Lysistrata in Hannover

Lysistrata live am 08.06.2019 im Lux Club in Hannover
Foto: Jenny Bank

In Frankreich werden Lysistrata bereits ziemlich gefeiert. So erfreulich das für eine Band dieses Subgenres auch ist, so überrascht es, dass die Kategorien Math-Rock, Noise und Post-Rock eher selten massentauglich sind. In Deutschland wurde bislang eher verhalten Notiz von der Kapelle genommen. Entsprechend überschaubar ist das Publikum an diesem Freitagabend in der Rockcity Hannover.

„Was auf der Bühne von den drei Anfang Zwanzigjährigen geboten wird, treibt mir bisweilen die Schamesröte ins Gesicht, führen mir die Fertigkeit und Energie der Band doch schmerzhaft vor Augen, was man selbst in diesem Alter musikalisch alles verbrochen hat“

Erfrischende, unkonventionelle Songstrukturen

50 bis 60 Seelen sind zugegen, als das Trio um halb neun zu den Instrumenten greift. Vielleicht haben die Menschen bei 24 Grad Außentemperatur an einem Freitagabend besseres vor, als sich in einen dunklen – sich dem Tageslicht quasi per Naturgesetzt verschließenden – Club zu begeben. Nun ist es aber nicht allein dem schönen Wetter in die Schandale zu schieben, denn ein ernüchternde Einsicht nach 20 Jahren Punkcollege lautet: Was die selbsternannte „Szene“ nicht kennt, das hört sie nicht – zumindest nicht sofort. Lieber zieht es sie in die sicheren Häfen der üblichen Branchengrößen oder wahlweise deren Kopie beziehungsweise der Kopie, der Kopie, der Kopie. So schön Musik auch ist, häufig langweilen Künstler wie Anhänger gleichermaßen, die sich gebetsmühlenartig an den immer selben öden Plattitüden abarbeiten, der See huldigen – weil 2007 mit der Fähre nach Dänemark gefahren und sich damit ja auch ein bisschen wie ein Seebär bzw. Seebärin fühlen wollen – die Freundschaft besingen, die Drogen verfluchen und den Herzschmerz mit Welt teilen wollen. Wird sich hier bald mal zur Sache geäußert, Herr Protokollant?

Geradezu erfrischend kommt deshalb das Trio aus dem Südwesten Frankreichs daher. Wie für dieses Subgenre nicht ungewöhnlich, zeichnen sich Lysistrata durch eher unkonventionelle Songstrukturen aus und lösen sich weitgehend von schlichten Strophe-Refrain-Strophe-Refrain-Bridge-Refrain-Mustern. Bei einer durchschnittlichen Bearbeitungslänge von etwa acht Minuten verwundert es deshalb auch nicht, dass an dem Abend lediglich sechs bis sieben Songs im Rahmen eines 42-minütigen Sets zu Besten gegeben werden. Diese verlangen den Ohren der überwiegend männlichen Zuhörerschaft jedoch einiges ab. Die Haare in Nase und Ohren kitzeln bei den tiefen Bassfrequenzen und ich bin froh, dass ich mir ein Stückchen Taschentuch in die Lauschöffnungen stopfen kann, um mir den Genuss von Konzertbesuchen auch noch im höheren Alter zu erhalten. Schließlich ist Nachhaltigkeit das Gebot der Stunde.

Bildergalerie: Lysistrata

Wir sind hier schließlich nicht bei den Scorpions…

Was auf der Bühne von den drei Anfang Zwanzigjährigen geboten wird, treibt mir bisweilen die Schamesröte ins Gesicht, führen mir die Fertigkeit und Energie der Band doch schmerzhaft vor Augen, was man selbst in diesem Alter musikalisch alles verbrochen hat. Diejenigen, die sich im Vorfeld mit dem Material der Band auseinandergesetzt haben, werden den einen oder anderen „Hit“ vermisst haben. So passt es zum eigensinnigen Charakter der Interpreten, dass das Set zur Hälfte aus gänzlich neuem und damit dem Publikum unbekanntem Material besteht und in einem fünfzehn Minuten dauernden Noise-Gewitter mit „Sugar & Anxiety“ vom aktuellen Album „The Thread“ endet. Nach dem apokalyptischen Schlusspunkt werden dennoch vereinzelt Zugaben erwartet, diese jedoch nicht gewährt – schließlich sind wir hier nicht bei den Scorpions!

Alles was ich über die Band noch zu schreiben wüsste, ist durch einen der zahlreichen Live-Mitschnitte bestens belegt, die ich hiermit an die Herzen lege:

Text: Sebastian Matthes