Nach unzähligen Versuchen diesen Rückblick über ein außergewöhnliches Festival zu beginnen, kapituliere ich und nehme vorweg, dass es unmöglich ist dem Booze Cruise Festival 2019 die Worte zu schenken, die es verdient. Im Auge der Ananas, mitten im bunten Treiben von Hamburgs Stadtteil St. Pauli wurden wir, nach den schlechtesten Pfingst-Rush-Hour Bedingungen, die man sich für einen Freitagnachmittag vorstellen kann, in eine Welt katapultiert, die beim besten Willen nicht perfekt und genau deswegen so viel schöner ist.
„Es ist der erste offizielle Tag einer Klassenfahrt, von der sich am Ende keiner so richtig verabschieden will!“
Kali Masi schlagen ein, wie eine Bombe
Nachdem der Donnerstagabend schon ordentlich mit The Sewer Rats aus Köln und Decent Criminal aus Santa Rosa, Kalifornien in der Astrastube gezündet hat, trifft man am Freitagabend, während das Festival an der Elbe bereits im vollen Gang ist, in den Straßen um die Reeperbahn und das Hafenklang, viele bekannte Gesichter: Es ist der erste offizielle Tag einer Klassenfahrt, von der sich am Ende keiner so richtig verabschieden will und die mehr Endorphine in dieser Stadt versprühen wird, als ein einzelner Mensch reproduzieren kann. Es ist ein lauer Sommerabend, der mit einem vernünftigen Kaltgetränk in der Hand verspricht, dass der Tausch von Festivalbändchen gegen Alltag die beste Entscheidung der letzten Monate sein wird.
Kali Masi gehören zu den Bands, die für das Booze Cruise Festival erstmalig nach Europa kommen und sind neben ihren Kollegen von New Junk City vielleicht einer der heißesten Tipps aus Übersee. Richtet man sein Auge nämlich mal eben weg von diesem Wochenende, gibt es nicht so viele Bands in den hiesigen Gefilden, die live so eine unglaubliche musikalische Stärke und Authentizität beweisen, wie diese Band. Kali Masi sind nicht nur in Europa gelandet, sondern sehr sicher direkt eingeschlagen. Chapeau und vielen Dank für diesen (für uns) so großartigen Start in den Freitagabend. Während parallel DeeCracks und Shoreline den Goldenen Salon und das Molotow bespielen machen wir uns auf den Weg zum Menschenzoo.
Bildergalerie: Kali Masi
Die heftigsten, verschwitztesten und schönsten Konzerte
Gute zehn Minuten später treffen wir The Sewer Rats in der Nähe des Menschenzoos. Sowohl befreundete Bands und Künstler, als auch eine ganze Menge Festivalbesucher warten auf die erste The Jukebox Romantics Show des Tages. Der Menschenzoo gleicht eher einer angenehm versifften Kellerkneipe, als einem Festivalvenue und genau das wird diesen Laden am Ende zu dem Club machen, der in Gänze die heftigsten, verschwitztesten und schönsten Konzerte gefeiert hat.
„Punkrock hat unsere Leben gerettet und wird es immer wieder tun!“
Sollte es in diesen vier Tagen einen Zenit gegeben haben, wurde dieser um die Millionen Male überschritten. Aktuell ist die Stimmung ähnlich einer RUF Jugendreise nach Rimini oder Lloret de Mar mit zarten 16 Jahren. Der Pegel arbeitet an seiner Vollkommenheit, man beschnuppert die, die einem erstmalig vorgestellt werden, während sich die, die sich schon eine Weile – gut und besser kennen, entdecken, begrüßen und freuen, so viel gemeinsame Zeit in den kommenden Tagen haben zu werden. Während all des ganzen Socialisings ziehen die ersten Akkorde der New Yorker Band The Jukebox Romantics die Besucher in den Keller der Hopfenstraße zwischen Karaoke Bar und Gun Club. Es dauert nicht lang, bis die Temperatur erneut auf die eines vernünftigen Saunagangs ansteigt und auch die Stimmung nicht besser sein könnte. Die US-Amerikaner sind keine Fremden in der Szene und so fällt es nicht schwer schon bei dieser Show zu verstehen, wie wichtig die beiden Worte „Support“ und „Community“ sind. Oder wie Terry sagen wird „Punkrock hat unsere Leben gerettet und wird es immer wieder tun!“ Terry, Bobby und Norm liefern eine unfassbar gute Punkrock Show ab, füllen den Raum mit zufriedenen und glückseligen Gesichtern und werden diese großartige Show am Ende des Abends doppelt und dreifach toppen.
Bildergalerie: The Jukebox Romantics
Zurück im Hafenklang hat die zweite Red City Radio Show bereits begonnen. Die Band aus Oklahoma City ist gut drauf und der Club an der Elbe angenehm gefüllt. Am Bass des Vierers steht Derik Envy, der neben einem Folk Punk Solo-Projekt auch in Bands wie True Rivals, Unwritten Law, Go Betty Go und The Briggs aktiv ist und war. Sowohl die Musiker, als auch deren Gäste und Fans, haben sichtlich Spaß. Getreu dem Motto des Festivals verlangt das Publikum nach Schnaps für Red City Radio und bekommt ihn gereicht. Zu „Rebels“, einem der Hits der Band, liegt man sich in den Armen, singt gemeinsam und hat schon längst all das, was Alltag definiert, vergessen. Wie nah die Band ihren Fans ist, zeigt sich, als ein Gast mit seiner pavarottizarten Singstimme immer wieder den Song „I´ll Still Be Around“ fordert und Frontmann Garrett Dale sich schmunzelnd ins Publikum begibt, um den Titel, Arm in Arm zu performen – da hat der eine oder andere wohl ein Fünkchen Gänsehaut spüren können. Red City Radio verwandelten das Hafenklang zweimal in den tanzwütigsten Saunabetrieb Hamburgs und starten somit in die After Booze Party im Hafenklang: „If you wanna see me, I’m easily found. At the darkest bar in the corner of a shit-hole town“
Richtige Punks sind nicht aus Zucker
Während Mobina Galore das Molotow auf ganzer Streck von sich und ihrer großartigen Musik überzeugen und Kirsty & Cory Call ein Coverset zu Ehren der Beach Boys im Gun Club spielen, beschenkt uns Hamburg mit seinem schönsten Wetter und der Erkenntnis, dass es an einem verregneten Freitagabend nahezu unmöglich ist, ein Taxi zu bekommen. Während der Himmel klar macht, dass richtige Punks wohl nicht aus Zucker sind, nehmen wir, Pommes sei Dank, frisch gestärkt, die Beine in die Hand und düsen zurück zum Menschenzoo, um das Alkaline Trio Coverset von The Jukebox Romantics zu sehen.
„Hier bin ich Mensch, hier darf ich sein“
Kaum angekommen wird schnell klar, dass Schweiß und Regen am Ende nicht zu unterscheiden sein werden. Mal wieder platzt der Menschenzoo, der mittlerweile Semtex heißt und sich als Kulturkollektiv versteht, aus allen Nähten und macht seinem Namen alle Ehre. Hier sind alle gleich, eine Einheit, eine Gemeinschaft – man feiert die Musik und die Menschen, die man so gerne mag. Eine großartige Party gespickt mit einen Hit nach dem anderen. All das findet in einem absolutem Biotop der Subkultur statt und jeder Einzelne, der sich in dem verwinkelten Kellerclub befindet, gehört genau dahin. Es ist wild und ausgelassen, die Bühne wird vom Publikum geentert, es wird mitgesungen und gegröhlt, angestoßen, gelacht und sich zugeprostet, während der Vierer in all der Enge auf der Bühne alles gibt und die wilde Horde immer und immer weiter anheizt. So hätte Goethe nicht treffendr sagen können „Hier bin ich Mensch, hier darf ich sein“, denn erneut wird klar, dass es diese Musik ist, die die Einzelnen verknüpft und gleichermaßen zusammenhält und -stehen lässt – in jedem einzelnen gelebten Funken Idealismus.