So war das Booze Cruise Festival 2023 in Hamburg

Foto: Maria Graul

In diesem Jahr starten viele, der aus der ganzen Republik und dem Ausland kommenden Booze Cruise Festival Gäste, stürmisch in das Wochenende in Hamburg. Es ist ordentlich was los an der deutschen Wetterfront und es scheint so zu sein, dass kaum jemand mit dem Zug in Hamburg ankommt, welcher eigentlich mal planmäßig gebucht wurde.

It´s the time of the year

Die Besucher:innen, die früh angereist sind, starten mit dem schnell ausverkauften opening boat ride in das Wochenende und genießen den Nachmittag mit Talk Me Off, The Carolyn und Chaser. Das kann man ohne große Worte als gelungenen Einstieg beschreiben. Für uns geht es im Goldenen Salon weiter, wo Bellyacher aus Köln zum ersten Mal eine Booze Cruise Bühne betreten. Selbst die Band zeigt sich überrascht, wie gut die Dachgeschossvenue des Hafenklangs gefüllt ist. Luftballons vervollständigen das Konzerterlebnis, während Frontfrau Claudia den Song „Overcome“ mit der Aufforderung, auf Freunde aufzupassen, die mit besonders miesen Umständen klarkommen müssen, an das Publikum richtet. Freundschaft sollte eben nicht nur “booze” bedeuten. Good Friend scheinen das eine und das andere gut zu kombinieren und so stellt der Gitarrist schnell “F*ck, I’m drunk!” fest. Leicht beschwipst und mit ordentlich Stimmung ziehen die drei Iren ihr Publikum schnell in einen paddy’sdayesken Sog. Sláinte!

Bildergalerie: Say It Anyway und Good Friend

Stimmung: Bombastisch

Schnell ins Molotow und ab in den Backyard, denn hier sollen The Menzingers nicht lang auf sich warten lassen. “Ohne Scheiß, wir haben die besten Erinnerungen unserer Bandkarriere hier in Hamburg, gar nicht weit weg von hier“, berichtet Tom May dem gut gefüllten Innenhof und wirkt spürbar zufrieden. Die US-amerikanische Band startet mit “I Don’t Wanna Be an Asshole Anymore” und schließt, neben Klassikern und neuen Songs, mit Covern von Rancid und Operation Ivy. Die Stimmung ist bombastisch. Schnell zeichnet sich ab, dass Crowdsurfen an diesem Wochenende zum absolut guten Ton gehören wird. Was für eine Atmosphäre! Schön, wieder hier zu sein!

Bildergalerie: The Menzingers

“If there is a creep in here just let us know. You all should feel safe.”<span class="su-quote-cite">Lost Love</span>

Es ist Sommer in Hamburg. Viele bekannte Gesichter sind zu sehen. Man fällt sich in die Arme und die Gespräche reißen nicht ab. Es ist herzerfrischend zu beobachten, wie diese kleine Punkrock Community funktioniert – auch, wenn sich manche nicht mehr, als einmal im Jahr, wiedersehen. Künstler:innen sind gleichermaßen Besucher:innen und andersherum. Veranstalter:innen, Booker:innen, Labelmenschen, Presse, Freund:innen, Musikliebhaber:innen – es sind wahrscheinlich an die 100 Rollen, die hier freundschaftlich aufeinandertreffen. Auch As I Stand, die Band, die aus Mitgliedern von The Run Up besteht, reiht sich in diese Aufzählung, genauso wie Lost Love, hervorragend ein. Beide Bands lieben Hamburg und geben in den Indoor-Venues des Molotows ordentlich Gas. Da ist die Spielfreude bis in die letzte Fingerspitze spürbar. “Kommt ruhig näher”, fordert Guilhem das Publikum auf und legt fest: “If there is a creep in here just let us know. You all should feel safe.” – 🖤 Das ist einer der großartigen Booze Cruise Festival Spirits. Und auch Chaser laden die Fans ein, die Bühne zu teilen und zu tanzen, denn sie richten diese Show an die Punkrockfamilie. An Freunde und Fans und es soll einfach auch mal darum gehen, den ganzen Scheiß, den man sonst so am Hacken hat, vor der Tür zu lassen. Ein ganzes Wochenende Punkrock. Dafür regnet es FOS Pogo, Stimmungsfluten und sogar ein Bad Religion Cover. That was fucking magical!

Bildergalerie: Chaser

Einlassstopp im Hafenklang

Bei Ways Away und Decent Criminal müssen wir leider draußen bleiben, da der Einlassstopp im Hafenklang ausgerufen wurde. Das passiert einigen Besucher:innen und wird zu einer Kritik, die auch über den Samstag immer wieder zu hören ist. Dabei ist – zumindest gefühlt – die Wahrnehmung, dass die Venue an der Elbe nicht mal ganz gefüllt ist. Auch der Ton an der Tür fühlt sich nicht immer so empathisch an, wie man es sonst von diesem Wochenende kennt. Nach einem Abschiedsdrink im Gun Club fallen uns glücklich, aber auch ordentlich müde die Augen zu!

Bildergalerie: Ways Away

Der Samstag: Pineapple, Cruises und großartige Menschen

Der Samstag startet traditionell um 11:30 Uhr im Molotow. Die Pineapple Party will vorbereitet werden und so packt eine über die Jahre zusammengewachsene Crew mächtig motiviert an. Fruchtfleisch raus, Erfrischungsgetränk rein und noch der eine oder andere Arbeitsschritt dazwischen, erklimmt die Sonne ihren Mittagszenith. Während ein Teil der Festivalbesucher:innen die Ananaselektrolyte kicken lässt, stimmt Dave Collide das Publikum ein – er springt von der Bühne ins noch verhaltene, aber textsichere Publikum. Es sind angenehme 24 Grad und die Runde im Hinterhof total gemütlich. Billy Liar, auch ein alter Bekannter der Booze Cruise Familie, übernimmt und reicht das Pineapple Zepter an Tired Radio akustisch weiter. So kann ein Tag zweifelsohne beginnen.

Einfach schön

Toybloïd übernehmen im Molotow Club und offenbaren dem Publikum eine großartige Dynamik mit Flinta an Bass und Gitarre. Die Band wirkt eingespielt – so eingespielt, dass man sich bei einem Patzer am Schlagzeug angenehm gegenseitig foppt. Auch am Gesang gibt es Wechsel und so zeigt sich eine echt erfrischende Energie auf der Bühne. Lone Wolf kommen mit irre viel Spaß um die Ecke und lieben das Bühnenlicht. Das aber in keiner Weise auf die arrogante Art – die Band kommt sichtlich gut beim Publikum an und das Publikum auch bei der Band. Das ist einfach nur schön.

Eine Bootsfahrt die ist…

Genauso schön ist es parallel bei Heart a Tact und Primetime Failure auf der MS Tonne. Nachdem die erste Anlegeplatzverwirrung aus der Welt geschafft werden konnten (es ist nie verkehrt, sich an einem Booze Cruise Samstag an den Hamburger Landungsbrücken an Ananashäufungen zu orientieren), starten Heart a Tact aus Zwickau nach Athlete und Rough Gutts die zweite Runde auf der MS Tonne. Das Crowdsurfen klappt noch nicht so richtig, nimmt aber auf dem Weg Richtung Övelgönne immer mehr Fahrt auf – angeführt von einer Besucherin. Fest steht auf jeden Fall, dass das Bier läuft, die Stimmung brillant ist und dass die, die den Fahrtwind spüren, für keinen Preis der Welt ihren Platz aufgeben. Der Rest ist eh im Bann der sympathischen Sachsen gefangen. Abgeklatscht wird mit den Bielefelder Kumpels Primetime Failure. Die beiden Bands kennen sich bereits seit vier, fünf Tagen und treffen sehr sicher nicht zufällig an diesem Nachmittag aufeinander. Wie schon gesagt, es geht bei diesem Festival um die Punkrockfamilie und alle, die dazugehören. Die Mischpoke aus Zwickau und Bielefeld ist dafür der besten Beweis – ich würde mich nicht mal wundern, bekäme ein bekannter Pizzahersteller mittlerweile wohlformulierte, aber durchaus willensstarke Anrufe unter der Vorwahl 0375.

Bildergalerie: Primetime Failure

„Uns geht es so gut, aber da draußen auf den Meeren gibt es so viele Leute, denen es so richtig Scheiße geht. Insbesondere, wenn sie es mit Wichser wie Frontex zu tun bekommen.“<span class="su-quote-cite">Primetime Failure</span>

Der Vierer aus Bielefeld ist authentisch wie eh und je und so fließen alkoholische Kaltgetränke und beste Attitüden um die Wette: “Uns geht es so gut, aber da draußen auf den Meeren gibt es so viele Leute, denen es so richtig Scheiße geht. Insbesondere, wenn sie es mit Wichser wie Frontex zu tun bekommen.” und so ist “Macht mal Applaus für die Sea Punks.” nicht nur eine plumpe Forderung, sondern eine personifizierte Überzeugung, die von der Bühne ins Publikum transportiert rauscht. “Oxygen” – ein Song, der sich ungeschönt genau mit dieser Thematik beschäftigt, wird angestimmt. Die Stimmung steigt und es wird festgelegt “Wir haben noch 1.5h Zeit. Ich glaube, der Kapitän hat gesagt, dass wir an irgendein Kap fahren”. Die Besatzung lacht über die Witze der Herren und schon wird die Geschichte von Tobi und dem Tonkurs erzählt. So schnell ziehen 40 Minuten bester Unterhaltung ins Land. Jungs, wir lieben Euch!

Dankbarkeit auf allen Seiten

Between Bodies starten im Hafenklang mit technischen Schwierigkeiten, legen dann aber ordentlich vor. Die Band überschüttet ihr Publikum mit Dank. Da wird man ganz rot vom Zuhören. Bei Slowkiss ist leider nicht so viel Publikum am Start, wie man erwarten könnte. Schade allein, weil die Band unüberhörbare Anleihen von Hole oder The Distillers hat. Die Songs werden stimmungsgeladen durchgeprügelt und so passiert es bedauerlicherweise einmal mehr an diesem Wochenende, dass eine Band das Set früher als gedacht beendet. Auch Überyou gehören zu den Bands, die immer wieder sehr willkommen bei der Cruise sind und innige Anhänger:innen in der Crew haben. Was auch absolut dazu passt, dass die Band sich bei allen bedankt, die jemals etwas für sie gemacht haben. Und damit meine ich wirklich alle. Es ist der umfassendste Dank, den ich jemals von einer Bühne an die DIY Szene hören durfte. Außerdem feiert Frontmann Ian die Bühne, auf der er steht. Wo kann man wohl sonst direkt am Bühnenrand einen Drink an der direkt benachbarten Bar bestellen. Es gibt Rum-Cola, denn heute geht’s erst nach Hause, wenn Jens betrunken ist. Der nächste Song wurde für die Menschen geschrieben, die zu früh gegangen sind. Und wenn wir gefragt werden, ob sie heute da sind, ist ein klares Ja die Antwort. Wo möchte man an diesem Wochenende auch sonst in diesem Universum sein, wenn nicht auf der Booze Cruise in Hamburg?

Bildergalerie: Between Bodies, Slowkiss, Überyou

Eine Cruise voller Erinnerungen

Weiter geht es mit No Trigger und Martha. Beide Bands holen ihr Publikum gut gelaunt und voller Spielfreude ab. Es geht gegen den Kapitalismus und die Freude darüber, dass die Gäste der jeweiligen Show den Temperauturen trotzen und in den aufgeheizten Räumen beste Musik feiern. Bei manchen sind sogar frisch gestochene Booze Cruise Tattoos zu bestaunen. Make War gedenken der Show im letzten Jahr auf dem Boot und den Menschen, die damals und heute da sind. Das Hafenklang übervoll und schon bei Mobina Galore beginnt der Einlassstopp. Say It Anyway reißen unterdessen den Goldenen Salon ab und haben ihr Publikum mal wieder fest in der Hand. Wirklich schön zu sehen, dass trotz mittlerweile bei schwereren Beinen beschwingt getanzt wird. Mit “Wir hoffen, ihr hattet bis hier einen guten Abend, ab jetzt wirds schlimm.”, eröffnen Chartreux das Blink-182 Cover-Set.  Wo und wer ist eigentlich Paul? Claudi wird zu “The Rock Show” auf die Bühne geholt. Es ist wild vor der Bühne, aber irgendwie nicht dieses angenehme wild, was sonst überall zu spüren ist. Besonders auffällig an diesem Tag ist auch, dass die weiblich gelesenen Crowdsurferinnen sehr viel entspannter, als die Herren über die Mengen schweben. Bei den Männern fehlt es da etwas an Koordination, müssen wir feststellen. Jungs, es ist niemandem geholfen, wenn Ihr über den Köpfen der Euch Tragenden wild herumzappelt und in die Luft tretet.

Bildergalerie: No Trigger, Mobina Galore, Make War & Chartreux

Lifewentpear meets Leatherface mit Atmosphäre

Mit einem spontanen Akustik-Coverset hinter den Auktionsfischhallen endet allmählich der offizielle Samstag. Viele Menschen machen sich gemeinsam aus dem Hafenklang auf den Weg zum Fähranleger Altona (Fischmarkt). Als wir ankommen, sitzen schon einige auf dem Ponton. Vor ihnen, auf einem Barhocker, Jan. Er ist der Sänger der Kölner Band Lifewentpear und bereit, Leatherface zu covern. Was für eine großartige Kulisse. Er erzählt, dass er nicht mit so vielen Menschen gerechnet habe und bittet, sich während der Show nicht allzu laut zu unterhalten. „Kennt ihr das, wenn man in der Schule ein Referat halten musste? So fühle ich mich. Alle gucken mich an.”, stellt er fest und fragt: „Wisst Ihr, was ein Profi dann macht?„, während er seine Brille annimmt. “Ich spiele noch 2 Songs”, fährt er fort. “Einen pro Promille

Bildergalerie: Lifewentpear Coverset Leatherface

Der Sonntag: Oh Canada!

Der Sonntag startet nach einem ausgiebigen Frühstück mit Eaten By Snakes und Wasted Years auf de MS Tonne. Es ist ordentlich voll und die Stimmung auch an Tag drei hervorragend. Beide Bands spielen ein unglaubliches Set. Sogar mit gebrochenem Finger, wie im Fall der Wasted Years Frontfrau Cati. Wie auch sonst, wenn selbst das Bier auch schon wieder schmeckt! Die zweite Cruise ist besetzt mit Lost Love und Mobina Galore. Das kanadische Doppel hat allerhand Fans an Board und heißt ordentlich ein. Dass Lost Love beispielsweise stets alles geben, ist nun auch schon an der Stimme von Guilhem zu hören – höchst euphorisch und ordentlich gebraucht gibt er alles, um auch diese großartige Show zu bedienen und die Band zieht nach. Da darf auch auf keinen Fall ein Ska Song fehlen. Mobina Galore sind, wie immer, großartig! Die Stimmung ist toll und Band und Publikum in dankbarer Symbiose.

Bildergalerie: Lost Love

 

Count your bruises one by one and laugh it off…

Direkt im Anschluss geht es schon zurück ins Molotow, wo das diesjährige Booze Cruise für uns mit den letzten Klängen von Jugheads Revenge und den großartigen The Flatliners endet. Nach einem kurzen Schnack im Backyard und zwei bis drei Molotowcocktails mehr, als für einen Sonntag geplant, begrüßt Chris Cresswell sein Publikum mit den Worten: “We have two more Songs for you!” Den Lacher hat er auf seiner Seite und die Kanadier starten mit “Performative Hours”. Cresswell berichtet außerdem, dass die Band in den letzten zwei Tagen auf Outdoor Festivals gespielt habe und er sich, angesichts des hitzigen Clubs, der Sonne an diesem Tag definitiv näher fühle. Er bedankt sich bei allen, dass sie das Festival bis hierher geschafft haben und offensichtlich immer noch nicht genug haben. Gespielt werden Hits wie “Hang My Head”, “Resuscitation of the Year”, “Eulogy, “Monumental” und unserem liebsten Lieblingssong “Count Your Bruises” – versteht sich. Aus absoluter Überzeugung predigt der charismatische Frontmann seinem Publikum eindringlich, dass niemand irgendwem zu sagen hat, was er oder sie mit dem eigenen Körper macht oder wen man zu lieben hat. “Sollten das hier jemand anderes sehen, verlasst bitte den Raum!” Gut, solche Ansagen zu haben, aber auch fürchterlich, dass das wohl selbst in dieser Szene auch 2023 noch nötig ist. Vor dem Song “Oath” wird klar, dass die Band zuletzt im Frühjahr 2008 im damals noch alten Molotow gespielt hat. Und auf den Gedanken “Wir waren so jung und naiv” birgt ein siegessicheres “YES” aus dem Publikum bereits den nächsten Lacher in dieser sympathischen Show. Nassgeschwitzt bis auf den Schlüppi perlt der letzte Schluck Erfrischungsgetränk über unseren Gaumen und wir machen uns Endorphin geschwängert und müde auf den Heimweg. Es war großartig. Es war heiß. Es war Familie. Es war das Booze Cruise Festival 2023 und wir bedanken uns bei allen, die all die Arbeit jedes Jahr aufwenden, um dieses besondere Spektakel möglich zu machen. You know who you are! Wir sehen uns nächstes Jahr an Hamburgs Waterkant!