Eigentlich aktuell in der Livepause, unterbrechen Nathan Gray und seine Mannen von Boysetsfire am vergangenen Wochenende diese und veranstalten die zweite Runde des mehr als beliebten Family First Festivals in Köln. Am darauffolgenden Sonntag beehrt der Musiker aus Dalaware im Alleingang die ausverkaufte Warenannahme des Kulturzentrum Faust in Hannover. Mit seinem neuesten Soloalbum „Feral Hymns“ im Gepäck schenkt er seinen Gästen einen Abend voller Größe, Gefühl und Leidenschaft – einen Abend mit Nathan Gray.
Ohne Support betritt Nathan Gray um kurz vor halb neun die Bühne der Warenannahme. Ein ungewohnter Anblick: Die Sitzplätze des Venues sind schon lange vor Beginn der Show vollständig besetzt. Auf dem Boden haben sich einige Fans niedergelassen und andere stehen am Rand, unterhalten sich und fiebern gespannt und gut gelaunt der anstehenden Show entgegen.
Bester Laune startet Nathan sofort in eine über den gesamten Abend anhaltende Interaktion mit seinem Publikum. Er scherzt und überlegt, dass es witzig wäre, wenn er einfach wieder gehen würde. Der umtriebige Musiker, der neben seiner Hauptband Boysetsfire auch aus Projekten wie The Casting Out, I Am Heresy und dem Nathan Gray Collective bekannt ist, füllt den Abend ab der ersten Sekunde mit einer sehr persönliche Note.
Mucksmäuschenstill wird es, wenn Nathan Gray die Saiten seiner elektrischen Gitarre anspielt
Schnell noch die Gitarre stimmen und dann geht es los, denkt man. Doch das Stimmen der Gitarre wird immer mal wieder für den einen oder anderen Schmunzler sorgen – diese will nämlich definitiv nicht ganz so, wie der Gastgeber und klingt sogar ein bisschen wie Goofy. Nathans Stimmkraft bestätigt sich schon in den ersten Sekunden des Albumopeners „As The Waves Crash Down“ vom aktuellen Werk „Feral Hymns“. Mehrmals wird der Zuhörende an diesem Abend Gänsehaut spüren können: Sanft und nachdenklich starten die Songs, um sich dann in einer unglaublich mitreißenden Atmosphäre auszubreiten. Mucksmäuschenstill wird es, wenn Gray die Saiten seiner elektrischen Gitarre anspielt. Das Publikum hängt ihm gebannt an den Lippen. Würde er abrupt die Musik einstellen, könnte man ohne große Schwierigkeiten eine Stecknadel fallen hören.
Das geht auch an Nathan nicht vorbei. Immer wieder springt er zwischen seine Gäste und bedankt sich. Er bedankt sich dafür, dass sie gekommen sind und ein Teil dieses Abends sind. Aber nicht allein weil sie da sind, sondern weil sie wirklich in allen Qualitäten anwesend sind und ihn und besonders Boysetsfire – in über zwanzig Jahren – immer wieder unterstützten. Es ist deutlich spürbar, dass es das ist, was ihn glücklich macht. Ein bisschen schließt sich da wieder der Kreis, denn auch Gray macht nichts einfach so. Jeder Song hat eine Story, Erinnerung und oft einfach auch ein persönliches Erlebnis, welches der Sänger über seine Musik verarbeitet. Gray hat was zu sagen – zwischen und in seinen Songs.
Es ist der perfekte Sonntagabend
Manchmal gehe es wie in „Walk“ darum, dass es wichtig sei, mit sich selbst gut auszukommen, da es immer sein kann, dass Du Dir den Arsch aufreißt und andere das überhaupt nicht interessiert. „Bei meinen Kindern ist das echt so“, scherzt der Musiker. Ernste Themen ummantelt er mit einer sehr angenehmen Portion Humor und lässt sie trotzdem nicht an Bedeutung verlieren. Hier zeigt sich eine klare Fähigkeit Grays, denn wenn er eins transportiert, dann die Message, dass einem echt viel Unglück passieren kann. Dass man jedoch gleichermaßen selbst verantwortlich ist, das eigene Leben zu gestalten und mit positiven Dingen zu füllen.
„Light & Love“ sei ein ganz besonderer Song für ihn. Es geht darum, das Glück zu haben Menschen zu finden, die einen nicht einfach nur nah sind, sondern die ganz genau verstehen wer man ist. Die Dich auch in Deinen schlechten Tage und dunklen Stunden aufbauen und diese zu besonderen Zeiten machen. Weil Du ganz genau weißt, dass sie Dich jeden Tag mit der gleichen Intensität lieben. Nathan gibt über den Abend viel Preis. Schnell entsteht das Gefühl, dass man ein Teil dieser Show unter alten Bekannten sein darf. Authentizität wird nicht nur groß, sondern dick und fett in Druckbuchstaben geschrieben. Es ist der perfekte Sonntagabend und kleine technische Pannen machen das ganze Erleben umso sympathischer.
Mit der Veröffentlichung von „Echos“ präsentierte der Künstler eins seiner ersten Videos. Der Titel ist der erste, den er für sein Solodebüt schrieb. Er stelle für den Musiker einen klaren Abschluss zu seiner Vergangenheit und besonders mit konventionellen Religionen dar. Andererseits habe ihm dieser Bruch auch genau die Kraft gegeben, die er nutzt, um sich musikalisch so ausleben zu können.
Nathan Gray ist mit jeder Anekdote, jeder Geschichte, jeder Wahrheit und jedem wohlgemeinten Rat mehr als nah an seinen Gästen
Mit dem Cover „Leap Year of Faith“ der Band Red Tape Parade gedenkt Gray seinem an Krebs verstorbenen Freund Wauz. Er erzählt, dass es schrecklich sei: Da könne man sich natürlich an die ganzen guten und positiven Seiten und gemeinsamen Geschichten um den Menschen erinnern und das sei auch mehr als wichtig, aber trotzdem bringt ihn Dir keiner zurück. Manchmal sei Musik dann einfach die einzige Spiritualität die man habe, wenn man sonst an nicht mehr viel glauben kann.
Ob es darum geht, dass es wichtig ist, die eigenen Ängste zu besiegen und für sich einzustehen oder Nazis „die Fresse zu polieren“. Dass man sich fühle, als hätte man eine Armee hinter sich, wenn man mit seiner Band die Bühne betritt. Dass man im Vergleich jede Regung wahrnimmt, wenn man allein vor einem Publikum steht. Dass das amerikanische und deutsche Publikum echt unterschiedlich agiert und reagiert oder wie unfassbar aufregend es sei, sich die Stimme aus der Seele zu schreien und so viel Unterstützung seitens des Publikums zu erfahren. Nathan Gray ist mit jeder Anekdote, jeder Geschichte, jeder Wahrheit und jedem wohlgemeinten Rat mehr als nah an seinen Gästen.
So nah, dass er nach der Zugabe des Boysetsfire Covers „Phone Call (4AM)“ erneut die Bühne verlässt und in den Besucherraum geht. Persönlich und mit Handschlag verabschiedet sich Gray von seinen Fans, um direkt zum Merchandise durchzustarten. Ohne Pause werden Fotos geschossen, Autogramme verteilt und kurze Gespräche geführt. Es gibt wenige Künstler, die so echt, so dankbar und so ehrlich mit sich und ihrer Arbeit wirken. Chapeau und vielen Dank für diesen wirklich beeindruckenden Abend!