Westliche Maßlosigkeit und Unersättlichkeit, die menschliche Dummheit und der Abgrund, an dem die Erde steht: Was sich anhört wie die neuen Todsünden, ist heute präsenter denn je. Auch die Norweger Kvelertak sind ordentlich angepisst – und machen ihrer Wut auf ihrem neuen Album „Splid“ Luft. Herausgekommen sind elf energiegeladene Songs, in denen es eine elementare Veränderung in der Band gibt: Frontmann Erlend Hjelvik verließ die Band 2018 für die Fans überraschend und hat das Mikrofon an Ivar Nikolaisen übergeben.
„Wer sich darauf einlassen kann, dem Kvelertak-Sound auch neue musikalische Ebenen zu gewähren, wird in „Splid“ vielleicht sogar einen Anwärter auf das Album des Jahres finden.“
Alte Bekannte
Nikolaisen ist in der Welt von Kvelertak allerdings kein Unbekannter: Schon lange ist er mit der Band befreundet, begleitete sie bereits mit seiner Band Silver auf Tour
und ist einigen sicherlich auch als Teil von The Good The Bad And The Zugly bekannt. Auch stimmlich mischte er bereits bei Kvelertak mit. So tauchte er 2011 als Gastsänger im Hit „Blodtørst“ vom selbstbetitelten Debüt der Band auf. „Nachdem Erlend die Band verließ, hatten wir anderen nicht das Gefühl, schon alles gegeben zu haben. Es fühlte sich an, als läge unser bestes Album noch vor uns. Wir waren fest entschlossen, unseren Weg auch ohne ihn weiter zu gehen“, kommentieren die Norweger.
Schon auf dem Vorgänger „Nattesferd“ kündigte sich an, dass Kvelertak im Gegensatz zu „Meir“ und bereits erwähntem Debüt deutlich seichtere Klänge anschlagen. Während sich die Songs auf den ersten beiden Alben noch Hurrikaneartig im Metal-Gewitter entluden, hat sich der große Sturm sowohl auf „Nattesferd“ als auch jetzt auf dem neuen Album „Splid“ weitestgehend verzogen. Das heißt allerdings nicht, dass Kvelertak sowohl auf „Nattesferd“ als auch auf „Splid“ keine starken Songs auf Platte gebracht haben.
Weniger brachial, aber nicht weniger angepisst
Natürlich kommt man nicht umhin, den gesanglichen Part zumindest kurz für einen Vergleich heranzuziehen. Wie es Nikolaisen selbst ausdrückt: „Ich werde nicht versuchen, Erlend zu kopieren. Erlend ist ein Löwe. Ich bin nur eine kleine Ratte.“ Damit macht sich der neue Frontmann allerdings definitiv kleiner als er ist, denn auch wenn seine Shouts weniger brachial als die von seinem Vorgänger sind, ist er eindeutig nicht weniger angepisst.
Zugegeben, gerade dieses Ungestüme der ersten beiden Platten machten Kvelertak so interessant. Nun wird eher auf Variabilität gesetzt und eine deutlich rockigere Richtung eingeschlagen. Dabei gibt es Ausreißer wie „Uglas Hegemoni“, der sehr post-punkig daherkommt. Vorabsingle „Bråtebrann“sticht mit choränlichen Gangvocals hervor, generell lassen Kvelertak dem Oldschool Punk auf der Platte mehr Raum. Trotzdem macht der (durchweg starke!) Opener „Rogaland“ unmissverständlich klar, dass es sich um Kvelertak-Songs handelt. Gleiches gilt für den darauf anknüpfenden Track „Crack Of Doom“, für den Kvelertak Unterstützung von Troy Sanders von Mastodon bekommen. Wer die Band kennt, erkennt gleich den unverwechselbaren Sound, bei dem wie auf den Vorgängeralben Kurt Ballou von Converge seine Finger mit im Spiel hat.
Heraus aus dem Delirium
Ein Highlight des Albums ist sicherlich der Song „Delirium Tremens“ – hier spielen Kvelertak ihre Hörer thematisch passend zum Titel gar schwindelig: Delirium Tremens bezeichnet ein alkoholbedingtes Delirium, das mit teils lebensbedrohlichen Symptomen einhergeht. Und genau in diesem Delirium befindet man sich auch in den rund acht Minuten, die der Song zählt.
Zu sagen, dass Kvelertak mit „Splid“ ein neues Kapitel ihrer Bandgeschichte aufschlagen, ist also nicht nur durch Ivar Nikolaisen ein Thema. Wer sich darauf einlassen kann, dem Kvelertak-Sound auch neue musikalische Ebenen zu gewähren, wird in „Splid“ vielleicht sogar einen Anwärter auf das Album des Jahres finden.
Video: Kvelertak – Crack Of Doom (feat. Troy Sanders/Mastodon)
Release: 14. Februar 2020
Label: Rise Records