Zwischen Wahnvorstellung und Wahnsinnstempo: A Wilhelm Scream frickeln sich auch auf Album Nummer Sechs (ungefähr, es ist kompliziert) in beeindruckender Manier durch eine gute halbe Stunde Melodycore, der so klingt, als wären keine neun Jahre seit der letzten Veröffentlichung vergangen.
Ist das jetzt gut oder schlecht?
Beachtlich in jedem Fall. Ein ähnlich hohes technisches Niveau weisen in dieser Sparte höchstens noch Strung Out oder Belvedere auf, wobei das Energielevel bei A Wilhelm Scream nicht zuletzt durch den nimmermüden Frontmann Nuno Pereira im direkten Vergleich nochmal um eine Potenz größer erscheint. Geradezu erstaunlich ist es, dass dabei keinerlei Abnutzungserscheinungen zu bemerken sind – dabei reichen die Anfänge der Band bis in die frühen 90er zurück.
So firmierte die Band anfangs noch unter dem semi-geglückten Namen Smackin‘ Isaiah, der aber nach Veröffentlichung des zweiten Albums „Benefits Thinking Out Loud“ gütiger Weise in die heutige Form geändert wurde. Zweistimmiges Frickelriffing und unzählige Tempowechsel gingen jedenfalls auch hier schon Hand in Hand mit enormem Ohrwurmpotential und entwaffnender Catchyness. Über die folgenden Alben schärfte die Band ihr Profil nochmal besonders auf der technischen Seite nach, was im furiosen „Career Suicide“ 2007 kulminierte: Hochkomplex, aber hochgradig eingängig. Das bislang letzte Album „Partycrasher“ kam nach sechsjähriger Pause schon nicht mehr ganz an die Brillanz des Vorgängers heran.
Neun Jahre später
Warum A Wilhelm Scream nun satte neun Jahre für ihr neues Album gebraucht haben? Als Comeback kann man „Lose Your Delusion“ jedenfalls nicht werten, aufgelöst hat sich der Fünfer aus Massachusetts schließlich nicht – im Gegenteil, denn man war so gut, wie konstant, auf Tour. Zudem hatte sich Gitarrist Trevor Reilly vor einigen Jahren in den Kopf gesetzt, ein bandeigenes Aufnahmestudio in Eigenregie zu bauen. So gingen die Jahre ins Land, und wenn keine Tour ansteht, dann ist Pandemie – man kennt es.
Nun aber steht „Lose Your Delusion“ in den Startlöchern und hat, neben der quatschigen Anspielung auf Guns’n’Roses im Titel, elf Songs in gewohnter Manier in petto. Wobei sich die Band erlaubt, im eröffnenden „Acushnet Avenue At Night“ direkt mit der Erwartungshaltung zu brechen: Eine einsame Gitarre spielt verzerrte Einzelnoten vor sich hin und hält das unbeirrt auch über den Punkt hinaus bei, an der man mit dem Einsatz der vollen Breitseite rechnen würde. Diese kommt dann wesentlich später und lässt dann sofort wohlige Nostalgie aufflammen. Sich volle zwei Minuten Zeit zu nehmen, bevor man ein Melodycore-Album wirklich starten lässt, muss man sich aber auch trauen.
Songs, die Haken schlagen
Nach dem überlangen Vorspiel setzt dann aber sehr schnell das gewohnte AWS-Feeling ein: Die Band klingt im Grunde wie eh und je, das Grundrezept hat man weitgehend unverändert gelassen. Harmonisches Doppel-Lead-Riffing trifft auf galoppierendes Drumming, trifft auf Thrash-Metal-Zitat, trifft auf Skatepunk-Hymnenhaftigkeit. Während die einzelnen Parts für sich genommen funktionieren, geht A Wilhelm Scream inzwischen aber das Gefühl für nachvollziehbare Strukturen und Ohrwürmer ab.
Das Problem des Vorgängers zeigt sich hier nochmal verstärkt: Die Songs schlagen zu viele Haken, um im Ohr zu bleiben, zu viele Ideen werden in Songs gepresst, die im Ergebnis zerfahren wirken. Doch es gibt Ausnahmen: Der Opener macht seine Sache insgesamt hervorragend, „Yo Canada“ verbindet gekonnt jazziges Basssolo mit hochmelodischem Chorus und „Figure Eights In My Head“ ist ein melancholischer Midtempobanger mit schönem Wechselspiel der verschiedenen Gesangsstimmen in der Strophe.
Ein quasi vernichtendes Urteil
Darüber hinaus bleibt aber zu wenig hängen, was zum nochmaligen Anhören animieren würde. Zu zerfahren, zu überfordernd sind die Arrangements geraten und werden dabei zu selten von wirklich eingängigen melodischen Parts gerettet – das kommt in einem Genre, das genau davon lebt, einem quasi vernichtenden Urteil gleich. Eine weitere Ausnahme gibt es allerdings: Der Titeltrack, sowie der anschließende Closer „Downtown Start II“, machen so ziemlich alles richtig und erinnern daran, was A Wilhelm Scream einmal groß gemacht hat und retten das Urteil damit knapp ins Positive.