SeeYouSpaceCowboy & If I Die First – A Sure Disaster

Trends verlaufen gerne mal zyklisch und so erlebt die ein oder überwunden geglaubte Mode ihr unerwartetes Comeback – wer sich in einer deutschen Innenstadt umschaut, wird beispielsweise feststellen, dass die 90er mit all ihren Scheußlichkeiten zurück sind. Aber auch in der Musik gibt es immer wieder Revivals, Pop-Punk oder Emo können da mehrere Lieder singen. Dass der damals angesagte, völlig übersteuerte und überpathetische Metalcore der MySpace-Ära nochmal sein Comeback feiern würde, das war nun wirklich nicht abzusehen. Mit SeeYouSpaceCowboy und If I Die First (diese Namen!) finden sich direkt zwei Bands, die auf „A Sure Disaster“ gemeinsame Sache machen und so tun, als wäre wieder 2006.

„In der Gitarrenmusik ist so ein Vorgehen immer noch die absolute Ausnahme, dabei funktioniert das Experiment in diesem Fall ganz hervorragend: Beiden Bands gelingt es, ihren Stempel aufzudrücken, ohne den Song zu sehr nach Stückwerk klingen zu lassen. If I Die First sorgen für Eingängigkeit, SeeYouSpaceCowboy für die nötige Härte – für beide Bands stellt der Song also das jeweilige Extrem dar.“

Emo-Rap & Breakdowns

Um das Phänomen aufzudröseln, ist etwas Erklärungsarbeit notwendig: Bei If I Die First handelt es sich um ein junges Projekt, das im letzten Jahr die EP „My Poison Arms“ veröffentlichte und sich vornehmlich aus Akteuren der hierzulande eher wenig beachteten Emo-Rap-Szene rekrutiert: Lil Lotus und Lil Zubin übernehmen die Rollen von Schreier & Sänger, Nedarb unterstützt an der Gitarre und die Backing-Band von Alternative-Rapper Ghostemane bildet die Rhythmusfraktion. Mit Travis Richter von From First To Last komplettiert dann noch ein echtes Genre-Urgestein die Band, die auf melodiebetonten Post-Hardcore setzt und optisch wie akustisch dem damaligen Zeitgeist bis ins Detail huldigt und die meisten Klischees freudig bedient – meistens jedoch mit der nötigen Prise Selbstironie. 

SeeYouSpaceCowboy sind im Vergleich schon etwas länger aktiv und haben bereits zwei Alben veröffentlicht. Sie orientieren sich eher an der leicht chaotischen und dissonanten Variante von Metalcore: Ihr aktuelles Album „The Correlation Between Entrance And Exit Wounds“ aus 2019 erinnert stark an frühe As I Lay Dying. Das wandelbare Organ von Frontfrau Connie Sgarbossa deckt von heiserem Fauchen über dem Wahnsinn nahen Sprechgesang bis zu tiefen Growls alles ab, was im Metalcore eben so abzudecken ist – neuerdings auch mit vereinzelten cleanen Passagen.

Gemeinsame Sache

Was beide Bands neben einer engen Freundschaft eint, ist die gemeinsame musikalische Sozialisation durch Post-Hardcore und Metalcore der mittleren Nullerjahre, derer sie nun Tribut zollen. Auf der augenzwinkernd als „A Sure Disaster“ betitelten Split-EP liefern beide Bands aber nicht nur jeweils zwei eigene neue Stücke, sondern haben mit „bloodstainedeyes“ gleich auch einen gemeinsamen Song als Herzstück der Platte komponiert und aufgenommen. In der Gitarrenmusik ist so ein Vorgehen immer noch die absolute Ausnahme, dabei funktioniert das Experiment in diesem Fall ganz hervorragend: Beiden Bands gelingt es, ihren Stempel aufzudrücken, ohne den Song zu sehr nach Stückwerk klingen zu lassen. If I Die First sorgen für Eingängigkeit, SeeYouSpaceCowboy für die nötige Härte – für beide Bands stellt der Song also das jeweilige Extrem dar. Im Umkehrschluss geht durch den Kompromiss natürlich Eigenständigkeit flöten, was bei einem Feature-Song ja aber auch irgendwie in der Natur der Sache liegt.

Wenig innovativ, maximal effektiv

Die ersten zwei Songs gehören aber erstmal SeeYouSpaceCowboy, die mit dissonantem Riffing und Handclaps in „A Clear Picture from an Unreliable Narrator“ starten. Besonders der Chrorus ist wesentlich melodischer geraten, als man es aufgrund er ersten zwei Alben hätte erwarten dürfen. Das gleichen die Kalifornier aber mit viel schrägen Rhythmen, kurzen Blastbeatattacken und Chugga-Chugga-Riffs im finalen, bitterbösen Breakdown aus. Drop Dead, Gorgeous lassen beeindruckt Grüßen. „Modernizing the Myth of Sisyphus“ führt das Rezept im Grunde fort, braucht dafür aber nur die halbe Spielzeit. Der Song erinnert insgesamt extrem an As I Lay Dying auf „Frail.Words.Collapse.“ – diese feinen Unterschiede werden aber eher nur die Experten bemerken, Neulinge werden unter Umständen gar nicht mitbekommen, dass es sich um zwei verschiedene Songs handelt.

Nach dem erwähnten „bloodstainedeyes“ gehört die Bühne für die letzten zwei Song If I Die First, die mit dem uninspiriert klingenden, aber wenigsten humorvoll betitelten „Mirror, Mirror This Is Nothing Like You Promised“ ihre bislang schwächste Vorstellung zeigen. Ihre Paradedisziplin, der hochmelodische Ohrwurmrefrain, will ihnen hier überhaupt nicht gelingen. Verschmerzbar, denn im anschließenden „My Nightmares Would Do Numbers As Horror Movies“ geht es nach kurzem Intro aus angezerrten Apreggio-Akkorden über Trap-Beats in die Vollen: Das Schlagzeug scheint sich vor purer Energie beinahe zu überschlagen, die Gitarren übertrumpfen mit sich mit tollen Leads und Lil Lotus und Lil Zubin ergänzen sich mit überlagertem Geschrei und Gesang ganz hervorragend. Dieses Zuckerbrot-und-Peitsche-Prinzip ist natürlich älter als das Genre selbst, wurde aber lange nicht mehr zu mitreißend umgesetzt. Besonders die Stop-and-Go-Parts mit der eingestreuten Doublebass zum Ende hin machen unverschämt viel Spaß. Wäre der Song vor 15 Jahren erschienen, hätte er seinen festen Platz auf der Playlist eines jeden DJ in der Alternative-Disco sicher gehabt. Somit gewinnen If Die First den direkten Vergleich um Haaresbreite auf den letzten Metern.

Video: SeeYouSpaceCowboay/ If I Die First – bloodstainedeyes

Hier erhältlich
SeeYouSpaceCowboy_&_If_I_Die_First_–_A_Sure_Disaster_(Albumcover)SeeYouSpaceCowboy & If I Die First – A Sure Disaster
Release: 14. Mai 2021
Label: Pure Noise Records
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Bewertung
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seeyouspacecowboy-if-i-die-first-a-sure-disaster-albumreviewSeeYouSpaceCowboy und If I Die First sind zwei junge Bands, die mit ihrer jeweiligen Interpretation von Metalcore und Post-Hardcore hauptsächlich Nostalgiker bedienen – das aber auf ziemlich hohem Niveau. Ein paar moderne Einflüsse wie dezente Elektronik und Trap-Beats lockern die fünf Songs auf, die – bis auf eine Ausnahme - auch zu Hochzeiten dieser denkwürdigen Ära zu den besseren gezählt hätten