Manchmal dauert es leider eine Weile, bis man die Besprechung eines neuen Albums veröffentlicht. Das kann diverse Gründe haben, die manchmal selbst- und dann wieder fremdbeeinflusst sind. Aber mitunter traut man sich vielleicht auch gar nicht ran, weil so viel Emotionalität und Geschichte damit verbunden ist, dass es sich anfühlt, als müsste man vorab einen Marathon laufen – gar nicht allein auf die eigene Person bezogen, sondern viel mehr mit dem Wissen, dass wirklich jeder mit der Veröffentlichung die Möglichkeit bekommt, das eigene (oft zwangsweise und egal wie sehr man es versucht zu vermeiden) subjektive Gedankengut zu lesen. Vermutlich kommt genau deswegen das Review der neuen Adolescents Scheibe „Cropduster“ auch locker zwei Wochen „zu spät“.
„Cropduster“ versprach ein durch und durch politisches Album zu werden
Nach 39 Jahren Adolescents erschien nun also die letzte mit Steve Soto aufgenommene Platte
Bereits in der Vorberichterstattung machte es Spaß, das Cover der neuen Platte genauer unter die Lupe zu nehmen. „Cropduster“ versprach ein durch und durch politisches Album zu werden. Das von Mario Riviere gezeichnete Artwork zeigt Fullerton – sagen wir – unangenehm von Donald Trump berührt. Ordentlich miefig stolziert Genannter nämlich an der hiesigen kalifornischen Bevölkerung vorbei und erzeugt eindeutige Reaktionen – nicht die Positiven. Das war ungefähr Anfang Mai.
In der Nacht vom 27. auf den 28. Juni ging dann die Nachricht vom Tod Steve Sotos um die Welt. Ein wirklich großer Verlust für die internationale Punkszene. Soto war nicht nur Bassist und Gründungsmitglied der 80er-Hardcore-Punk-Legenden Agent Orange und The Adolescents, sondern unterstütze viele namenhafte Bands wie Legal Weapon, Joyride oder die Supergroup Punk Rock Karaoke. Nicht ganz zwei Wochen später sollte „Cropduster“ released werden. Mit dem 81er, nach der Band benannten, Debütalbum der Adolescents schrieb Soto Punk-Geschichte. Das Album prägte, neben den Platten der Bad Brains oder Black Flag, den (Hardcore) Punk der 80er Jahre. Und hier startet der „emotionale Marathon“. Nach 39 Jahren Adolescents erscheint nun also die letzte mit Steve Soto aufgenommene Platte in einer Zeit, in der die Welt und im Fokus die Vereinigten Staaten, nicht verrückter sein könnte. Das macht Gänsehaut.
Anhänger des 45. Präsidenten Amerikas werden hier unter absolut keinem Umstand in irgendein Hörvergnügen kommen
Die Adolescents unterdessen machen das, was sie zu einer der bekanntesten Punk- und Hardcorebands der USA machte: Unfassbar scharfsinnig legen sie den Finger in die Wunde und halten der Gesellschaft den Spiegel vor. Anhänger des 45. Präsidenten Amerikas werden hier unter absolut keinem Umstand in irgendein Hörvergnügen kommen. Wenn doch, kann man wohl von Rehabilitierung sprechen und das wäre wahrscheinlich nicht mal das Schlechteste. Und so schreit die Frontstimme Tony Cadena im Song „Just Because“ Donald Trump mit einem geschmeidigem „Just because fuck you!“ seine unverblümte Meinung in den Gehörgang.
Die gesamte Palette des amerikanischen Wahnsinns des 21. Jahrunderts wird Song für Song abgearbeitet. Lebenseinstellungen und die damit verbundenen Schwierigkeiten stellt man sich entgegen. Atomare Unsicherheiten, Attentate in beispielsweise Schulen sind nur die Schwelle zu einem Gedanken der nicht besser hätte formuliert werden können:
„Hey, die Welt ist beschissen, aber lasst uns den harten Riffs und aggressiven Vocals noch einmal mit einem fetten Moshpit huldigen, bevor die Apokalypse an unsere Tür klopft und wir uns unserem Schicksal beugen müssen!“
Trotzig, optimistisch und unfassbar scharfsinnig
Somit zeigt sich deutlich, dass die Adolescents zwar – blickt man kleinkariert auf die 39 Jahre Bandhistorie – bei weitem der Phase ihrer Adoleszenz entwachsen sein sollten. Die auf „Cropduster“ vorherrschende Rebellion, der Druck, die Wut, die Frustration mit dem ewig währenden Gefühl, die Hoffnung nicht verlieren zu dürfen zeigt allerdings, dass die Adoleszenz nicht ohne Grund das Ende (starr definiert) der Jugendphase darstellt. Und so ein „Ende“ kann ja beim besten Willen frei interpretierbar bleiben. Trotzig, optimistisch und unfassbar scharfsinnig spielen The Adolescents ein großartiges Album in die Welt. Und das hätte nicht mehr Punk sein können, als es nun ist.
Trotz des Todes ihres Gründungsmitglieds wird die Band die laufende Tour spielen. Um Steve Soto zu ehren, um seine Musik zu ehren und um die damit verbundenen 55 Jahre im Leben eines besonderen Musikers zu feiern – mit einem Album, welches weder aktueller noch ehrlicher hätte sein können und mit einer Diskografie, die Bands, welche wir heute als „legendär“ bezeichnen, prägte und nicht nur eine Generation formte. Chapeau Adolescents, vielen Dank Steve Soto.