Creeper – Sanguivore

Mit Creeper wird es definitiv nie langweilig. Am Ende der ausverkauften Show im Londoner Roundhouse wurde Frontmann Will Ghould, oder William Von Ghould, wie jetzt seine Kunstfigur heißt, einfach mal schlank vor 3300 Fans in bester cineastischer Manier von einer mysteriösen Person „geköpft“. Kurz danach gingen alle Lichter aus und ein Spukhaus wurde einblendet, in dem Darcia, Creepers Social-Media-Host, in die Kamera sagte:

„It’s time for a new era…and I couldn’t be more excited“

In ähnlicher Manier haben wir das schon einmal erlebt, als Creeper am Ende der Tour zu Ihrer ersten Platte „Eternity, In Your Arms“ Ihre Jacken auf die Bühne legten und sämtliche Fans erst einmal Schnappatmung bekamen, da man dachte, dass die Band sich auflöste. Glücklicherweise war dem aber nicht so und einige Zeit später wurde „Sex, Death & The Infinite Void“ angekündigt. Nun die Tour zu diesem Album und der danach erschienenen EP „American Noir“ vorüber und so wird es für Creeper Zeit, sich wieder neu zu erfinden. Und es scheint um Einiges düsterer zu werden.

„Sanguivore“ ist ein wahnsinnig aufregendes und mitreißendes Spektakel, welches nur Creeper so in die Welt hätten tragen können.

Irgendwo zwischen Kult-Horrorfilmen, 80er-Synthies und Meatloaf

Beim ersten Durchhören des Albums, ja schon beim Opener wird sehr deutlich, wohin Creeper uns diesmal entführen wollen. Wie vermutet, wird es düster. Kult-Horrorklassiker wie „The Lost Boys“ oder „Interview Mit Einem Vampir“ standen hier für die Grundatmosphäre des Albums definitiv Pate. Musikalisch geht’s ebenfalls in diese Zeit zurück. Hannah Greenwood zaubert hier wieder mit Ihrem Synthesizer die schönsten Melodien hervor, die es locker in vielen Top-Hits der 80er geschafft hätten. Und natürlich ist das theatralische Element von Creeper auch immer noch da. Diesmal noch ausgefeilter und mitreißender, als auf dem Longplay-Vorgänger „Sex, Death & The Infinite Void“. Man hört hier ganz klar Einflüsse von Meatloaf („Further Than Forever“), Misfits („Lovers Led Astray“) oder auch Nick Cave („The Ballad Of Spook und Mercy“). Allgemein hat jeder Song etwas Eigenes und kreiert so ein kleines 80er-Jahre-Horror-Musical, das sich im Kopf unbewusst abspielt. Ganz großes Kino im wahrsten Sinne des Wortes.

Musikalisch allererste Sahne

Das liegt aber nicht nur am wunderschönen Geklimper von Hannah, sondern vor allem auch wieder an der unglaublichen Stimmreichweite von Frontmann Will. Von tief bedrohlich über einschmeichelnd romantisch bis verzweifelt und leidend gibt es nichts, was er nicht alles aus dem Hut zaubern kann. Das lässt das eine oder andere Mal den Mund offen stehen.

Aber auch die anderen Bandmitglieder liefern hier richtig gut ab. Lobenswert muss man hier auch Gitarrist Ian Miles hervorheben, der nach der Bewältigung seiner psychischen Krankheit, wieder voll da ist und sogar quasi doppelte Arbeit hatte, da Creeper aktuell nur noch mit einem Gitarristen unterwegs sind. Und er enttäuscht hier keine Sekunde.

Die anderen Bandmitglieder enttäuschen aber ebenso wenig. Laut Will hat Bassist Sean Scott unglaublich viele Ideen einfließen lassen und war viel am Schreibprozess beteiligt und Drummer Jake Fogarty bringt ebenfalls stilmäßig um einiges mehr mit, als es sein Vorgänger tat und bringt mit seinen vielen unterschiedlichen Spielstilen die Songs noch einmal richtig nach vorn.

Ein Konzept, was begeistert

Allgemein hat man auch das Gefühl, dass die Band sich wieder wie eine große Einheit anfühlt, was vielleicht auch an dem Konzept des Albums liegt. Denn die Idee für „Sanguivore“, was übrigens der Begriff für ein Blut trinkendes Tier ist, schwirrte schon länger in den Köpfen des Quintetts herum. Thematisch geht es um eine Vampirin namens Mercy, die zwar unschuldig aussieht, aber unglaublich brutal ihre Opfer um die Ecke bringt, und Spook, ein älterer Mann, der unter dem Bann von Mercy steht, aber trotzdem nicht vergisst, dass sie mal menschlich waren. Diese Geschichte wird in zehn Songs einfach verdammt gut erzählt und wie schon oben erwähnt läuft wirklich ein kleiner Film der beiden Protagonisten im Kopf ab.

Dabei geht es aber nicht immer bierernst zu. Wer Creeper kennt, weiß, dass sie auch gern mal für den einen oder anderen kleineren Schmunzler sorgen, wie zum Beispiel im Opener „Further Than Forever“, wo Will spitzzüngig folgende Zeile von sich gibt: „I’m Jesus in a Strip Club giving head.“ Die Welt ist laut der Band schon schlimm genug bzw. wird immer schlimmer und da brauch man ein Ventil. Etwas, in das man flüchten und Spaß haben kann. Das haben Creeper hier definitiv geschafft.

Mit „More Than Death“, einer traurigen Ballade, die sozusagen als Epilog der Geschichte von Mercy und Spook dient, endet ein wahnsinnig aufregendes und mitreißendes Spektakel, welches nur Creeper so in die Welt hätten tragen können. Ganz großes Kino!

Video: Creeper – Cry To Heaven