„I want to dance, I want to dance, I want lust, and love and a smattering of romance…„, eröffnet Frank Turner sein Set allein vor einem riesigen FTHC-Banner auf der Bühne des Capitols. Eingefleischte Fans haben vermutlich schon längst die Idee, dass dies der beste Song für den Start nach diesen zwei fürchterlichen Jahren sein muss. Kurze Zeit später gesellen sich die Sleeping Souls auf die Bühne, der Song gewinnt an Tempo und Turner schmettert „Heigh ho, heigh ho, heigh ho! We’re heading out to the punk rock show! Colleagues and friends condescend with a smile. Yeah, but this is my culture. Man, this is my home!“
Frank Turner himself war es, der uns im Bereich der Hallenshows in den Lockdown schickte. Klingt komisch, aber die letze Hallenshow für uns war tatsächlich Frank Turner in Gepäck der Dropkick Murphys in der damaligen Swiss Life Hall. Keine zwei Wochen später verstummte die Livemusik für eine viel zu lange Zeit. Was für ein schöner Zufall also, dass wir nun im Bereich des kommerzialisierten Punkrocks auch mit eben diesem umtriebiger Live-Künstler, der die Dropkick Murphys vor zwei Jahren als seine Supportband ankündigte, diese Zwangspause beenden.
Pure Euphorie
„It´s good to be back„, wird der meist geschriebene Satz sein, der in Kombination der Hashtags #frankturner und #hannover in den nächsten Stunden durch die Storys der Besucher:innen dieses Abends gehen wird. Um ehrlich zu sein, ist es auch der ehrlichste und authentischste Satz und beschreibt ein Gefühl, was hundertprozentig alle haben. Wie heftig man einfach Endorphine spüren kann. Wie viel Leben ein Circle Pit bedeutet und wie glücklich das Glück in völlig fremden Gesichtern machen kann: Eigentlich merken wir jetzt erst, wie sehr wir die Livemusik am Ende doch vermisst haben – It´s good to be back!
Turners Energie hat die Pandemie allerdings gefühlt nichts genommen. Der Gentleman des Punkrocks performt, als hätte es das Gestern, Vorgestern und vor allem das Morgen nie gegeben. Es fegt über die Bühne, beugt sich zu seinen Fans, begrüßt und feiert sie immer wieder und ist zusehends euphorisch wieder auf den Brettern zu stehen, die die Welt bedeuten. Als er sich danach erkundigt, wer an diesem Abend zum ersten Mal auf einer Show ist, wird schnell klar, dass heute Abend irgendwie eine neue Zeitrechnung geschrieben werden kann. Mit im Gepäck hat Turner einen neuen Schlagzeuger in den Reihen der Sleeping Souls. Callum Green ist noch ganz frisch dabei und nicht nur zum ersten Mal mit auf Europatour, sondern auch das erste Mal in Hannover. Auch die Supportband Pet Needs aus England stellt der Troubadour als Freunde vor und erzählt dem Publikum, wie großartig er diese energiegeladene Band findet.
Bildergalerie: Frank Turner & The Sleeping Souls
Den Song „Non Serviam“ kündigt der Musiker mit den Worten „I want you to get fuckinge crazy for the next song“ an und berichtet, dass es der einzige richtige Punkrocksong auf seinem neuen Album „FTHC“ ist. Passend dazu erinnert er sich an das deutsche Wort „Springen“ welches an diesem Abend das pure Lebensgefühl beschreibt. Selbst der Balkon des Capitols kommt nach kurzer Zeit in Bewegung, was ein fast überwältigendes Bild aus unserer Perspektive zeichnet. Auch der Song „Miranda“ hat eine sehr persönliche Geschichte und so berichtet Turner über seinen Vater, zu dem er unfassbar viele Jahre eine echt schlechte Beziehung hatte, die sich erst nach dessen Transformation zu Miranda anfing zu verändern. Jetzt sein die beiden Freunde. Das Publikum feiert den Song tanzend und Turner reagiert mit einem Kuss auf seinen Bizeps – was für eine wundervolle Interaktion.
Echte Menschen, keine verdammten YouTube Kommentare
Circle Pits, Growdsurfing, Springen, Chöre, Tanzen – heute gibt es alles und davon viel. Die ausgehungerte Bande tankt das Livemusiklevel auf, das wird deutlich und macht Gänsehaut. Vielleicht is es das Schönste, was seit langer Zeit zu beobachten war und wird eigentlich nur durch den Publikumschor „And we’re definitely going to hell, but we’ll have all the best stories to tell“ aus dem Klassiker „The Ballad of Me and My Friends“ weiter untermauert. „Das ist für Euch alle„, erzählt er von den vielen Jahren als tourender Musiker, „weil ihr immer noch hier steht„. Kurze Zeit später stimmt er „Long Live the Queen“ an. So ganz abzuwerfen ist die Pandemie sehr sicher noch lange nicht, so geht es auch Turner, wenn er erzählt „The last two years were really fucking shit! Aber ich will gar nicht so viel darüber reden und es ist so gut, wieder auf Tour zu sein und das beste ist, ich schaue auf und ihr seid echte Menschen und keine verdammten YouTube Kommentare. Habt ihr das vermisst?“ Das Publikum jubelt ihm bejahend zu und Songs wie „Be More Kind“, „I Knew Punkrock Before He Got Famous“, „The Next Storm“, „Out of Breath“ und „Recovery“ folgen.
Es ist so schön
Alle sind völlig aus dem Häuschen und ich könnte noch Stunden darüber schreiben, wie schön es ist. Nach den obligatorischen Rufen nach der Zugabe verspricht Frank Turner „Hits till the end of the evening“. Man sieht ihm an, dass er überwältigt ist (und einen Tropfen zu viel Schweiß im Auge hat) und es folgen die Songs „A Wave Across A Bay“, „Get Better“, „Try This at Home“ und „I Still Believe“. Somit feuert der Brite mit über 25 Songs aus 17 Jahren Solokünstlertum ein ordentliches Brett und ein mehr als herzliches „welcome back“ in Hannover ab – Oh, who’d have thought that after all, something as simple as rock ’n‘ roll would save us all!?