Es ist das Ende der „Niemand wird zurückgelassen“-Tour zum Nummer-eins-Album „Puro Amor“, zu dem die Broilers nach Hannover geladen haben. Neben 20000 Fans haben Sammy, Ines, Andy, Ron und Chris außerdem die Kollegen von der Sondaschule, eine pralle Portion Pathos, Pyros, Emotionen bis das Herz senkrecht steht und eine großartige Setlist im Gepäck. Die Stimmung zwischen der Bahnhaltestelle „Messe Ost“ und der Bühne der Expo Plaza ist ausgelassen und ich vermute stark, dass das nicht nur an der hohen Bierstand – und/oder Erdbeerbowle Dichte liegt. Vielmehr pilgert der hochdeutsch sprechende Raum dieser Republik in einen Abend der nahezu perfekt werden soll.
Immer eine sichere Bank
Wir pendeln uns links vom FOH ein und die Sondaschule aus Mülheim an der Ruhr legt pünktlich und sichtlich motiviert mit „Gute Zeiten“ und „Ich verspreche mir selbst“ los. Das Publikum geht sofort bedingungslos mit. Es ist so ein Abend, an dem die Zeilen „Die Welt gehört uns, jetzt kommen die guten Zeiten“ nicht nur wirres Gewäsch oder ein passender Reim sind. Gefühlt sind nahezu genauso viele Fans der Sondaschule, wie der Broilers da. Da beide Bands die eine oder andere Verknüpfung haben und andererseits mit starken Parallelen durch die letzten 15 Festivaljahre gewachsen sind, ist die große Schnittmenge nicht verwunderlich. Die Sondaschule macht immer Spaß. Das ist einfach völlig ohne Übertreibung immer eine sichere Bank! Hier bekommst du alles, was dein kleines Livemusikherz begehrt: Es wird getanzt, gesprungen und in Chören gesungen. Da geht’s um nichts und alles, aber vor allem natürlich darum, eine gute Zeit zu haben. Passend, dass das Publikum neun Songs später gefragt wird „Bist Du glücklich!?“
Bildergalerie: Sondaschule
Nur nach vorne gehen
Glücklich macht vermutlich auch eine 20.000er-Headline-Show. Und die ist, als Abschluss einer Tour, auf der man über 250.000 Seelen bespielen durfte und besonders, wenn man den Blick ein paar Jahre zurückschweifen lässt, schon echt krass. So erinnert sich Frontstimme Sammy Amara im Verlauf der Show daran, dass Hannover der Ort ist, an dem man im Béi Chéz Heinz gespielt habe. Das war 2007. Mit dabei The Generators. „Vanitas“ (welches heute mit vier Songs vertreten sein wird), hatte es gerade in die Läden geschafft und schlug, dank seiner starken Hymnen, nach kürzester Zeit ein. An eine Tour, wie jetzt und Konzerte in der Größenordnung, war damals wohl so gar nicht zu denken. Schön zu sehen, dass all diese feinen, feinen Menschen vor und auf der Bühne immer noch da sind. So trifft man einige altbekannte Gesichter auf dem Weg durch die Reihen – und, dank des zunehmenden Alters, natürlich auch auf dem mehrmaligen Weg zum Klo. Auch Hymnen werden immer noch geschrieben. Das aktuelle Album hört auf den Namen „Puro Amor“ und ist in der bunt gemischten Setlist mit sechs Songs vertreten. Außerdem geht es mit Liedern der Alben „Santa Muerte“, „(sic!)“, „Noir“, der „La Vida Loca EP“ und „Fackeln im Sturm… Arme Lichter im Wind“ quer durch fast 30 Jahre Bandgeschichte inklusive Medley. Das übrigens, scheint gerade mondän zu sein und kann sich durch das Potpourri aus den Titeln „Anti, Anti, Anti“, „Alles, was ich tat“, „(Ich bin) bei Dir“, „Dumm und glücklich“ und „Zusammen“ durchaus sehen lassen.
Antiquiertes Mackertum
Die Stimmung in unserer Ecke ist ausgelassen und alle haben Lust, die Songs in die warme Abendluft zu singen. Bis sich ca. 15 Minuten nach Start und steigendem Alkoholpegel vermehrt unkontrollierte Moshpits durch die Menge schieben müssen. Die Szene gleicht dem Treiben eines Zookäfigs männlicher Primaten. Rücksichtlos und unkontrolliert mackern sie sich von links nach rechts, es wird gepresst, als spiele Mann Schneeschieber, die Fäuste werden geballt, Testosteron drückt sich aus jeder Pore und man verschüttet Bier, als hätte es nie ein Reinheitsgebot gegeben. Um ehrlich zu sein, war ich auch nur halb verwundert, als sich dann noch zwei Onkelz Shirts in mein Blickfeld schoben und sich in den vielleicht untalentiertesten Pit des Abends schoben. Nehmt es mir nicht übel, aber all das kotzt mich richtig an. Ihr, die Männer, die sich durch meine letzten Sätze hoffentlich angesprochen fühlen, machen dieses wunderschöne Konzert für mich und andere Frauen und Männer fürchterlich anstrengend. Ich habe nichts gegen einen gepflegten Moshpit und auf die Melodien und Geschwindigkeiten der Broilers Songs kann man sich in bester Manier durch einen solchen schunkeln. Aber ich habe beim besten Willen keine Lust mehr, mich durch ein Konzert zu knüppeln, als würde der Poltergeist höchstpersönlich das Publikum mit Fakeln in der Hand zu den Klängen von Whitechapel antreiben.
Auf die Gemeinschaft
Mit ausgefahrenen Ellenbogen versuche ich dieses Geschehen weitestgehend auszublenden und mich auf den Verlauf der Show zu konzentrieren. Sammy Amara betont immer wieder, wie schön es ist, den heutigen Tourabschluss in Hannover zu feiern. Vor der Bühne beobachte ich Frauen und Kinder auf den Schultern ihrer Begleitungen und Eltern, es werden Flaggen geschwenkt und auch ein Junggesellinnenabschied scheint sich in die Menge gemischt zu haben. Die Interaktion mit dem Publikum funktioniert einwandfrei und so performen Band und Gäste sowohl in den Knien, als auch beim Stimmgewalttest eingespielt. Es ist eine besondere Stimmung. „Es geht nur gemeinsam“ beschwört Amara die Gemeinschaft – eine Sache, die schon immer ein wichtiges Element im Kosmos der Düsseldorfer war. Außerdem erzählt er, um den Song „Alice und Sarah“ anzukündigen, wie es in seinem Hausflur nach schwerem alte Leute Parfüm und Perlenohringen roch und er Alice Weidel, die unbedingt mit ihm über den Song sprechen wollte steckte, dass ihre Gurkentruppe „eine katastrophale Scheiß Partei“ sei und sie sich verpissen solle. Zwei Songs später brachen während „Ihr da oben“ alle Bäche und Amara gab sich spürbar authentisch seinen Emotionen hin. Während Schlagzeuger und Kumpel Andi Brügge den Gesang für einen Moment übernahm, schnürte sich ein fest verbundenes Band um die Band und all die Menschen im Publikum, die diesen irre positiven Moment der Trauer fühlen sollten und wollten.
Pure Liebe!
Es ist Zeit sich in den Armen zu liegen, pathosgeschwängerte Texte zu singen, sich miteinander im Takt der Publikumschöre zu drehen und durchzuatmen. So eine Show an einem Freitag ist, wie ein persönliches Softwareupdate. Es ist fast so, als würde dieser Abend einem ein bisschen Energie zurückgeben. Bester Moment also, als Sammy Amara vor „Held in unserer Mitte“ Circle Pits auf dem ganzen Gelände beschwört und kurze Zeit später seinen Bandgründungs Kumpel Andy zum Schlagzeug-Solo einlädt. Nach dem a-ha Cover „Take On Me“, „33 rpm“ und „Meine Familie“ geht es auf das Ende des ersten offiziellen Blocks zu. Licht aus. Das Backdrop fällt. Licht an und „Singe, Seufze & Saufe erklingt. Wieder eine der vielen Hymnen. Die Stimme wird langsam kratzig, aber die Endorphine drehen sich mindestens genauso oft und schnell, wie Ines und Ron auf der Bühne ihre Kreise ziehen. „Nicht alles endet irgendwann“ und das ist gut so! Gut nämlich, wenn man Songs hat, die die wichtigen Fragen eines Konzertes auf den Tisch legen: „Tanzt du noch einmal mit mir?“ wird direkt vom Publikum abgeklatscht. Super gern für immer, denn es ist einer dieser Abende, die nie enden dürfen. Es wäre sogar einer derden perfekten, würde nicht ständige besoffene DNA vor oder in mich fallen. Das Licht geht wieder aus. Pyro zündet. „Nur nach vorne gehen“ hallt über das Messegelände in die Stadt. „Meine Sache“ ist Grundgesetz, wenn Chris Kubczak diesen feinen, feinen Menschen ein Ständchen bringt und die Broilers aus Düsseldorf kurze Zeit später ein weiteres Kapitel Bandgeschichte mit „Blume“, ihrem allerersten Song und einem wunderschönen Höhenfeuerwerk, beenden. Das macht Gänsehaut, denn diese Geschichte ist pure Liebe!