine Show.<span class="su-quote-cite">Chris Wollard</span>

Ich fühle mich natürlich jetzt so viel besser, als zu dem Zeitpunkt, als ich entschloss, nicht mehr touren zu gehen. Und die anderen Jungs machen mir da überhaupt keinen Druck. Sie fragen mich nicht jedes Mal „Hey, kommst du mit zu dieser oder jener Show?“. Sie und ich wissen: Wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist, bin ich dabei.

Ich musste selbst lernen, im Hier und Jetzt zu leben und mich nicht die ganze Zeit mit Dingen zu stressen, die vielleicht auf mich zukommen könnten. Das ist Teil meiner Therapie. Ich sitze nicht herum und frage mich „Kann ich wieder Shows spielen?“, sondern ich überlege „Was kann ich heute tun?“. Wenn ich eines morgens aufwache und mich bereit fühle, dann spiele ich eine Show. Dieses Herumsitzen und sich selbst quälen, das ist einfach total verschwendete Energie, verstehst du?

Ja, absolut! Das sind wirklich tiefe Einblicke und ich denke, darin kann sich fast jeder Mensch wiederfinden. Lass uns nochmal versuchen, den Bogen zum neuen Album zu schlagen: Für „Feel The Void“ habt ihr euch wieder mit Brian McTernan zusammengefunden, der schon eure drei Klassiker „A Flight And A Crash“, „Caution“ und „The New What Next“ produziert hat. Wer war aufgeregter über diese Reunion – ihr oder Brian?
Es war zum Teil unsere Idee, aber auch unser Label, Equal Vision, hat diese Idee unheimlich gepusht. Brian hat tatsächlich schon einige Zeit lang nicht mehr als Produzent gearbeitet, sondern hatte einen ganz normalen Job. Als es konkreter wurde, rief er uns ständig an – selbst seine Frau – um uns zu sagen, wie aufgeregt er sei und wie sehr sich darauf freut! Und auch im Studio habe ich ihn noch nie so euphorisiert gesehen.

Diese Chance konnten wir uns nicht entgehen lassen.<span class="su-quote-cite">Chris Wollard</span>

Was ist das Besondere an dieser Zusammenarbeit? Für „Exister“ und „Light It Up“ habt ihr immerhin andere Wege gewählt.
Wir lieben Brian! Er ist so ein genialer Produzent. Er hat auch das Album von The Draft produziert, wusstest du das? Er ist so unfassbar talentiert. Ich persönlich habe insgesamt bestimmt schon acht oder neun Mal mit ihm zusammengearbeitet. Es gab nie eine klare Entscheidung, nicht mehr mit ihm zu arbeiten. Wir hatten für „Exister“ aber die Chance, zu Bill Stevenson und Jason Livermore in die Blasting Room Studios zu gehen das war mein absoluter Traum. Ich meine – ich trage das verdammte Black-Flag-Logo am Handgelenk! Diese Chance konnten wir uns nicht entgehen lassen.

Gleichzeitig war das auch sehr anstrengend: Wir mussten dafür ans andere Ende der Staaten reisen, es war ein Riesenaufwand, unser Equipment dorthin zu schaffen. Es ist natürlich einfacher, wenn wir hier an der Ostküste bleiben. Außerdem habe ich über die Jahre so viel mit Ryan Williams in den Black Bear Studios hier in Gainesville gearbeitet, dass das Studio im Grunde mein zweites Zuhause ist. Also wörtlich – das sind nur fünf Minuten von meinem Haus aus. Ryan ist mein absoluter Lieblingssoundingenieur.

Das letzte Album „Light It Up“ wollten wir komplett ohne Produzenten machen, es war einfach ein Experiment, auf das wir Lust hatten. Nicht jedem geht es so, aber ich liebe es, mit Produzenten zu arbeiten. Allein, weil es ein extra paar Ohren dazu bringt. Wenn du so lange an deiner Musik arbeitest, passiert es schnell, dass du das große Ganze aus den Augen verlierst. Produzenten helfen dir, einen Schritt zurückzumachen. Du musst dem Produzenten natürlich komplett vertrauen können. Und er muss dich und deine Ideen verstehen. Brian ist einer dieser Produzenten, er hat in Hardcore und Punkbands gespielt und unzählige Alben in diesem Bereich produziert. Hinzukommt, dass wir eine sehr eigene Mischung aus Persönlichkeiten in dieser Band sind – wir sind wirklich alle komplett unterschiedlich. Und Brian versteht es trotzdem, mit jedem von uns umzugehen, auch zu verstehen, was wir als Band erreichen wollen.

Also hat es sich direkt wieder so angefühlt, wie früher?
Es gab schon einen Unterschied zwischen diesen Aufnahmen und allen anderen Alben, an denen ich mit Brian gearbeitet habe: Ich wollte ihn unbedingt als Produzenten, aber nicht als Soundtechniker. Denn diesen Job sollte unbedingt Ryan (Williams, Black Bear Studios) haben. Aber diese Aufteilung hat hervorragend funktioniert: Brian musste jetzt nicht mehr stundenlang mit mir an Gitarrensounds feilen, denn dafür hatten wir Ryan, mit dem ich schon seit Jahren arbeite. So konnte sich Brian voll auf seine Produzentenrolle konzentrieren und das große Ganze im Auge behalten. Was zusätzlich auch anders war: Neben einem extra Soundingenieur war mit Chris auch ein dritter Gitarrist an Board.

Mit dem Alter entwickelt man größeren Respekt und mehr Vertrauen zu den anderen Beteiligten.<span class="su-quote-cite">Chris Wollard</span>

Klingt nach den besten Voraussetzungen, die eine Band haben kann: Der Produzent des Vertrauens, eine vertraute Studioumgebung und dabei noch frischen Input durch Chris.
Absolut. Aus unserer Sicht war es ein Traum. Die persönliche Ebene ist dabei enorm wichtig und wir sind nun mal alle seit Jahren befreundet. Ryan und ich quatschen ständig und gehen Golfen, Brian ist ein alter Freund – ich bin sogar mit ihren beiden Frauen befreundet! Dazu sind alle gnadenlos talentiert. Niemand wurde übersehen, jeder konnte sich voll einbringen. Und das zu erreichen, ist wirklich schwerer, als man glaubt. Ein Studio kann schnell zum Kampfring von großen Egos werden, das habe ich früher oft erlebt – ich hatte sogar meinen großen Anteil daran. Es ist manchmal hart, das zu umgehen. Vor allem, wenn man jünger ist. Mit dem Alter entwickelt man größeren Respekt und mehr Vertrauen zu den anderen Beteiligten. Es wird einfacher zu sagen „Hey, ich weiß, du bekommst den Part hin. Ich kümmere ich hier um diese Sache“ – und das auch so zu meinen.

Das ist auch ein weiterer Verdienst von Brian, drei Gitarristen ausgeglichen auf eine Platte zu bekommen. In so einer Situation war ich zuvor nie. Ich wusste, dass das theoretisch funktionieren kann, hatte aber keine Vorstellung davon. Wir sind aber alle mit der richtigen Einstellung ins Studio gegangen: Niemand macht mehr Geld als die anderen, jeder hat das gleiche Stimmrecht, denselben Einfluss. Das macht es total demokratisch, gleichzeitig aber auch beinahe kommunistisch, weil wir wirklich alles gleich aufteilen: Die Arbeit ebenso wie das Geld. Und wir waren effizient: „Wenn du gerade nichts zu tun hast, sieh gefälligst zu, dass du her wegkommst. Du nimmst nur Platz weg. Geh nach Haus und mach dir ein Sandwich“, haha.

Wir machen eben Rock’n’Roll. Das ist großartig, kann aber auch problematisch werden!<span class="su-quote-cite">Chris Wollard</span>

Das hat für euch offenbar gut funktioniert. Und das schon sehr lange: Hot Water Music haben sich 1994 gegründet. Allerdings gibt es schon seit der Frühphase diese Sache mit den temporären Auflösungen. Was hat es damit auf sich? Was bringt euch am Ende immer wieder zusammen?
Ach, weißt du… – lacht – wir sind zusammen aufgewachsen. Wortwörtlich. Wir haben alle positiven Erlebnisse in unserem Leben miteinander geteilt – genauso wie alle negativen Erfahrungen. Wir sind eine Gruppe von Freunden, wie es sie überall auf der Welt gibt. Wir machen eben zusätzlich noch Musik miteinander. Selbst, wenn wir nicht an Musik arbeiten, so reden wir ständig darüber. Wenn ich ein neues Album für mich entdecke, rufe ich Jason an und sage „Hey, hör dir das an!“ Wenn wir aber alle zusammenkommen, wird es wild, weil sich unsere Energielevel gegenseitig potenzieren. Wir machen eben Rock’n’Roll. Das ist großartig, kann aber auch problematisch werden, weil es dazu führt, dass wir uns immer weiter pushen, ohne zu merken, dass wir längst mehrere Gänge hätten zurückschalten müssen. In der Vergangenheit ist das mehrfach passiert, wir haben uns mindestens zwei Mal definitiv aufgelöst – also wirklich richtig aufgelöst. Aber irgendwann haben wir realisiert: „Ok, das ist doch albern! Wir kommen sowieso wieder zusammen“ haha.

Unsere erste Auflösung war in Europa: Wir waren gefühlt ewig auf Tour, völlig ausgelaugt, pleite. Wir waren in Münster, saßen vorm Hotel, tranken Bier, rauchten Zigaretten und haben uns angeschwiegen. Ich glaube, es war George, der plötzlich sagte: „Ich bin total unglücklich hier.“ Und wir haben festgestellt, dass sich alle so fühlten. Niemand war glücklich. Wir ließen unseren Frust aus und stritten so richtig. Wir sahen uns plötzlich gezwungen, entweder die Band fortzuführen oder unsere Freundschaft zu retten. Die Entscheidung war für alle klar: Scheiß auf die Band! Wir sind dann alle schlafen gegangen und am nächsten Morgen zur nächsten Location aufgebrochen. Wir hatten schließlich noch zwei Wochen Tour vor uns, die wir wohl oder übel absolvieren mussten, um Geld für den Rückflug zu haben. Beim Soundcheck haben wir uns noch alle versichert „Jepp – wir machen das wirklich. Wir lösen die Band auf, das war es“.

So waren wir wieder zusammen.<span class="su-quote-cite">Chris Wollard</span>

Während des Auftritts war dann plötzlich der Spaß wieder zurück. Weil wir das Gefühl hatten, die Kontrolle zurückzuhaben. Wir waren bereit, die Band für die Freundschaft zu opfern. Das hat uns befreit. Zurück zu Haus habe ich meine Gitarre für Monate in den Schrank gepackt und nicht mehr daran gedacht. Wir waren immer noch Freunde, eines Abends sind wir in eine Bar gegangen, um Bier zu trinken, Pool zu spielen und einfach Scheiße zu labern. Und natürlich sagte irgendwann einer nach dem anderen „Hey, ich vermisse die Bühne. Wollen wir nicht mal wieder auftreten?“ Und so waren wir wieder zusammen.

Es vergingen einige Jahre, bis es wieder passierte: Wir arbeiteten zu hart, die Erschöpfung bei allen kam zurück und uns blieb nichts anderes übrig, als uns erneut zu trennen, um nicht wahnsinnig zu werden. Und wieder einige Jahre später war die Lust an Auftritten wieder da, also kamen wir erneut zusammen. Inzwischen sind wir wie schon gesagt entspannter. Wir müssen nicht mehr den extremen Weg der Auflösung gehen, weil wir das sowieso nicht lange aushalten. Wir nehmen uns mal ein Jahr zurück, aber wir brauchen das Drama nicht mehr.

Wenn man sich diese Geschichten anhört, wird deutlich, dass es sich bei Hot Water Music in erster Linie um Freundschaft dreht und die Musik erst an zweiter Stelle kommt.
Definitiv! Ich meine, wie lange gibt es uns jetzt? 27 Jahre? 28 Jahre? Keine Ahnung, aber das ist auf jeden Fall praktisch mein ganzes Leben. Das funktioniert so, weil wir alle wie Brüder sind. Mit anderen Persönlichkeiten wäre das nicht denkbar. Ich war schon in vielen Bands und normalerweise gibt es da ein oder maximal zwei Leute, die man ewig kennt, der Rest sind Leute, die von außen reinkommen, nach dem Motto „Hey, ich hab diesen Drummer getroffen, lass uns eine Band mit ihm machen“.

Aber wir sind zusammen, seit wir Teenager sind, noch bevor es Hot Water Music überhaupt gab – selbst meine Frau war damals dabei! Wir sind alle am exakt selben Tag nach Gainesville gezogen, in denselben Apartmentkomplex! Ein paar Freunde ich in einer Wohnung, direkt nebenan Jason und meine heutige Frau und auf der anderen Seite des Parkplatzes zogen George und Chuck zusammen. Wir kamen alle zusammen hier an und kannten nur uns. Wir waren ungefähr acht Leute, die wie eine Familie funktionierten. Und das ist bis heute so geblieben. Wir kennen uns gegenseitig so gut, dass wir unsere Gefühle auch nicht voreinander verstecken können.

Hot Water Music ist kein Job für uns, die Band ist Teil unserer Persönlichkeit.<span class="su-quote-cite">Chris Wollard</span>

Ich stelle mir das einerseits anstrengend vor, anderseits auch befreiend, wenn man sich gegenseitig nichts vormachen kann, weil die anderen vielleicht besser verstehen, was gerade in dir vorgeht, als du selbst.
Das ist so verdammt wahr! Nimm das letzte Wochenende: Wir alle sind zusammen, eine große Crew, drehen das Video, es gibt tausend Sachen gleichzeitig zu tun. Wir alle sind super beschäftigt, verschwitzt, irren wie wild umher. Und trotzdem sieht man es dem anderen an, wenn er müde aussieht und einen Kaffee braucht. Es ist wie auf der Bühne: Wir wechseln kaum ein Wort. Wenn jemand einen Part anders spielt als gewohnt, sehen wir uns an und denken „War das Unfall oder hast du das absichtlich gemacht?“ und der andere nickt einfach nur du denkst „Ok, beim nächsten Verse spiele ich das auch so!“. So funktionieren wir einfach, und das ist großartig. Das führt natürlich auch dazu, dass wir voreinander keinerlei Privatsphäre haben, haha! Keine Privatsphäre auf der einen Seite, aber ein unglaubliches Supportsystem auf der anderen.

Hot Water Music ist kein Job für uns, die Band ist Teil unserer Persönlichkeit. Und deswegen ist es unmöglich geworden, die Band aufzulösen. Manchmal stelle ich mir vor, wie wir alle 65 sind und jemand sagt „Hey, ich will mal wieder eine Show spielen“ und die anderen sagen „Wir haben doch gerade ein Jahr Pause eingelegt“, haha.

Interessanter Gedanke, sich Hot Water Music als 65jährige vorzustellen. Warum auch nicht? Die Stones können das schließlich auch.
Ganz ehrlich, manchmal fühlen wir uns wie älteste Band des Planeten.

Und dann seht ihr Bad Religion und seid erleichtert?
Das wollte ich gerade sagen! Wir sind mit ihnen getourt, vor vielleicht 20 Jahren, da waren sie jünger als wir jetzt. Und wir dachten uns: „Sollte es erlaubt sein, mit 40 noch in Punkbands zu spielen? Man sollte in dem Alter einfach eine goldene Uhr für seine Leistungen bekommen und in den Ruhestand geschickt werden!“, haha! Aber sie dir Brian Baker an: Der Typ ist mein persönlicher Held, und wenn der mit Mitte 50 noch Punkalben aufnehmen kann, dann kann ich das auch! Oder Kevin Seconds, ein anderer ganz persönlicher Held von mir, macht auch immer noch Kunst. Punkrock ist einfach mehr als nur Musik, es ist eine Gemeinschaft, es ist dein Leben.

Chris, das war ein wirklich tolles Gespräch. Danke für die viele Zeit, die du dir genommen hast! 
Hey, ich danke dir! Ich glaube, deswegen haben die anderen mich für das Interview geschickt: Ich neige dazu, anderen ihren Nachmittag zu versauen. Wenn ich einmal anfange, über Musik zu reden, finde ich kein Ende mehr. Aber jetzt habe ich wirklich ein Haus zu streichen, haha.

Chris Wollard von Hot Water Music im Interview (1/2)