Wanda und Soeckers live in Hannover

Zwei verdammte Jahre ist es her, dass auch die Show von Wanda für Hannover geplant wurde. Am vergangenen Dienstag war es dann endlich soweit und die verruchte Wiener Brut beehrte und begeisterte gemeinsam mit Soeckers aus Münster die Fans in Hannover – in Hannover?

Chöre, Weltschmerz, Zigarettenrauch und Amore: Das ist Wanda, das ist Hannover und vor allem ist das großartig.<span class="su-quote-cite">Maria Graul</span>

Soeckers, der Support aus dem schönen NRW hat Bock und betont das mehrmals. Bock für Wanda zu eröffnen und Bock auf Hannover. „Das ist Wahnsinn und wunderschön“, hört man immer wieder durch die Venue tönen. So lässt man sich auch nicht lange lumpen und fordert zum Titel „Lichter“ feinstes Feuerzeug/Taschenlampen Reigen des Publikums ein. Selbiges steigt angezündet ein, wird aber ebenso schnell ein kleinwenig zu faul und hält den Schwenkarm nicht so wirklich den ganzen Song durch. Nichtsdestotrotz ist dieser Lichttrick immer wieder eine großartige Sache für eine wohlig warme Konzertatmosphäre. Solider Einstieg, möchte man sagen – die Band hat Spaß, das Publikum lässt sich einfangen und zeigt sich hier und da sogar stimmstark (besonders beim durchchoreografierten Jacke Ablegen der Musiker)

Bildergalerie: Soeckers

Da fehlt der erste Funke

Eine kurze Umbaupause später und pünktlich per Definition des akademischen Viertels, betreten Wanda aus Wien die Bühne. Eine Band, die in der letzten Zeit nicht nur durch ihre Musik in den Medien landete. Gerade erst musste die Band schmerzlich Abschied von ihrem Keyboarder Christian Hummer nehmen, fällt Frontmann Marco durch ableistische Motivationsparolen während eines im Radio übertragenen Konzertes auf. Letzteres bleibt zu diskutieren und fällt definitiv nicht in die Kategorie der Wiener Schmäh. Dazu später mehr.

Wanda wissen zu provozieren – das ist nichts Neues und so ist es fast ein stilistisches Mittel geworden, dass Michael Marco Fitzthum beim Betreten der Bühne fest eine Zigarette zwischen Zeige- und Mittelfinger hält. Ob das in der anderen Hand ein gut gefülltes Glas Wodka ist, lässt sich nur spekulieren. mit „Rocking in Wien“ geht es los und keine Zigarettenlänge später steht die Frage im Raum, warum der Funke heute nicht so richtig auf da Publikum überspringen möchte. Zum Mitspringen allein zu motivieren scheint an diesem Dienstag offensichtlich nicht auszureichen – der Raum ist gefühlt noch zu weit weg von der nötigen Betriebstemperatur. Gut also, mal ein bisschen miteinander zu reden und so schreit Marco Wanda dem Publikum „Wir haben Euch scheiße vermisst“ entgegen. Das hört man gern und auch Gastgeschenke in schönster Holsten Dosenbierform nimmt das Publikum dankend entgegen. So euphorisch, dass der Frontmann einen Typen maßregeln muss, dass er doch wohl der Frau neben ihm das just gefangene Bier nicht wegnehmen wollen wird. Schöne Grüße an die Kopfschmerzen morgen: Holsten knallt am.…na, Ihr wisst schon!

Mannheim an der Leine

Befassen wir uns nochmal mit der geografischen Einsortierung Hannovers. Dieses liegt nämlich im Tal der Leine am Übergang des Niedersächsischen Berglandes zum Norddeutschen Tiefland. Niedersachen, liebe Wandas, Niedersachsen. Was nicht zu Niedersachsen gehört ist (stilistische Pause) Mannheim. Das ist knapp 500 km südlich und somit für uns fast Norddeutsche eher Euer Gefilde. Fitzthum befindet sich jedenfalls zumindest gedanklich in Mannem und weckt damit erstaunte und amüsierte Gesichter. „Mannheim, Schatzi“, ist somit offensichtlich die falsche Choreografie – aber bis sich das auflöst, wird es noch eine gute halbe Stunde dauern. Spannend, was hier heute so passiert und nicht passiert. Springt er deswegen nicht so richtig, dieser Funke?

„Schick Mir Die Post“ formt seine ersten Akkorde und plötzlich sind die Publikumschöre da. Die Temperaturen steigen und eine Dynamik fährt durch das Venue an der Leine, die das Herz ein bisschen lauter schlagen lässt. Der Gedanke ist mittlerweile kein junger mehr und dennoch ist es immer wieder schön zu spüren, dass dieses kollektive Gefühl der Livemusik zurück ist. Manchmal ist dieses elendige Vermissen keine ganz so schlechte Sache.

Und dann funkt es, Mama

Keine 40 Minuten nach Anpfiff ist dann auch die Wanda Stimme in Hannover gelandet, Schatzi. Ganz, ganz liebe Grüße nach Mannheim, aber heute mögen wir es, an der Leine zu sein. Zynisch wird der Song „Lucia“ von Debutalbum der Band als neuer Song mit klarer Botschaft angekündigt, das Publikum brennt mittlerweile ein bisschen und der Sänger suhlt sich auf der Bühne. Sein süffisantes Grinsen steht ihm unaufhörlich gut und er fordert selbstbewusst immer noch ein bisschen mehr Applaus ein. Das Publikum pariert uneingeschränkt. „Wir spielen ja sonst nur Stadien“, wird gefragt und Mann möchte wissen, ob jemand was Wichtiges zu sagen hätte. Die erste Frage wird als nicht weltbewegend genug abgetan und einen Antrag muss man heute offensichtlich (zwinkernd) auch nicht hören. Liebe Grüße nach Mannheim sind natürlich legitim; genau, wie die besten „Grüße an Mama“.

Es geht immer weiter.<span class="su-quote-cite">Marco Wanda</span>

Weltbewegend muss auf jeden Fall auch der Verlust von Bandmitglied Christian Hummer gewesen sein: „Diese Tour ist für uns zu krass. Wir spielen in Städten, in denen wir auch mit Chris gespielt haben. Hier erinnern wir uns daran und dafür will ich mich nochmal bei dem Laden entschuldigen, wie er mit einer unglaublichen Leidenschaft den Backstage zerstört hat“, leitet Marco Michael Wanda den Song „Weiter, Weiter“, der dem Musiker gedenken darf, ein. Man sieht der Band die tiefe Betroffenheit ganz deutlich an. „Löst ein ordentliches Erdbeben aus“, fordert der Frontmann und stichelt gen Venuedecke „Der soll es sich da, wo er jetzt ist, nicht zu bequem machen. Es geht immer weiter“. Das Publikum unterstützt den Song und die Band lautstark. Keiner wird hier allein gelassen.

Schnaps war nicht sein letztes Wort

Den Blick zur Bar riskiert der agile Sänger nicht das erste Mal. Im Saal des Capitols gibt es sogar drei davon. Vor dem Song „Pilot“ macht er sich also auf den Weg eine Runde zu schmeißen. Für 100 Euro will er Schnaps. So geht es, mit Blick von der Bühne, über die Köpfe des Publikums zum rechten Tresen. Kein Schnaps. Man macht sich erneut auf den Crowdsurfweg zum linken Tresen. Kein Schnaps. Fündig wird Marco Wanda im Zentrum des Veranstaltungsraums und endlich wird Ingwerschnaps im Wert von 100 Euro ausgeschenkt. Mit erreichtem Ziel in der Tasche lässt es sich gleich besser zur Bühne zurücktragen. Prost.
Das Publikum spielt nicht nur an diesem Punkt eine tragende Rolle. Auch gesanglich haut es die Band sichtlich um. Es ist immer schön wahrzunehmen, dass diese Stadt kein Image, aber eine unüberhörbare Stimme hat! Chöre, Weltschmerz, Zigarettenrauch und Amore: Das ist Wanda, das ist Hannover und vor allem ist das großartig. Wanda sind Independet, Rock und Pop und eine unfassbare Liveband. Und irgendwie fühlt es sich so an, als wären Wanda ein wenig altersmilde geworden, was die großen toxischen Eskapaden angeht. Das Konzert in Hannover hat eine irre Steigerung vorgelegt und am Ende kaum noch Fragen offengelassen. Das war tatsächlich ein fulminantes Live-Entertainment.

Bildergalerie: Wanda

Weil es Bedeutung hat

Abschließend möchte ich aber dennoch meinen Blick auf den Vorfall vom Tourstart im Potsdamer Waschhaus richten, der für mich, nachdem ich eine Weile darauf herumdenken konnte, differenziert betrachtet werden darf und muss und definitiv mehr, als eine Facette hat. Die Show wurde im Radio übertragen und irgendwann heizte Marco Wanda sein Publikum an, die Zuhörenden im Radio mit „Hallo Ihr Spasten“ zu grüßen. Das ist (as simple as it is) beleidigend. Besonders, weil es sich vom Begriff „Spastiker“ ableitet und somit Menschen mit körperlichen Behinderungen diskriminiert. Feinster Ableismus also. Diesen etwas zu ekeligen Kelch, kann man allerdings nicht nur über der österreichischen Band auskippen, man muss auch jede:n einzelnen Anwesende:n in die Verantwortung nehmen. Dreimal in Folge hat das Publikum diesen unschönen Gruß reproduziert.

Fakt Eins

Liebe Wandas, das war Scheiße und es ist jetzt offensichtlich an Euch, damit umzugehen und Gesagtes zu reflektieren und aufzuarbeiten. Niemand weiß mehr, welche Macht die Waffe Wort hat, als Menschen, wie Ihr und wir, die mit genau diesen Worten arbeiten und durch sie Botschaften, Emotionen, Bilder und Visionen formen – aber eben auch unseren eigenen Horizont damit erweitern oder begrenzen und vor allem festlegen. Lasst was dazu von Euch hören, das wäre ein echter Move!

Fakt Zwei

Liebe alle, sensibilisiert euch gegen „Parolen“, die Ihr ohne darüber nachzudenken reproduziert. Nicht alles, was kunstschaffende Menschen Euch vor die Füße spucken ist richtig. Es ist aber durchaus richtig, im direkten Feedback zu vermitteln, dass Ihr beispielsweise nicht einverstanden seid. Wir alle machen Fehler und das ist auch legitim. Wir Menschen lernen aus den gemachten Erfahrungen. Genau dafür benötigt es klares und konstruktives Feedback, denn wir alle tragen eben auch ganz allein die daraus entstehenden Verantwortungen und Konsequenzen – manchmal auch kollektiv. Vielen Dank!