Mit heißen Pommes, kaltem Bier und – man mag es kaum glauben – Sonnenschein startet das Fährmannsfest am Freitag in seine 41. Auflage. Nachdem das Festival im vergangenen Jahr wegen des Starkregens sogar abgebrochen werden musste, scheinen die Wettergötter diesmal deutlich milder gestimmt zu sein. Am ersten Augustwochenende wird in Hannover seit 1983 gefeiert: ein überregional erfolgreiches Open Air und Stadtteilfest für alle Generationen. Auf der Halbinsel zwischen Ihme und Leine spielen Bands verschiedener Genres, auf der Faustwiese gibt es kostenlose Unterhaltung mit der Bunten Bühne, dem Butjer- und dem Kinderfest.
Der Freitag: Moshpit der Liebe
Die NDW-Punkband TYNA hat die Ehre, das Wochenende musikalisch zu eröffnen. Obwohl die Wiese vor dem Strandleben um 17.30 Uhr erst spärlich gefüllt ist, geben die Hamburger auf der Bühne Gas und heizen die Stimmung an. Als darauf Liedfett ihr Set beginnen und zum kollektiven Reinbügeln aufrufen, ist es vor der Bühne schon voller geworden. Das Trio ist spezialisiert auf treibenden Sound, Texte, die Euphorie verbreiten und explosive Live-Energie. In den Geschmack dieser unwiderstehlichen Mischung kommt auch das Fährmannsfest-Publikum am frühen Freitagabend und der eine oder andere nutzt die großartige Stimmung, um seinen Hals auf Undichtigkeit zu überprüfen. Mit „Ball“ geht es los.
„Habt ihr Bock auf den Moshpit der Liebe?“, fragt der barfüßige Sänger Daniel Michel. Ohne ihren Bassisten Victor Flowers aka Mr. Love, dafür mit gewachsener Live-Band, geben die sympathischen Hamburger „Gib mir dein Finger“, „Alkoholika“ und „Körperliche Selbstverteidigung“ zum Besten. Den Song „So wie du bist“ haben Liedfett in Hannover geschrieben, wie Daniel erklärt. „Das stimmt tatsächlich“, kommentiert Gitarrist Lucas Uecker. Das Publikum tanzt, trinkt und singt mit. Nach „Kommst du mit“ ist auch schon Schluss – und das Publikum bedankt sich mit Applaus und Jubel.
Frösche weinen nie
Nach einer kurzen Umbaupause geht es kurz vor 20.00 Uhr mit Die Schröders weiter. Obwohl es die 1989 gegründete Punkrock-Band eigentlich nicht mehr gibt, treten sie noch einmal in Hannover auf. Zur Feier ihres 35-jährigen Bandjubiläums und aus Liebe zum Fährmannsfest. Im Publikum: Fans der ersten Stunde, die sich auf Schröders-Evergreens freuen und sich noch einmal fühlen wollen wie früher.
Und sie sollen nicht enttäuscht werden: Die Band spielt sich durch Hits wie „Lass uns schmutzig Liebe machen“, „Saufen“, „Frösche weinen nie“ und „Frau Schmidt“. Die Besucher:innen zeigen sich textsicher, singen mit, genießen ihre Kaltgetränke und zelebrieren den Auftritt mit Enthusiasmus. Während es auf der Bühne zur Sache geht, suchen die Liedfett-Jungs dahinter Abkühlung und nehmen ein Bad in der Leine – wobei sie fast von einem Tretboot überfahren werden.
Madsen schreiben Geschichte
Als die Headliner des Freitags die Bühne betreten, ist es schon recht dunkel geworden: In rot-blauem Scheinwerferlicht eröffnen Madsen mit „Ein bisschen Lärm“ ihr Gastspiel. Die Wiese auf der Fährmannsinsel ist bis zum letzten Platz gefüllt. Es scheint, als wäre halb Hannover da. Die Band um die Brüder Sebastian, Johannes und Sascha zählt seit 20 Jahren zu Recht zu den erfolgreichsten Live-Rock-Acts des Landes. Die Musiker sind ein eingespieltes Team und fantastische Entertainer. Das beweisen sie etwa beim Song „Nachtbaden“, der alle zum Mitsingen animiert. Sebastian und Sascha wechseln sich für die Strophen ab: Während sich Sascha im Kreis drehen lässt und dabei singt, zeigt Sebastian, dass man ihn ohne Bedenken als Drummer einsetzen kann. Fliegender Wechsel inklusive.
„Wir kennen den Veranstalter des Fährmannsfests seit über 20 Jahren“, erzählt Sänger Sebastian Madsen. „Das ist ein bisschen wie nach Hause kommen.“ So fühlen sich auch alte Hits wie „Perfektion“, „Lass die Musik an“ oder „Du schreibst Geschichte“ an, bei denen Band wie Publikum alles geben. Für große Gefühle sorgen auch Cover von Robbie Williams und Blur. Doch ein Madsen-Konzert ohne politische Statements wäre nicht dasselbe. Und deshalb darf ihre jüngste Veröffentlichung „Faust hoch (gegen Faschismus)“ nicht fehlen. In dieser bezieht die Band Stellung gegen den zunehmenden Rechtsruck und positioniert sich, auch mit härterem Sound, unmissverständlich gegen die AfD und deren Sympathisant:innen. Das Publikum drückt seine Zustimmung mit Sprechchören aus – Hannover bleibt eben stabil.
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Der Samstag: Im Zeichen des Ska
Der zweite Tag des Festivals startet mit einer kleinen Änderung im Programm: Für die kurzfristig verhinderten The Hand Cuts springen Chester Park ein. Die hannoversche Post-Hardcore-Band, die in der Region für ihre energiegeladenen Auftritte bekannt ist, läutet bei bestem Wetter den Samstag auf der Musikbühne ein. Wenig später beglücken die ebenfalls aus Hannover stammenden Urge die Hardcore-Crossover-Fans, während sich im Strandleben, das dieses Jahr wieder als Artist-Area fungiert, Petras Kapellen-Mitglieder für ihren Auftritt bereit machen.
Vor der bereits gut gefüllten Wiese am Weddigenufer animiert Sänger Guido Scholz das Publikum zum Mitsingen. Bei Hits wie „Weltkulturerbe“ und „An irgendeinem Tag wird die Welt untergehen“ fällt das auch wirklich nicht schwer. Es wird getanzt, gelacht und das Bier perlt bei nach wie vor gutem Wetter ganz wunderbar. „Also stoßen wir an“ fasst diesen Zustand perfekt zusammen und vor der Bühne werden einige Kapelle Petra-Fahnen geschwenkt. „Das war einer der schönsten Samstagnachmittage, die wir in diesem Sommer erleben durften“, verkündet der Frontmann und mahnt: „Egal wie schlecht die Zeiten sind, es gibt niemals einen Grund, die AfD zu wählen.“ Auf den zustimmenden Applaus und Jubel folgt „Keine Lieder für böse Menschen“.
Die Besucher:innen verlangen eine Zugabe, doch die Auftritte sind eng getaktet – und so beginnt stattdessen der Umbau für Panteón Rococo. Das mexikanische Latin Ska-Ensemble um Luis Román Ibarra aka „Dr. Shenka“ sorgt von Beginn an für eine ausgelassene Stimmung. Saxophon, Posaune, Trompete und die Tanz-Moves der Bandmitglieder versetzen das Publikum in Feierlaune. Spätestens bei „Esta Noche” kann niemand mehr stillstehen. Auf gute Spanischkenntnisse kommt es dabei zum Glück nicht an, den Ausruf „Welcome to Fiesta Mexicana“ verstehen alle Besucher. Mexiko-Flaggen werden geschwenkt, das Tanzbein zu „Dime“ und „Estrella roja“ geschwungen. Und den Hintergrund der Bühne ziert natürlich ein riesiges St. Pauli-Banner. Nach einer schweißtreibenden Stunde bekommen die glücklichen und durstigen Fans eine Verschnaufpause.
13 Jahre Wartezeit
Mit Turbostaat werden musikalisch nun andere Töne angeschlagen. Die Punkrock-Band um Sänger Jan Windmeier besticht durch ihre unaufgeregte Bühnenpräsenz, lauten Sound und Texte, die den Finger in die Wunde legen. Im Gepäck haben die ursprünglich aus Husum stammenden Musiker eine bunt gemischte Setlist. Neben Klassikern wie „Insel“, „Haubentaucherwelpen“ oder „Schwan“ stimmen Turbostaat auch „Tut es doch weh“ oder „Ein schönes Blau“. Das Publikum honoriert den Auftritt mit Moshpits, Textsicherheit und viel Jubel. Daran ändern auch die 13 Jahre Fährmannsfest-Abstinenz der Band nichts. Wenn es nach Jan geht, darf die Zeit bis zum nächsten Wiedersehen ruhig kürzer sein.
Zu einer 8-Bit-Version ihres Songs „Danza dell’autunno rosa”, die wie der Auftakt eines großartigen Gameboy-Spiels klingt, betreten Talco die Bühne. Die Italiener sind die Headliner des Samstags und haben als eingefleischte St. Pauli-Fans natürlich eine Flagge des Vereins dabei. „L’odore della morte“ markiert den Anfang ihres Auftritts, der so lang wie ein Fußballspiel ist – nur wesentlich spaßiger. Das Publikum jubelt, ruft und tanzt ab der ersten Minute, es ist eine Party. Ein Cover des Partisanen-Liedes „Bella Ciao“, die Hits „La parabola dei battagghi“, „Punta raisi“, „La torre“ und „Danza dell’autunno rosa“ sorgen dafür, dass sich das auch nicht ändert. Nach einer großartigen Show mit High Kicks auf der Bühne und Moshpits davor, machen sich die Fans glücklich auf den Heimweg – oder zur Aftershow-Party.
Der Sonntag: Ein Fest für alle
Der Sonntag ist auf dem Fährmannsfest traditionell kostenlos und somit kommt heute jeder, der möchte, in den Genuss von Bands wie Godots, DenManTau oder Grillmaster Flash & The Jungs. Auf der Faust-Wiese können Besucher das nach 25 Jahren erstmals wieder stattfindende Butjer-Fest für Kinder besuchen, eine Bootsfahrt auf der Leine unternehmen oder das kulinarische und künstlerische Angebot genießen.
Die Ska-Punk-Band Wisecräcker hatte die Gelegenheit, ihren Auftritt vom vergangenen Jahr nachzuholen, der den Regenmassen zum Opfer fiel. Ganz zur Freude des Publikums, das die Lokalmatadore heute dafür umso ausgelassener feiert. Den krönenden Abschluss bildet der Auftritt des Bremer Indie-Pop-Duos Raum27: Mit tanzbaren Stücken und eingängigen Melodien fühlt sich an diesem Sonntagabend alles leicht an. So, wie ein perfekter Sommerabend sein sollte.