Was soll nach einem Konzeptalbum über den Tod der eigenen Mutter noch folgen? Richtig – ein Album bestehend aus kleinen Mosaiksteinchen und Geschichten, die verdeutlichen, wie man auch nach großen persönlichen Katastrophen weitermacht. In diesem Sinne präsentieren Touché Amoré ihr neuestes Werk „Lament“.
„In Summe ist „Lament“ ein zutiefst ehrliches und musikalisch wunderschönes Statement, das uns allen aufzeigt wie es nach schweren SchicksalSschlägen weiter gehen kann, wenn man nur den Silberstreif am Horizont nicht aus den Augen lässt.“
Ein Lichtblick am Horizont
Touché Amoré wissen es seit Tag eins wie kaum eine andere Band große Emotionen in die Welt zu schreien. Dabei erreichen sie oft die Intensität ihrer früheren Labelkollegen Converge, sind dabei aber immer weniger chaotisch. Teils driften die Songs in fast schon rockige Gefilde ab, verlieren aber dank der Stimme von Jeremy Bolm nie an Härte und Intensität.
Nach dem durch und durch ehrlichen und aufwühlenden „Stage Four“ warten die Fans der Band vier Jahre sehnsüchtig auf den Nachfolger. Aber ist „Lament“ nun auch textlich ein „Stage Four“ Teil 2? Die Antwort ist ein klares „Jein“. Die Lyrics des Albums sind gewohnt persönlich und dementsprechend repräsentieren sie einen Zeitpunkt in Jeremy Bolms Leben, an dem die Themen, die auf „Stage Four“ so unmittelbar nach deren Erleben besungen wurden, noch immer präsent sind. Trotz allem ist „Lament“ weniger um ein einziges Ereignis herum gebaut. Viel mehr geht es Touché Amoré nun darum kleine, eigenständige Geschichten zu erzählen, die dann aber doch wieder ein Gesamtbild ergeben.
Es ist okay, sich nicht okay zu fühlen
„Reminders“ handelt davon alles was man liebt, alles was einen am Leben hält, zusammen zu glauben, um auf diesem Fundament weiterzumachen. Verzweiflung und Schmerz sprechen aus den Zeilen des Songs, aber immer vor dem Hintergrund eines neuen Optimismus. Jeremy Bolm kommt hör- und spürbar zu dem Ergebnis, dass es vollkommen okay ist sich eben nicht immer gut zu fühlen. Und das ist dann auch der rote Faden, der „Lament“ zusammenhält: das Annehmen der Umstände und der eigenen Gefühle. Das Leben ist nicht immer seicht, berechenbar und fair. Es wird immer Zeiten geben, in denen man einfach „ausharren“ muss und genau für diese Zeiten bietet „Lament“ einen beeindruckenden und wirklich unter die Haut gehenden Soundtrack.
„I’ll Be Your Host“ setzt sich mit dem Fakt auseinander, dass viele Fans auf Bolm zukamen und ihm ihre eigenen Geschichten von Verlust, Trauer und Schmerz aufluden. Und so hat jeder Song einen ganz eigenen Vibe, der von einer deutlichen Grundstimmung getragen wird. Die Eigenständigkeit der Einzelteile erinnert an die Anfänge der Band, während es musikalisch ganz klar bei der auf „Stage Four“ eingeschlagenen Richtung bleibt. Touché Amoré zeigen sich weiterhin facettenreich und innerhalb ihres abgesteckten Sounds experimentierfreudig. Und so ergibt sich ein wirklich einzigartiges und sehr emotionales Album, das ähnlich der Werke von La Dispute, lange einen persönlichen Begleiter darstellen wird.
Auf Tuchfühlung mit Ross Robinson
Für „Lament“ arbeiteten Touché Amoré mit Producer-Legende Ross Robinson zusammen. Alles begann damit, dass sie ihm einen Song schickten um dann mit ihm probeweise zusammenzuarbeiten. Schnell stellte sich heraus, dass beide Parteien gut miteinander auskamen und eine gemeinsame musikalische Vision im neuen Material sahen. Vor jedem Song standen Sänger Jeremy Bolm und Producer Ross Robinson zusammen in der Gesangskabine und redeten bis zu einer halben Stunde über das, was die Band textlich mit dem Song erreichen wollte. Sie redeten über die großen Emotionen, die es zu transportieren galt. Dann starteten die jeweiligen Aufnahmen, Ross Robinson noch immer neben Bolm in der Gesangskabine. Dass das nicht immer leicht war, verriet der Sänger in einigen Interviews, wusste aber auch, dass diese Vorgehensweise wirklich das Beste aus den Songs herausholt.
Dem Fakt geschuldet, dass Robinson und Bolm bis kurz vor der Aufnahme über die jeweiligen Texte sprachen versetzte den Sänger in die richtige emotionale Grundstimmung und diese Unmittelbarkeit hört man den Texten an. Die Emotionen brodeln direkt unter der Oberfläche und man kauft Bolm jedes Wort ab.
Die Reise geht weiter
Wenn Bolm dann zu Ende des Albums den Hörer mit den Worten „I’m still out in the rain / I could use a little shelter now and then“ entlässt fühlt man sich gestärkt darin, dass es irgendwann immer weiter geht, auch wenn es sich im jeweiligen Moment eben nicht so anfühlen mag. „A Forecast“ macht Mut und zeigt auf, dass die emotionalen Tiefen ebenso zum Leben gehören, wie die guten Zeiten. Man möchte Jeremy Bolm wieder und wieder für seine Ehrlichkeit und seine persönlichen Texte danken.
In Summe ist „Lament“ ein zutiefst ehrliches und musikalisch wunderschönes Statement, das uns allen aufzeigt wie es nach schweren Schicksalschlägen weiter gehen kann, wenn man nur den Silberstreif am Horizont nicht aus den Augen lässt. Hier liegt ein Album vor, dass vor allem durch seine Offenheit, Intimität und Aufrichtigkeit besticht. Als indirekten Nachfolger zu „Stage Four“ wird man als Fan weder musikalisch noch textlich enttäuscht. War „Stage Four“ noch ein aus dem unmittelbar Erlebten generiertes Album, so wirkt „Lament“ durchdachter und mit etwas mehr Abstand zur eigenen Gefühlswelt. Gewohnt reflektiert geht Jeremy Bolm an die Texte und schafft es so wieder einmal die Hörer komplett abzuholen.