Wenn Ihr mich fragt, fehlt mir neben unzähligen nicht nachholbaren Konzerten und Festivals und all den Umarmungen geliebter Menschen am meisten das Reisen. Zu einem Zeitpunkt, an dem mein Fernweh (gefühlt) nicht größer sein könnte und ich unzählige Stunden damit verbrachte Bilder vergangener Reisen zu sortieren, kommt Timo Scharf mit seiner EP „Everything Ever Always Is All Forgotten“ um die Ecke und packt nochmal 50 Kilo Sehnsucht nach der Ferne obendrauf. Danke, ey!
„Wie unfassbar schön und gleichermaßen tief traurig ist diese EP bitte?“
Eine Zeit des absoluten Verzichtes
Ich habe, wenn ich ganz ehrlich bin, weder eine Ahnung wer Timo Scharf ist, noch ist mir nachvollziehbar, wie er -offensichtlich ernsthaft- in Braunschweig leben mag. Was mir im Verlauf der fünf Songs jedoch klar wird ist, dass Braunschweig vermutlich genau der richtige Ort ist, Songs voller Melancholie und Weltenlust zu schreiben und diese, in einer Zeit des absoluten Verzichtes, so grenzenlos herzzerreisend in diese Welt zu tragen.
Asbury Shore, Pazifikküste oder tausend Glühwürmchen
Scharf ist laut Presseinfo Straßenmusiker und Weltenbummler und wurde von Rod Jones, dem Gitarristen der erfolgreichen Indie-Rockband Idlewild in Edinburgh entdeckt. Die hügelige Hauptstadt Schottlands entwickelt sich schnell zum Mittelpunkt seines kreativen Schaffens. Musikalisch ist Scharf meiner bescheidenene Meinung nach tatsächlich mehr zum Arthur’s Seat im Holyrood Park, als ins beschauliche Peine Ost zu verorten. Gleichermaßen würde dem Musiker aber auch die Asbury Shore, die Costa Ricanische Pazifikküste oder ein charmant verwunschenes Weingut mit tausend Glühwürmchen im Napa Valley stehen.
Kleben geblieben bin ich an dieser Musik zwischen Folk, Pop und Country, die eigentlich gar nicht so typisch für dieses Magazin ist allerdings, weil Timo Scharf mich bereits nach den ersten Akkorden verzaubert hatte. Wie unfassbar schön und gleichermaßen tief traurig ist diese EP bitte? Die Songs repräsentieren die komprimierte Gedankenwelt des Musikers während des ersten Lockdonws in Deutschland im April 2020. Wir wissen vermutlich alle noch gut, wie es uns vor fast genau einem Jahr ging.
Wir sehen uns am Ende der Welt
Sollte es in meinen Socials in nächster Zeit also Bilder aus fernen Ländern regnen, könnt Ihr Timo Scharf dafür verantwortlich machen. Ich werde eventuell nächtelang melancholisch und vielleicht sogar ein bisschen verheult zwischen Bildern, Alben und Reiseführern sitzen. Ich werde den Geruch, den Klang und die Haptik dieser Welt und ihrer Menschen vermissen und mir wünschen, dass die Solidarität der Gesellschaft wächst und nicht mehr und mehr durch Neid, Hass und Angst gespalten wird. „Everything Ever Always Is All Forgotten“ macht dafür Mut und schenkt seinem Zuhörenden die Gewissheit, dass es irgendwann vorbei ist und dass wir uns dann, wenn alles wieder „gut“ ist, irgendwo am Ende dieser Welt sehen werden – egal, ob das Braunschweig, Hammerfest oder Ushuaia sein wird.