Vielleicht getreu dem Motto „Wenn das Schreien nicht mehr hilft, versuchen wir es sanft“ veröffentlichen nicht nur Rise Against ihre „Ghost Note Symphonies“, sondern auch Face To Face mit „Hold Fast (Acoustic Sessions)“ ein Akustikalbum ihrer größten Hits der bisherigen Bandhistorie. Neu daran ist tatsächlich nicht nur, dass es das in den vergangenen 27 Jahren bei den Kalifornieren nie gab, sondern auch, dass sich nicht mehr nur der Frontmann einer Combo mit seiner Gitarre bewaffnet und auf einen Tresenhocker in den Lichtkegel eines Venues setzt: Jetzt wird direkt die ganze Band einpackt. Das Ergebnis wirkt angenehm rund und kann sich auf jeder Ebene sehen lassen – Aber nicht zu viel vorweg!
„An acoustic record is something we never would have done in 1994 because it wasn’t ‘punk rock’ then, but the world has changed, our supporters have changed, we’ve changed, and the timing just feels right.”
„I have given up the demons. I’ve made up a hundred reasons. I have turned my back on everything I knew“, startet die im Original schon eher seichte Hymne „All For Nothing“. Getragen von nur den wichtigsten, in die Saiten massierten Akkorden, unterstreicht die Neuinterpretation die Dramatik und den Wechsel von Verzweiflung zu Zuversicht des 2011er Songs. Erwartet man sonst doch die größten Hits eher am Ende einer solchen Bonusplatte, geht es hier direkt weiter mit einem der größten Face To Face Hits „Disconnected“. Man ertappt sich schnell dabei, wie die Frage aufkommt, ob die Herren je was anderes gemacht haben. Kurz bei Spotify überprüft, wie das Original umgesetzt war und direkt das bittere Erwachen, kaum mehr daneben liegen zu können. Da kann nur den Hut vor den Akkustikarrangements ziehen.
Die Neuinterpretationen geben dem Songwriting eine ganz neue Stärke und lassen jeden einzelnen Titel in einem sehr besonderen Licht glänzen
Auf „Hold Fast (Acoustic Sessions)“ geht es quer durch die Diskografie der Band aus Kalifornien. Dabei ist mit dem Song „Don’t Turn Away“ aus dem Jahr 1992 bis „Keep Your Chin Up“ vom 2016er Album „Protection“ eine große Bandbreite vorhanden. Wirklich faszinierend daran ist, dass – nimmt man die charakterstarke Stimme Keith´s mal raus – die Kalifornier es schaffen, die zehn Songs auf ihr Wesentliches zu minimieren, ohne ihnen ein Gramm ihrer Seele zu nehmen. Ganz im Gegenteil: Die Neuinterpretationen geben dem Songwriting eine ganz neue Stärke und lassen jeden einzelnen Titel in einem sehr besonderen Licht glänzen. Auch die Stimme von Trever Keith kann nochmal von einer ganz neuen Seite beleuchtete werden. Charakterstark und eingängig wie eh und je fesselt sie den Zuhörenden während des hochemotionalen Erzählvorgangs der selbstverfassten Texte.
„…our songs, when stripped down, had a really cool identity that didn’t exist the way that we play them as a full band, punk-rock style“
Der Face To Face Frontmann Keith erklärt die Idee zum Akustikalbum folgend: „During last year’s Econo-Live tour, we included a VIP package for the first time ever. I wanted to do something more than just signing autographs or taking pictures, so we added an acoustic set every night before the show. What came out of that experience was this realization that our songs, when stripped down, had a really cool identity that didn’t exist the way that we play them as a full band, punk-rock style. We started to notice this connection with the people who were watching, and we started thinking, ‚Maybe we should record this.'“
Da ist es doch völlig legitim, dass der alte Punk auch mal ruhiger wird
Face To Face gibt es immerhin schon 27 Jahre. In dieser Zeit prägten sie die Westküsten-Melodic-Punk-Szene wie keine andere Band. Da ist es doch völlig legitim, dass der alte Punk auch mal ruhiger wird. Wenn man dann zusätzlich im Hinterkopf wachrüttelt, dass auch die Kollegen von Anti-Flag für den Herbst ein Akustikalbum angekündigt haben, kann man fast drüber nachdenken, die, wie eh und je verstaubten Kuschelrock-Whatever-Hits neu und in cool zu veröffentlichen – japp, da darf der Punk auch mal romantisch werden oder wie Keith weiterführend sagt: “We’re a band that isn’t afraid to try new things and stretch out beyond what people define as punk rock – it’s part of our career ethic and something we will never change. An acoustic record is something we never would have done in 1994 because it wasn’t ‘punk rock’ then, but the world has changed, our supporters have changed, we’ve changed, and the timing just feels right.”