Da ist sie wieder, eine der markantesten Stimmen in Hardcore und Punk: Nathan Gray auf Album Nummer zweieinhalb seiner neusten Inkarnation. Der Mann ist schon lange im Geschäft und hat sich so ziemlich überall ausprobiert: Zuvorderst natürlich als Frontmann von Boysetsfire, einer der einflussreichsten Hardcore-Bands der frühen Jahrtausendwende, dann mit seinem Pop-Punk-Projekt The Casting Out, gefolgt von bitterbösem und blasphemischen Metalcore mit I Am Heresy. Letztere führte zu einer Phase ausgesprochener Religionskritik und Liebäugelei mit Satanismus und allerlei Okkultem, während der er kontroverse Aussagen traf, die ihm auch szeneintern einiges an Kritik einbrachten. Sein musikalischer Output als NTHN GRY war dementsprechend düster, elektronisch und sperrig.
Punk, der zwischen Folk, Indie und Heartland-Rock changiert
Mit „Feral Hymns“ folgte dann ein erstes Album unter seinem vollen Namen, das aber zum Großteil aus recycletem Material bestand. Erst mit „Working Title“ aus 2019 scheint sich Grey gefunden zu haben: Optimistisch, selbstreflektiert und mit einigen der stärksten Songs seiner Karriere pendelte das Album zwischen schwungvollem Power-Pop und intimen Momenten.
„Rebel Songs“ schließt ziemlich nahtlos an den Vorgänger an, zeigt sich aber nochmal breiter beeinflusst: Der Fokus liegt auf Punk, der zwischen Folk, Indie und Heartland-Rock changiert und sich auffällig häufig vor The Clash verbeugt.
Wie in „Radio Silence“, wütend vorgetragen, stimmungsvoll und mit durchgängiger Orgel dicht an den Londoner Legenden, ebenso der melodische Rocker „Lost“. Sehr gelungen ist auch die Kollaboration mit der Münchenerin Elena Rud: „Grace“ ist dank dichter Atmosphäre mitsamt Elektronikspielerein und ausgefallener Gesangsmelodie Grays ein kleines Highlight. Dagegen fallen die folk-punkigen Stücke leider etwas ab: Mit oft uninspirierten Melodien stampfen „The Reckoning“ oder „No Pasaran“ trotz wichtiger Texte durch die Gehörgänge, ohne tieferen Eindruck zu hinterlassen.
Thematisch weit weg von belanglos
Die stärksten Momente hält „Rebel Songs“ immer dann parat, wenn das Pendel in Richtung melodischem Indie-Punk ausschlägt. Das schmissige „Fired Up“ erinnert an The Casting Out, während der Titeltrack mit schöner Leadgitarre und starkem Refrain überzeugt und als Kirsche noch einen Gastbeitrag von Tim McIlrath (Rise Against) auf die Torte spendiert bekommt. Den stärksten Song stellt aber „Don’t Wait Up“: Mitreißend, emotional und mit mehreren Reminiszenzen an alte Boysetsfire mit angenehm nostalgischer Note, dabei thematisch weit weg von belanglos.
Überhaupt nimmt Nathan Gray nach wie vor kein Blatt vor den Mund und legt immer noch mit direkten Worten den Finger in die Wunden des Systems und der Spalter, ist aber im Gegensatz zu früher nicht mehr destruktiv, sondern progressiv und beschwört den Zusammenhalt und das Positive. Wer ihm in den sozialen Medien folgt, weiß, wie ernst es damit meint und mit welcher Konsequenz er seine Überzeugungen vertritt. Dadurch wird „Rebel Songs“ nicht zum stärksten Output seiner Karriere, zeigt aber einen Nathan Gray, der sich endlich gefunden zu haben scheint.
Stream: Nathan Gray – Don’t Wait Up

Aufgewachsen im norddeutschen Nirgendwo, kümmerten sich Blink 182 und die Descendents gleichzeitig um Daniels frühe musikalische Sozialisation. Nach der obligatorischen Skatepunk-Phase kamen Hot Water Music als Lieblingsband für immer dazu. Den Platz teilen sie sich inzwischen mit Converge, während Thrice und Killing The Dream in zweiter Reihe stehen. Dahinter ist alles zwischen Phoebe Bridgers, Oddisee und Panopticon vertreten. Für Konzerte bereist er alle Venues zwischen Hamburg und Köln, im Extremfall geht es aber auch mal nach Chicago. Neben NBA und NFL oder irgendwas mit Schreiben ist neuerdings auch Fotografie unter seinen zeitraubenden Hobbys zu finden.