Sequels sind eine altbekannte Tradition im Horror-Genre. Manche sind etwas fragwürdig, andere überraschend erfolgreich. Stilecht hat auch „The Silver Scream“, das 2018er Erfolgsalbum von Ice Nine Kills nun ein Sequel zu bieten: „The Silver Scream 2: Welcome To Horrorwood“. Dafür tat sich die Band wieder mit Produzent Drew Fulk (A Day To Remember, As I Lay Dying, Emmure) zusammen, ebenso wie mit einigen spannenden musikalischen Gästen, Mulit-Instrumentalist Francesco Ferrini und Frontmann Spencer Charnas‘ lyrischem Komplizen Steve Sopchak. Wie bei dem Vorgänger auch ist das Albumcover im Stile eines Filmplakates gehalten, das bereits einen kleinen Ausblick darauf gibt, was den Hörer erwartet.
„An jeder Ecke lässt sich immer wieder etwas neues entdecken und es entfaltet sich eine neue Ebene der clever geschriebenen, vielschichtigen Songs, die weit mehr sind als ’nur‘ eine Hommage an Filmklassiker.“
Willkommen in Horrorwood
Bereits bei ihrem Livestreams zu „I Heard They KILL Live“ (Albumreview), dem Live-Album aus dem vergangenen Jahr, deuteten Ice Nine Kills an, dass sie etwas Neues in petto haben. Wenig später kündigte die Band den Graphic Novel „Inked In Blood“ an, der sich mit den Geschehnissen aus den Musikvideos zu „The Silver Scream“ befasst.
„The Silver Scream 2: Welcome To Horrorwood“ holt uns da ab, wo sein Vorgänger und dessen letztes Musikvideo uns gelassen haben und lädt neue Fans gleichermaßen ein, Teil der Reise zu werden.
So konnten über die Website der Band nach und nach „Beweise“ gefunden werden, die einen ersten Einblick in das neue Kapitel versprachen.
„Opening Night…“ dient als Einleitung im Stil einer True Crime-/Found Footage-Dokumentation, die den Hörer auf den neuesten Stand der Dinge bringt, was den Fall um den (fiktiven) Tod von Spencers Verlobter betrifft. Ein Klick-Geräusch beendet die Aufnahme und öffnet dem Hörer die Tore zu Horrorwood, das in 13 Songs verheißungsvoll und düster vor einem liegt.
Wer durch diese Pforten schreitet wird von dem theatralischen „Welcome To Horrorwood“ willkommen geheißen. Eine dramatische Nummer, die sich beinahe wie in einem Musical langsam aufbaut, bevor die melodische Stimmung von einem Scream durchbrochen wird und der Song ordentlich das Tempo anzieht.
Von mörderischen Puppen, „Cabin Fever“ und anderen Klassikern
Nach diesem fulminanten Start geht es weiter in die Wälder um Horrorwood, wo „A Rash Decision“ winkt, das eine mehr oder minder klassische Metalcore-Nummer ist, die dennoch unmissverständlich Ice Nine Kills ist und eine gewisse Dramatik mit sich bringt. Der Song besticht zudem durch cleveres Writing, das vor allem im Refrain deutlich wird.
Gerade aus den Wäldern entkommen zieht ein Nachrichtensprecher die Aufmerksamkeit des Hörers auf sich, der „Assault & Batteries“ einleitet, angelehnt an das „Chucky“-Franchise. Was genau hier passiert verriet bereits das Musikvideo zu diesem vor Release veröffentlichten Titel.
Von einer mörderischen Puppe geht die Reise weiter zu einem der wohl berühmtesten Motels der Filmgeschichte. „The Shower Scene“ macht unmissverständlich klar, um welchen Klassiker es sich hier handelt – einschließlich einer sehr deutlichen Anspielung auf den originalen Soundtrack. Das Lied selbst ist etwas melodischer und entschleunigt für einen Moment, jedenfalls für den Maßstab von „The Silver Scream 2: Welcome To Horrorwood“.
Wir verabschieden uns von Norman Bates, wenn jemand nach einer vermissten jungen Frau fragt. Eine Idee über deren Schicksal gibt „Funeral Derangements“, angelehnt an „Pet Sematary“/“Friedhof der Kuscheltiere“, das klassisch Ice Nine Kills im besten Sinne ist, mit hymnischen Refrains, heavy Strophen und ungemein effektiven musikalischen und gesanglichen Elementen. Bei dem Titel handelt es sich zudem um die letzte Vorab-Veröffentlichung.
Auch „Rainy Day“, das uns in die Räume der Umbrella Corporation führt, gab es bereits vor einigen Wochen zu hören. „Run.“ empfiehlt bereits das Intro, denn was einen in „Resident Evil“ (Videospiele oder Filme) erwartet, bleibt am besten hinter verschlossenen Türen und weit weg von jedem, der an seinem Leben und Verstand hängt. Dennoch vermag der Song einen neugierig auf diese Geheimnisse zu machen, erneut mit einem tragenden, theatralischen Refrain und Soundeffekten, die tatsächlich aus einem Soundtrack stammen könnten.
Eine Reihe spannender Features
Kein Holly-, pardon, Horrorwood-Besuch ist vollständig ohne einen Blick auf die Welt der Schönen und Reichen. „Hip To Be Scared“ diente als Albumankündigung und hat Papa Roach-Frontmann Jacoby Shaddix zu Gast – dem Video nach eventuell sein letzter Gastauftritt. Erneut könnte man meinen, einem Musical zuzuhören: Der Titel ist abwechslungsreich, lässt keine Zweifel an der offensichtlichen Referenz zu einem weiteren Klassiker, der sogar textlich erwähnt wird und hat einen überraschenden Bruch, der in Anlehnung an den Namensvetter des Songs („Hip To Be Square“) einlädt, das Tanzbein zu schwingen – solange man noch kann.
Für das brachiale „Take Your Pick“ holten sich Ice Nine Kills George „Corpsegrinder“ Fisher (Cannibal Corpse) mit ins Boot, der die Nummer mit Abstand zu einer der härtesten der Band macht.
In das an „Hellraiser“ angelehnte „The Box“ sind dann Brandon Saller (Atreyu) und Ryan Kirby (Fit For A King) mit von der Partie, für einen der ruhigsten Songs des Albums, der beinahe an eine Ballade erinnert. Wenn man mal von der Thematik absieht.
Gemeinsam mit Buddy Nielsen (Senses Fail) stellt die Band rund um Spencer Charnas einen besonderen Bewohner von Horrorwood vor. „F.L.Y.“ spielt auf „Die Fliege“ an, ist ungemein catchy und macht einfach Spaß beim Zuhören.
Wer eine Verschnaufpause braucht, dem kommt das „Hostel“ vor dem wir angekommen sind möglicherweise gelegen. Der Songtitel verspricht allerdings „Wurst Vacation“, vielleicht überlegt man sich diesen Aufenthalt doch nochmal. Überraschend sind in dem Song deutsche Ansagen zu hören mit einer Stimme, die durch gewisse Charakteristiken doch sehr an Rammstein erinnert. Im Folgenden scheint auch der instrumentale Part des Titels Ice Nine Kills mit eben jener deutschen Band zu vereinen, ohne dabei Individualität einzubüßen.
Abschied aus Horrorwood
Mit „Ex-Mortis“ folgt ein weiterer Radio-tauglicher Track, der uns auf die letzten Meter durch Horrorwood in die Nähe eines Friedhofs bringt. „Evil Dead“ lässt grüßen und- lädt zum Tanz? Der Song ist jedenfalls überraschend groovy.
„Farewell II Flesh“ stellt einen letzten tragischen Charakter vor. „Candyman“ hat gerade erst eine neue Verfilmung erhalten und ist Dank Ice Nine Kills auch in Horrorwood verewigt. Wer es bis hierhin geschafft hat, der wird von ihm verabschiedet, wenn wir Horrorwood – für’s Erste – hinter uns lassen.
Wenn man es denn verlassen will, denn „The Silver Scream 2: Welcome To Horrorwood“ ist ein ungemein spaßiges Album, das sich problemlos wieder und wieder anhören lässt ohne langweilig zu werden. An jeder Ecke lässt sich immer wieder etwas neues entdecken und es entfaltet sich eine neue Ebene der clever geschriebenen, vielschichtigen Songs, die weit mehr sind als ’nur‘ eine Hommage an Filmklassiker. Möchte man das Sequel mit dem Vorgänger vergleichen, so kann man sagen, dass sich in ihrer Funktion ähnliche Songs wiederfinden. Wie „Savages“ bei „The Silver Scream“ sind hier „F.L.Y.“ und „Ex-Mortis“ eher rockig und Radio-tauglich und die offensichtliche Liebe zu Slashern zieht sich weiter durch die Arbeit der Band.
Doch stellen Ice Nine Kills mit ihrem neuen Album auch ihren eigenen Charakter vor. „The Silence“ ziert mit seiner Maske nicht nur das Albumcover, sondern findet sich auch in den bisher veröffentlichten Musikvideos wieder, von denen es sicher noch einige zu sehen geben wird. Generell sind diese Videos mittlerweile beinahe volle Filmproduktionen, die sich allemal sehen lassen können.
Ein erfolgreiches Sequel
Was mit „Every Trick In The Book“ begonnen hat und mit „The Silver Scream“ groß wurde findet in „The Silver Scream 2: Welcome To Horrorwood“ eine großartige Fortsetzung, die noch dramatischer, aufwändiger und detailverliebter ist als ihr starker Vorgänger. Ob Horror-Fan oder nicht, die Songs sind allesamt hörenswert und setzen sich zu einem Gesamtkunstwerk zusammen. Zudem könnte es keine bessere Jahreszeit für diese 13 Songs (und insgesamt 14 Titel) geben.
Egal ob für Referenzen, die Fan-Herzen höher schlagen lassen oder Ice Nine Kills‘ musikalisches Können, das sich durch Spencers stimmliche Charakterisierungen und die Bereicherung durch die Neubesetzung mit Dan Sugarman (Gitarre/Vocals), Ricky Armellino (Gitarre/Vocals), Patrick Galante (Drums), und Joe Occhuiti (Bass/Vocals) auszeichnet: Ein Spaziergang durch Horrorwood sei jedem empfohlen, der sich traut.