Die Berliner von Egotronic sind seit nunmehr fast 20 Jahren ein Aushängeschild für politischen Elektropunk. Mit ihrem neunten Album „Ihr seid doch auch nicht besser“ müssen sie an den starken Vorgänger „Keine Argumente“ anknüpfen – keine leichte Aufgabe.
„Ihr linken Extremisten, ihr sein am Ende doch auch nicht besser, wer ganz weit links steht, landet selbst am rechten Rand“
Die Songs: Politisch bis autobiographisch
Neben den bisher ausgekoppelten Songs „Kantholz“ und „Linksradikale“ warten auf dem neunten Studio-Longplayer noch zwölf weitere Stücke darauf, gehört zu werden. „Berlin im Winter“ seziert beispielsweise schonungslos das Lebensgefühl der Großstadt: „Es nervt wie die Hölle, es macht dich kaputt. Alles grau und die Kälte raubt dir sämtlichen Mut. Winter ist Krieg, von Depressionen zerbombt, was bleibt ist zu warten, bis der Frühling endlich kommt“, gefolgt von einer treffenden Beschreibung der Vergnügungssüchtigen: „Stets besoffen und drauf, sag wie hältst du das aus?“
Noch autobiografischer geht es in „Wie Dr. House“ zu. Torsun singt von den Schmerzen, die ihn aufgrund seines Rheumas täglich begleiten und innerlich zerfressen: Von Tablettenkonsum und Existenzschmerzen und der Frage, wie es wohl wäre, normal zu sein.
Zu Gast sind alte Bekannte
Was auf keiner Egotronic-Platte fehlen darf, ist der obligatorische Coversong. Diesmal hauchen sie dem Razzia-Liedgut „Nacht im Ghetto“ elektronisches Leben ein. Für „Die Quintessenz der Dinge“ bekommt das Berliner Quartett erneut Unterstützung von Alles Scheisze – ein Feature mit symbiotischem Charakter. Weitere Gastauftritte absolvieren Martin Shitler („1 Like für Euch“) und die bisher eher unbekannte Supererbin („Wie ein Mann“), die die Musiker auch auf der anstehenden Tour begleitet.
Ein neuer Live-Sound
Diss-Songs sind im Punk-Genre zwar nicht unbedingt verbreitet, aber davon lassen sich Egotronic nicht abschrecken. In „Hundesohn“ bekommt kein Geringerer als der selbsterklärte Heimatminister Horst Seehofer sein Fett weg. Doch die eindimensionalen Beleidigungen führen den Song auch schnell an seine kreativen Grenzen. Ähnlich verhält es sich mit „Der Bürgermeister“, das dem ehemaligen OB von Osnabrück, Boris Pistorius, gewidmet ist.
An der einen oder anderen Stelle kommt im Refrain der Vocoder zum Einsatz und erzeugt einen Sound, der Autotune zum Verwechseln ähnlich ist. Ansonsten bleibt es bei der gewohnt punkigen Note. Eine Neuerung ist der Live-Charakter der Songs, der in Studio-Sessions von Christian Mevs (u.a. Slime) aufgenommen und von Rod Gonzales (Die Ärzte) abgemischt wurde.
Das neunte Album muss in große Fußstapfen treten
Ohne Frage ist „Ihr seid doch auch nicht besser“ ein hochpolitisches Album und spricht vermutlich genau das aus, was gerade nötig ist. Dabei machen Egotronic auch vor Kritik am eigenen politischen Lager nicht Halt. Trotzdem können die überwiegend starken Texte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die neunte LP nicht ganz an ihren Vorgänger anknüpfen kann. Konnte „Keine Argumente“ vor allem mit seiner inhaltlichen wie musikalischen Stringenz punkten, fällt „Ihr seid doch auch nicht besser“ ein wenig dahinter zurück.