Der Kalender verkündet ein gegenüber den letzten Wochen erstaunlich ereignisloses Wochenende in Hannover. Keine Messen, kein Open-Air, keine Stürme, keine Katastrophen, stattdessen lädt das idyllisch am Ufer der Ihme gelegene Lux zu einem Tanzabend der etwas anderen Art, und sowohl beim Headliner Mister Misery als auch dem Opener Gaztrea ist klar: heute gibt’s auf die Ohren UND auf die Augen!
„So geht Unterhaltung, meine Damen und Herren!“
Musikalische Wundertüte
Pünktlich zum Einlass bewegt sich bereits ein stattlicher Pulk durch die Eingangspforte, so dass nach einer guten halben Stunde bereits sowohl Raumtemperatur als auch die Anstehzeit am Tresen eine wahrnehmbare Steigerung erfahren. Nach dem ersten Getränk und einer kleinen Sondierungsrunde ist es dann soweit, und Gaztrea betreten um Punkt 20.00 Uhr die Bühne.
Optisch und konzeptionell der Tradition von japanischen Bands aus dem Visual-Kei-Segment verhaftet und musikalisch mit einem vielseitigen Mix aus Metalcore, Pop, Goth Rock und Screamo heizen die Hamburger binnen Minuten die Stimmung derart an, dass man sofort versteht, wieso sie vom Orkus-Magazin im letzten Jahr zum Newcomer des Monats Juni gekürt wurden: tighte Gitarre, wuchtiger Bass, knackige Drums und über allem thronend Sänger Kal mit einem mix aus Shouting, clean Vocals, angetäuschten Ausflügen in Opernbariton-Gefilde und garniert mit gelegentlichen, ultrahohen Screams (zum Beispiel bei “Athena”), die so manchen Power Metal-Sänger unbarmherzigst deklassieren. Klar, dass ob dieser musikalischen Wundertüte es nur wenige an der Bar hält und vor der Bühne alles rappelvoll gepackt ist. Nach gut 40 Minuten inklusive Zugabe ist der Zauber dann leider schon vorbei, die Kinnladen werden wieder hochgeklappt und man bereitet sich auf den Headliner vor. Definitiv eine Band, die man im Auge behalten sollte!
Bidergalerie: Gaztrea
[supsystic-gallery id=431]Eine beeindruckende Performance
Kurze Verschnaufpause, Umbau auf der Bühne, die dekorativen Grabsteine aufgestellt und weiter geht’s mit Mister Misery aus Stockholm. Man merkt den vier Schweden nicht an, dass dies der vorletzte Gig der “Unalive”-Tour ist und sie bereits 3 Wochen kräftezehrende Road-Action hinter sich haben. So frisch und unverbraucht präsentieren sich die untoten Jungspunde mit ihrem eigenwilligen doch stets ohrenfreundlichen Konglomerat aus Horrorpunk, Modern Rock, Gothic Metal und Tim-Burton-Soundtrack. In Verbindung mit der optischen Präsentation des Ganzen (man denkt sich beinahe, die Jungs seien aus dem Set von “The Crow” geflüchtet, in der Umkleide noch mit den Misfits versackt und dann durch einen Slipknot-Videodreh gestolpert) ergibt sich ein äußerst schlüssiges, atmosphärisches Gesamtbild, das durch die intime Clubatmosphäre des Lux nur noch unterstützt wird.
Tatsächlich reiht sich potenzieller Hit an Hit, hervorzuheben in der Performance besonders die ohne Sampler-Unterstützung live herausgehauenen, teilweise bis zu vierstimmigen Chorgesänge, die doppelläufigen Gitarrenleads von Harley Vendetta und Alex Nine sowie der mit einem permanenten, durch das Make-Up nur noch verstärkten manischen Grinsen verstörend glänzende Rizzy an den Drums, während Basser Eddie Crow als ruhender Pol den Kontrapunkt setzt und als Fundament fungiert. Außerdem hat man mit dem grandiosen und live nochmal drei Ecken heißer zum Abgehen animierenden “My Ghost” den wohl ultimativen Geisterbahn-Soundtrack für 2020 geschaffen. Dies zeigt sich auch dadurch, dass sich an diesem Abend eine erstaunliche Menge der Fans in einfallsreich gestaltetem, von der Band inspiriertem Make-Up und Kostümierung zeigt. So geht Unterhaltung, meine Damen und Herren!
Bildergalerie: Mister Misery
[supsystic-gallery id=430]Text von Robert Helle