Gut 15 Jahre ist es her, dass Protest The Hero ihr erstes Album „Kezia“ auf die Progmetal-Gemeinde losließen. Mit ihrem neuen Longplayer „Palimpsest“ zementieren sie ihren Status als einer der interessantesten und energiegeladensten Vertreter ihres Genres.
„‚Palimpsest‘ spielt die großen Stärken der Band gekonnt aus: Tiefgang, Energie und eine große Liebe fürs Detail.“
Alle Zeit der Welt
Der 2016 in Etappen erschienene Vorgänger „Pacific Myth“ war der Versuch der Band ihre Songs nicht zu sehr zu überdenken. Jeden Monat mussten sie einen Track via Bandcamp veröffentlichen. Der strickte Zeitplan lies aus den Einzelteilen von „Pacific Myth“ ein etwas geradlinigeres Release entstehen, als man es von Protest The Hero gewohnt ist.
Für „Palimpsest“ durften sich die Kanadier dann aber wieder allen zeitlichen Freiraum der Welt lassen. Das Resultat: die zehn Songs sind durchdacht, dennoch gewohnt stimmig.
Wirkte „Pacific Myth“ in vielen Teilen etwas auf den Punkt geschriebener, so tobt sich „Palimpsest“ in einer Unzahl an Ideen und Gefühlsausbrüchen aus. Trotz vieler Umwege verlaufen sich Protest The Hero aber nie. Die Songs wirken keinesfalls überladen. Man merkt der Band ein weiteres Mal an, wie eingespielt die einzelnen Musiker aufeinander sind.
Der Teufel steckt im Detail
Die Hektik und die großen Wutausbrüche, die „Kezia“ und „Fortress“ zu Beginn der Karriere prägten gehören nun aber endgültig der Vergangenheit an. Komplex sind die Songstrukturen trotz allem geblieben und an roher Gewalt und Energie haben die Tracks ebenfalls keine Einbußen erfahren. Dass Sänger Rody Walker noch bis kurz vor den Aufnahmen mit seiner Stimme zu kämpfen hatte, merkt man „Palimpsest“ zu keiner Sekunde an. Der Gesang ist druckvoll wie immer.
Die Songs auf „Palimpsest“ schlagen viele Haken, brechen immer wieder aus gewohnten Schemata aus und überraschen auch nach vielen Hördurchgängen mit Feinheiten und Details, die es für den Hörer zu entdecken gilt. „Palimpsest“ ist bis in die letzte Note durchgeplant und überdacht. Eben das genaue Gegenstück zu „Pacific Myth“.
Protest The Hero schaffen wieder einmal den Spagat zwischen neuen Ideen und dem Treubleiben zum eigenen Stil. In eben dieser Detailverliebtheit steckt eine der großen Stärken der Band. Selbst das 2005 veröffentlichte „Kezia“ hat nach gut fünfzehn Jahren kein Bisschen an Reiz verloren. Schon hier zeichnet sich die Mischung aus Professionalität, Verspieltheit und das gute Gespür für spannende Songstrukturen ab.
Meckern auf hohem Niveau
Wie es sich für ein Prog-Gesamtkunstwerk gehört spielen alle Einzelteile perfekt zusammen. So ließ die Band für das Artwork von „Palimpsest“ dem Künstler Martin Wittfooth freie Hand und das Resultat kann sich nicht nur sehen lassen, es greift auch perfekt die Stimmung des Albums auf und erweitert das Werk um eine optische Komponente. Für Vinylliebhaber wird das Cover das I-Tüpfelchen darstellen.
„Palimpsest“ spielt die großen Stärken der Band gekonnt aus: Tiefgang, Energie und eine große Liebe fürs Detail. Ein kleiner Kritikpunkt schleicht sich dann aber doch ein: „Palimpsest“ ist eine durch und durch runde Sache und in sich geschlossen, jedoch fehlt der ein oder andere Ohrwurm. „Kezia“ hatte „Blindfolds Aside“, „Fortress“ hatte „Bloodmeat“; ein solch herausstechender Brecher vermisst man leider auf dem neuen Release.